Notiert inNew York

Drama in der Tiefsee

Das Drama um das im Nordatlantik verschwundene Tauchboot "Titan" zeigt die Gefahren des zunehmend ausufernden Extremtourismus. Menschliches Vordringen auf den Meeresgrund und ins Weltall sollte Forschungs- und Entwicklungszwecken vorbehalten bleiben.

Drama in der Tiefsee

Notiert in New York

Drama in der Tiefsee

Von Alex Wehnert

In den Gewässern des Nordatlantiks spielt sich seit dem Wochenende ein menschliches Drama ab. Am Sonntag ging ein Unterseeboot der Firma Oceangate Expeditions rund 900 Meilen vor der Halbinsel Cape Cod im US-Bundesstaat Massachusetts auf Tauchstation, um das Wrack der Titanic zu erkunden – der Kontakt zu einem Forschungsschiff an der Wasseroberfläche riss nach einer Stunde und 45 Minuten ab.

Seither läuft die Suche nach dem unter dem Namen “Titan” betriebenen Vehikel und seinen fünf Passagieren auf Hochtouren. Mit Radar- und Sonartechnologie ausgestattete Wasserfahrzeuge mehrerer Nationalitäten kreuzen in dem Areal, in dem das Tauchboot vermutet wird, oder befinden sich auf dem Weg dorthin. Derweil hat ein kanadisches Aufklärungsflugzeug nach Angaben der US-Küstenwache Unterwassergeräusche im entsprechenden Teil des Nordatlantiks aufgespürt.

Dass die Suche Erfolg haben wird, ist nur zu hoffen. Darüber hinaus zeigt das Drama um die “Titan” aber eindrücklich die Gefahren des zunehmend ausufernden modernen Explorationsdrangs auf, der äußerst vermögende Extremtouristen an die entlegensten Orte der Erde sowie ins Weltall führt. Zuletzt hat Virgin Galactic, die Firma des britischen Unternehmers Richard Branson, ihren ersten kommerziellen Raumflug für Ende Juni angekündigt, weitere Starts sollen Anfang August und ab dann einmal pro Monat erfolgen. Zwei andere Milliardäre sind Branson weit voraus: Tesla-Chef Elon Musk und Amazon-Gründer Jeff Bezos bringen mit ihren Unternehmen SpaceX und Blue Origin bereits seit 2021 Touristen ins All.

Im gleichen Jahr bot die in Everett im Bundesstaat Washington ansässige Oceangate eine erste Reise zum Wrack der Titanic an. Der Ozeankreuzer, der 1912 auf seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York mit einem Eisberg kollidierte und unter hohen Verlusten von Menschenleben versank, löst insbesondere beim US-Publikum immer noch große Faszination aus. Kunden von Oceangate ließen sich die Reise zum Wrack, das laut der Forschungsinstitution Smithsonian 350 Meilen vor der Küste Neufundlands in mehr als 3.800 Metern Tiefe liegt, bis zu 250.000 Dollar kosten.

Ehemalige Passagiere des “Titan”-Tauchboots beschreiben die Erfahrung als einzigartig und berauschend, auf der anderen Seite aber auch als zermürbend und unbequem. Denn das Oceangate-Vehikel bietet nur wenig Platz, Reisende müssen während des mehrere Stunden dauernden Trips zur Titanic im Sitzen ausharren. Vom mangelnden Komfort ganz abgesehen: Die 2009 gegründete Oceangate sieht sich seit Jahren mit Sicherheitsbedenken aus der Industrie konfrontiert. Ein Komitee der Fachgesellschaft Marine Technology Society warnte das Unternehmen 2018 davor, dass die Entscheidung, die “Titan” keiner unabhängigen Sicherheitsprüfung zu unterziehen, katastrophale Konsequenzen haben könne.

Zuvor hatte der ehemalige Oceangate-Mitarbeiter David Lochridge den Entwicklungsprozess für das Tauchboot kritisiert. Angesichts des Dramas im Nordatlantik sind Äußerungen von Oceangate-CEO Stockton Rush, der sich selbst an Bord der “Titan” befindet, aus einem Interview im vergangenen Jahr noch einmal in den Blickpunkt geraten. “Irgendwann ist Sicherheit reine Verschwendung. Wenn du sicher sein willst, dann bleib im Bett”, sagte Rush gegenüber dem Fernsehsender CBS.

Die Risikolust des Oceangate-Chefs und seiner vermögenden Kunden führt allerdings auch zu einer zunehmenden Präsenz des Menschen in Bereichen, in denen er eigentlich nichts zu suchen hat. Gleiches gilt für den Weltraumtourismus. Mit modernen Vorstellungen von Nachhaltigkeit ist der zunehmende Explorationsdrang der Superreichen längst nicht mehr in Einklang zu bringen. Das Vordringen des Menschen ins Weltall und die Tiefsee sollte sich auf Forschungsbemühungen mit langfristigem Mehrwert beschränken, beispielsweise die Untersuchung kristalliner Strukturen oder die Entwicklung medizinischer Anwendungen in der Schwerelosigkeit.

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