Im BlickfeldFolgen der US-Sanktionspolitik

Die weltweite Abkehr vom Dollar gewinnt an Fahrt

Der Prozess der De-Dollarisierung, also die Abkehr von der US-Devise als Reserve- und Transaktionswährung, gewinnt an Fahrt. Führend ist in dieser Hinsicht das BRICS-Staatenbündnis.

Die weltweite Abkehr vom Dollar gewinnt an Fahrt

Die weltweite Abkehr vom Dollar gewinnt an Fahrt

Das expandierende Staatenbündnis BRICS nimmt dabei die Führungsrolle ein

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Der US-Dollar ist nach wie vor die Leitwährung der Welt. Fast 60% der weltweiten Währungsreserven werden im Greenback gehalten (vgl. Grafik), ein nur leichter Rückgang gegenüber den 70%, die es im Jahr 2001 noch gab. Ungefähr 50% des weltweiten Handels wird in Dollar abgewickelt, und am Devisenmarkt ist sogar an fast 90% des gehandelten Volumens der Dollar beteiligt. Die Bedeutung des Dollar übertrifft damit sehr deutlich die Rolle, die die US-Volkswirtschaft weltweit spielt. So macht der Anteil der USA am globalen Bruttoinlandsprodukt nur rund 25% aus, und der US-Anteil am weltweiten Handel liegt bei gerade 11,5%.

Überproportionale Bedeutung

Es gibt eine Reihe von Gründen für die überproportionale Bedeutung des Dollar. Er wird traditionell als ein sicherer Hafen betrachtet, und die USA waren die größte Volkswirtschaft der Welt mit einer starken Industrie. Ob sie nach wie vor der Primus unter den Volkswirtschaften sind, hängt von der Betrachtungsweise ab. Denn vergleicht man die Bruttoinlandsprodukte unter Berücksichtigung der Kaufkraftparitäten, so hat China die USA längst abgehängt.

Der Hauptgrund für die große Bedeutung des Dollar liegt allerdings in einer bereits 1945 getroffenen Übereinkunft zwischen der US-Regierung und dem saudi-arabischen Königshaus, gemäß der die Saudis als lange Zeit mit Abstand führender Ölproduzent den Energieträger nur gegen Dollar verkaufen und die Überschüsse vorwiegend in US-Assets anlegen. Im Gegenzug haben die USA dem Königshaus militärischen Schutz gewährt.

Hohe Nachfrage

Die Vorteile der großen Bedeutung des Dollar für die USA liegen auf der Hand. Sie umfassen unter anderem eine hohe internationale Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen und eine unelastische Nachfrage nach Dollar, weil weltweit große Mengen der US-Währung zur Abwicklung von Handel vorgehalten werden müssen. Dies hat die Verzinsung amerikanischer Staatsanleihen tendenziell niedriger gehalten und den Dollar gestützt, auch wenn die Geldmenge stark ausgeweitet wurde.

Während es über Jahrzehnte international kaum Vorbehalte gegen die Rolle des Dollar gab und die Vorherrschaft der US-Währung akzeptiert wurde, zumal die Vereinheitlichung im internationalen Handel Vorteile brachte, hat sich das inzwischen gründlich geändert. Das Schlagwort der De-Dollarisierung macht die Runde, also der Ablösung des Dollar als Haupthandels- und Reservewährung und der Aufbau neuer Strukturen für Handel und Finanzmärkte, die die bisher amerikanisch dominierten Strukturen ablösen sollen. Der Grund dafür ist in den zahlreichen geopolitischen Konflikten zu sehen, deren Intensität stark zugenommen hat und die überwiegend auf ökonomischem Terrain ausgetragen werden. Vonseiten der USA und ihrer Verbündeten gibt es eine Flut von Sanktionen, wobei die Liste der Länder immer länger wird. Nach Berechnungen der „Washington Post“ gibt es im laufenden Jahr Sanktionen allein der USA, die nicht weniger als ein Drittel der Staaten weltweit betreffen.

Nun auch sekundäre Sanktionen

Die Strafmaßnahmen nehmen zunehmend den Charakter von Sekundärsanktionen an, was bedeutet, dass auch Wirtschaftssubjekte aus Staaten darunter fallen können – beispielsweise wegen des Handels mit sanktionierten Ländern –, die eigentlich gar nicht von den US-Sanktionen betroffen sind. Da dies den Handel mit Russland als einem der wichtigsten Rohstoff- und Energielieferanten und zunehmend China mit seiner weltweit größten Industrieproduktion betrifft, bringt dies für viele Länder des globalen Südens erhebliche Schwierigkeiten mit sich.

Ein in diesem Zusammenhang akutes Problem sind Bestrebungen der USA, Banken aus von Sanktionen nicht betroffenen Staaten unter das Sanktionsregime zu zwingen. Eine entsprechende Executive Order hatte US-Präsident Joe Biden im Dezember unterzeichnet. Und Bloomberg berichtete kürzlich, Berater des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump prüften die Möglichkeit von Sanktionen gegen Staaten, die ihre Volkswirtschaften „de-dollarisieren“ wollen. Der bisherige Höhepunkt der Sanktionspolitik ist die hinsichtlich ihrer völkerrechtlichen Zulässigkeit stark umstrittene Beschlagnahme von Mitteln der russischen Notenbank im Volumen von rund 300 Mrd. Dollar, wobei die Gewinnabschöpfung avisiert ist und die Enteignung erwogen wird.

Umstellung auf lokale Währungen

Ein erster Schritt der De-Dollarisierung ist vielerorts die Umstellung des Handels auf lokale Währungen, was für die stark unter Sanktionen stehenden Länder besonders dringlich ist. So hat der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexej Owertschuk bereits im März mitgeteilt, dass 92% des Handels zwischen Russland und China inzwischen in Rubel und Yuan abgewickelt würden. Chinas Finanztransaktionen mit dem Ausland wurden nach offiziellen Zahlen im März bereits zu 52,9% im Yuan abgewickelt und nur noch zu 42,8% im Dollar. Auch bei den Beratungen des südostasiatischen Staatenbündnisses Asean im März stand die Umstellung des Handels innerhalb des Bündnisses auf lokale Währungen im Mittelpunkt.

Im Zentrum der Bewegung der De-Dollarisierung stehen aber ohne Zweifel die BRICS-Staaten, also derzeit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, deren Initialen Namensgeber sind, sowie Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Eine ganze Reihe von weiteren Staaten, darunter das Nato-Mitglied Türkei, hat die Aufnahme beantragt. Walentina Matwijenko, Sprecherin des russischen Föderationsrates, wies kürzlich darauf hin, dass die BRICS-Staaten an einem eigenen Zahlungssystem arbeiteten, das bereits unter dem Begriff „BRICS Bridge“ bekannt ist und das Settlement in digitalen Zentralbankwährungen bieten soll. Dieses System wäre eine multinationale Alternative zu dem von den USA dominierten Swift. Ein solches System wäre auch von zentraler Bedeutung für den Ölhandel, der 2023 erst zu rund 20% ohne den Dollar abgewickelt wurde.

Dollar im Mittelpunkt

Nach den Worten des stellvertretenden russischen Außenministers Sergej Rjabkow soll die De-Dollarisierung zentraler Punkt des im Oktober stattfindenden BRICS-Gipfeltreffens in Kasan, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tatarstan, werden. Im Gespräch ist auch die Schaffung einer eigenen digitalen BRICS-Währung, was jedoch ein enorm kompliziertes Projekt wäre, für das es zudem nach den jüngsten Worten des südafrikanischen Finanzministers Enoch Godongwana noch keinen formellen Beschluss gibt. Eine solche Währung, so ist spekuliert worden, könnte mit einem Korb von Rohstoffen, darunter Gold, gedeckt werden.

Forcierte Goldkäufe

Während die Rückkehr zu rein goldgedeckten Währungen praktisch nicht möglich ist – dafür gibt es einfach zu wenig Gold –, könnten die aktuell sehr umfangreichen Goldkäufe der Notenbanken ein Teil der Strategie der De-Dollarisierung sein. Diese machten 2023 mit mehr als 1.000 Tonnen ungefähr 20% der weltweiten Gesamtnachfrage nach dem Edelmetall aus. Im laufenden Jahr haben die Käufe bisher ein ähnliches Tempo aufgewiesen. Darin sind auch Bemühungen zu sehen, den Anteil des Dollar an den eigenen Devisenreserven zu verringern, ohne auf andere westliche Währungen ausweichen zu müssen. Dazu passt auch, dass die chinesische Notenbank forciert US-Treasuries verkauft, im Mai allein im Volumen von 42,6 Mrd. Dollar. Von Januar bis Mai wurden von der People’s Bank of China US-Titel im Wert von 79,7 Mrd. Dollar veräußert, was einen Rekord für die ersten fünf Monate eines Jahres darstellt.

Neue Dimension

Was die De-Dollarisierung betrifft, so ist sicherlich eine neue Dimension darin zu sehen, dass Bemühungen dieser Art von einem Großteil der Staaten des globalen Südens und den Schwergewichten China und Russland unternommen werden. Dennoch ist der Prozess langwierig und mit zahlreichen Unwägbarkeiten versehen. Zu erwarten ist, dass der Anteil des Dollar an den Devisenreserven und den Handelsvolumina zunächst langsam und kontinuierlich weiter zurückgeht. Ab einem Niveau, wenn quasi eine kritische Masse erreicht ist, könnte sich der Prozess dann beschleunigen. Eines ist zu vermuten: Weder von Kamala Harris noch von Donald Trump ist eine Abkehr vom Sanktionskurs zu erwarten.

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