LEITARTIKEL

Diffuse postfossile Ära

Auf den Vormarsch der erneuerbaren Energien reagieren die Ölkonzerne der westlichen Welt bestenfalls halbherzig. Sie sind im Grunde nicht bereit, den Weg von der Förderung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung durch Sonnen-,...

Diffuse postfossile Ära

Auf den Vormarsch der erneuerbaren Energien reagieren die Ölkonzerne der westlichen Welt bestenfalls halbherzig. Sie sind im Grunde nicht bereit, den Weg von der Förderung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung durch Sonnen-, Wind- oder Wasserkraft zu gehen – womit sie sich freilich auch auf den Wettbewerb mit den in diesem Geschäft weitaus erfahreneren Versorgern einließen. Die Engagements von Royal Dutch Shell, Total und BP sowie der beiden US-Branchengrößen ExxonMobil und Chevron – sei es in Form von Übernahmen, organischem Ausbau der bestehenden Erneuerbare-Energien-Sparten oder Investitionen in Forschung und Entwicklung – sind aber auch deshalb zurückhaltend, weil die Ölmanager nicht überzeugt von der Nachhaltigkeit dieses Trends sind. Denn so sehr Öl, Gas und Kohle auch öffentlich abgeschworen wird – kaum sinkt der Preis, zieht die Nachfrage wieder an und die Vehemenz, mit der erneuerbare Energien zuvor von Politik und Öffentlichkeit unterstützt wurden, schwächt sich zu sanfter Sympathie ab.Hinzu kommen mitunter Regierungswechsel, die eine energiepolitische Kehrtwende mit sich bringen. So legen die Wahl von Rex Tillerson, dem langjährigen CEO von ExxonMobil, zum US-Außenminister sowie die öl- und kohlefreundlichen Aussagen von Präsident Donald Trump die Vermutung nahe, dass diesem Industriezweig in den USA zumindest aus gesetzgeberischer Sicht goldene Jahre bevorstehen.Doch auch ohne einen “politischen Frühling” gibt es aufgrund der stets wiederkehrenden Nachfrage- und Preiserholung keinen überzeugenden Grund für radikale Kurswechsel der Ölindustrie. Kaum war der Ölpreis, um ein Beispiel zu nennen, wegen der steigenden Produktion in den USA (Fracking), der Rückkehr des Förderlandes Iran auf den Weltmarkt und des unter den Erwartungen bleibenden Nachfragewachstums für etwas längere Zeit unter Druck geraten – zwischen August 2015 und November 2016 kostete das Barrel (159 Liter) die meiste Zeit weniger als 50 Dollar -, geschah Ende vergangenen Jahres etwas, was viele Marktkenner für ausgeschlossen hielten: Wichtige Erdöl produzierende Länder einigten sich auf eine Fördersenkung. Daraufhin sprang der Ölpreis binnen weniger Tage um fast 20 %. Auf diesem erhöhten Niveau bewegen sich seither die Notierungen, obwohl die Einhaltung der verabredeten Fördersenkungen weithin in Frage gestellt wird und die Monate vor und nach der Jahreswende erfahrungsgemäß fallende Kurse auf dem Ölmarkt bringen.Die großen, vertikal aufgestellten Konzerne, die von der Suche nach Lagerstätten bis zum Verkauf an der Tankstelle die gesamte Wertschöpfungskette abdecken, würden sich angesichts der absehbaren Erholung ihrer Ergebnisse auf ein unkalkulierbares Risiko einlassen, wenn sie bei einer – erfahrungsgemäß temporären – Ölpreisschwäche mit Verve in Erneuerbare investieren würden. Obwohl die Notierungen weit von früheren Höhen entfernt und die Prognosen der Analysten keineswegs überschäumend sind, werden die Öl- und Gaskonzerne gemäß den Schätzungen in den nächsten Jahren wieder prächtig verdienen. Unter anderem weil nach dem Preiskollaps in der zweiten Hälfte von 2014 viele Projekte, die die Erkundung und Erschließung von Ölquellen vorsahen, gestrichen wurden und sich mittelfristig eine Angebotsdelle zeigen dürfte. Welcher CEO mag da seinen Laden zugunsten einer diffusen postfossilen Ära umkrempeln? Ein Sturm der Entrüstung und Fassungslosigkeit von Seiten der Aktionäre, Beschäftigten, Kunden und sonstiger Interessengruppen wäre ihm sicher.Volatilität, die dem Ölmarkt immanent ist, mag insbesondere für institutionelle Investoren ein Schreckenswort sein. Manager in der Ölindustrie müssen aber damit leben und arbeiten. Sie können nicht nach jeder Studie über den langfristigen Wandel in der Nutzung von Primärenergieträgern, jeder Meldung über die Subventionierung von Erneuerbaren oder jeder Vereinbarung zur Verminderung des Kohlendioxidausstoßes ihre Strategien und Pläne umschmeißen. Die Investitionen in Ölförderanlagen, Pipelines und Raffinerien sind milliardenschwer und bedürfen vieler Jahre der Planung und Umsetzung. In dieser Hinsicht ähnelt das Geschäft der Ölkonzerne tatsächlich stark dem der Versorger. So wie diese sich zum Teil sehr schwer mit der Umstellung von fossilen Energieträgern und Kernkraft auf Erneuerbare tun, so zögern auch Exxon & Co. mit einem radikalen Umbau, der zumindest verfrüht erscheint.——–Von Martin Dunzendorfer Die Ölkonzerne reagieren zögerlich auf den Vormarsch der erneuerbaren Energien. Wieso auch nicht? Die Gewinnperspektiven sind noch für viele Jahre günstig.——-