20 Jahre Euro-Bargeld

Die ungeliebte Währung

20 Jahre sind eine lange Zeit, um sich an eine Währung zu gewöhnen und ihre Vorgängerin zu vergessen. Aber noch immer gibt es die D-Mark in vielen Köpfen. 2022 wird, was das Verhältnis der Bundesbürger zur bislang ungeliebten gemeinsamen Währung angeht, zu einem Schicksalsjahr.

Die ungeliebte Währung

Am Samstag wird der Euro 20 Jahre alt. Nein, natürlich wird er 23. Schließlich wurden bereits 1999 die nationalen Umrechnungskurse un­widerruflich festgezurrt. Aber für viele Bundesbürger ist die Ausgabe der Banknoten drei Jahre später die Geburtsstunde des Euro.

20 Jahre sind eine lange Zeit, sich an eine Währung zu gewöhnen und ihre Vorgängerin zu vergessen. Aber noch immer gibt es die D-Mark in vielen Köpfen – und in vielen Geheimverstecken. Bis heute werden laut Bundesbank D-Mark-Scheine im Wert von mehr als 5 Mrd. D-Mark und Münzen für mehr als 6 Mrd. D-Mark gebunkert. Und noch immer fremdeln viele Deutsche mit der Einheitswährung. Fast jeder vierte Bundesbürger hält dem Eurobarometer zufolge den Euro für eine schlechte Sache – oder zumindest nicht für eine gute.

Ein erheblicher Teil der Bevölkerung sieht im Euro nicht die Währung, die geholfen hat, die Staatsschuldenkrise zu überstehen, sondern im Gegenteil die eigentliche Ursache für jene Krise, die bei vielen im Gedächtnis als „Euro-Krise“ gespeichert ist. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen.

Die Legende vom „Teuro“, der unmittelbar nach Einführung des Bargelds das Leben spürbar kostspieliger gemacht hat, hat sich über 20 Jahre lang im kollektiven Gedächtnis gehalten, obwohl in den ersten fünf Jahren nach dem Bargeld-Start die Teuerung durchgängig unter 2% geblieben ist – anders übrigens als in den 1990er Jahren, als noch mit D-Mark gezahlt wurde. Und überhaupt ist das Misstrauen oder gar der Argwohn gegenüber der Europäischen Zen­tralbank (EZB) als Garant stabiler Preise bis heute ausgeprägt, obwohl die Geldentwertung in Deutschland selten so gering war wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Aufgrund der zuletzt deutlich gestiegenen Teuerungsrate ist die Angst um das Ersparte ausweislich einer Umfrage in Deutschland gegenwärtig sogar fast so ausgeprägt wie die Angst vor Corona.

Auf der Suche nach Gründen wird gerne die angeblich tief verwurzelte Sorge der Deutschen infolge der Hyperinflation der 1920er Jahre bemüht. Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi hat einst – ausgesprochen ungeschickt – darauf referenziert, als er von einer „perversen Angst“ sprach, „dass sich die Dinge zum Schlechten entwickeln“. Doch der Verweis auf eine vermeintlich irrationale Angst hierzulande vor der Inflation ist wissenschaftlich zweifelhaft und politisch wenig hilfreich. Denn die Sensibilität der Bundesbürger für die Preisentwicklung als Macke abzutun trägt nicht eben dazu bei, das Vertrauen in das Europäische System der Zentralbanken zu stärken. Zumal es durchaus gute Gründe gibt, warum die Inflation hierzulande mit Argusaugen verfolgt wird. Deutschland hat eine der höchsten Bruttosparquoten in Europa und eine im EU-Vergleich ausgesprochen niedrige Wohneigentumsquote (und damit einen sehr hohen Anteil an Mietern). In anderen Worten: Die Deutschen bekommen Geldentwertung stärker und direkter zu spüren als ihre Nachbarn.

Die reservierte Beziehung der Bundesbürger zu Euro und EZB dürfte schließlich auch damit zu tun haben, dass sich zwei der angesehensten Institutionen im Land deutlich distanziert zur EZB verhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat der EZB  den schwerwiegenden Vorwurf gemacht, sie halte sich nicht an ihr Mandat. Währenddessen hat sich die Bundesbank zwar im System der Zentralbanken nie offen illoyal verhalten. Allerdings war die Tatsache, dass außer Otmar Issing bisher jedes deutsche EZB-Direktoriumsmitglied vor Ablauf der Amtszeit hingeworfen hat und mit Axel Weber und Jens Weidmann zwei Bundesbankchefs den Dienst aus Unzufriedenheit mit dem EZB-Kurs vorzeitig quittiert haben, nicht förderlich für das Image der Zentralbank in der deutschen Öffentlichkeit.

Vor diesem Hintergrund wird 2022, was das Verhältnis der Bundesbürger zur bislang ungeliebten gemeinsamen Währung angeht, gleich in zweierlei Hinsicht zu einem Schicksalsjahr. Die EZB wird in den nächsten zwölf Monaten nur dann Vertrauen in der hiesigen Bevölkerung gewinnen können, wenn sie erstens recht mit ihrer Annahme behält, dass die Inflationsrate von in Deutschland zuletzt 6,0% (harmonisierte Rechnung) wieder spürbar sinkt und sich mittelfristig in Richtung 2% bewegt. Und zweitens, wenn dem neuen Bundesbankpräsidenten Joachim Nagel der schwierige Spagat gelingt, im EZB-Rat die Sorge vor einer hohen Teuerung wirkungsvoll zu thematisieren, ohne sich gleichzeitig in dem Gremium politisch zu isolieren. Auch wenn sich Wortspiele mit Namen eigentlich verbieten: Das wird eine echte Nagel-Probe.

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