LeitartikelNeue Chipfabriken in Deutschland

Drohkulisse für den Chipstandort Deutschland

Die Furcht geht um, dass die fehlenden Milliarden der öffentlichen Hand infolge der Haushaltssperre den Bau neuer Chipfabriken insbesondere von Intel und TSMC in Deutschland gefährden. Diese Drohkulisse ist aber übertrieben.

Drohkulisse für den Chipstandort Deutschland

Neue Chipfabriken

Drohkulisse für Standort D

Von Stefan Kroneck

Befürchtet wird, dass die Haushaltssperre den Bau von Chipwerken in Deutschland gefährdet. Die Drohkulisse ist übertrieben.

Es sind immer die gleichen Reflexe aus Wirtschaft und Landespolitik, wenn es um Mittel der öffentlichen Hand geht. Wenn Vater Staat den Geldhahn zudreht, ist das Geschrei der Betroffenen groß. Dann wird argumentiert, dass der Standort Deutschland gefährdet sei, da öffentliche Fördertöpfe für notwendige Investitionen der Industrie fehlten.

Im aktuellen Fall der von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verhängten Haushaltssperre für den Klima- und Technologiefonds (KTF) als Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht außer Frage, dass die Situation heikel ist. Als Zwischenlösung für das Dilemma bringt die Bundesregierung einen Nachtragshaushalt für 2023 ins Spiel, nachdem das oberste Gericht die Umwidmung der 60 Mrd. Euro aus dem KTF als verfassungswidrig deklariert hat.

Der finanz- und haushaltspolitische Scherbenhaufen, vor dem die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin nach dem Verdikt aus Karlsruhe steht, bedeutet aber nicht den drohenden Untergang des Standorts Deutschland für die Hightech-Industrie, wie manche Landespolitiker und manche Interessenvertreter von Wirtschaftszweigen in der Öffentlichkeit suggerieren. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Chipbranche. Bei diesem Thema tun sich derzeit insbesondere Reiner Haseloff (CDU), der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, und Silicon Saxony, ein als Verein agierendes Interessennetzwerk von Hightech-Unternehmen, in der Öffentlichkeit hervor. Adressen wie u.a. ASML, Bosch, Infineon und NXP sind Mitglieder von Silicon Saxony. Sowohl Haseloff aus Magdeburg als auch die Lobbyisten aus Dresden bauen eine Drohkulisse für Ostdeutschland auf, indem sie behaupten, dass die Neuansiedlung von Großkonzernen gefährdet sei, wenn vom Bund zugesagte Fördermittel in Milliardenumfang aus dem KTF nicht mehr freigegeben werden können.

Konkret geht es insbesondere um die geplanten Fabriken des Chipherstellers Intel aus den USA bei Magdeburg und um den Auftragsfertiger TSMC aus Taiwan in Dresden. Von der von den Amerikanern angekündigten Investitionssumme von 30 Mrd. Euro will der Bund fast 10 Mrd. Euro beisteuern. Bei den Taiwanern ist es mit 5 Mrd. Euro Steuergeldern die Hälfte der Gesamtinvestition von 10 Mrd. Euro. Es steht außer Frage, dass die Entscheidungen der Konzernführungen, in den beiden ostdeutschen Landeshauptstädten zwei neue Werke zu errichten, für die Region von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung sind. Die Kritik mancher Ökonomen, dass sich Berlin dabei gegenüber Intel und TSMC erpressbar machte und Zusagen im Übermaß traf, ist nachvollziehbar.

Der von der EU in Brüssel zuvor ausgerufene Chips Act mit dem Ziel, die europäische Halbleiterindustrie im Wettbewerb mit den USA und China zu stärken, lockte Intel und TSMC in die größte Volkswirtschaft der Gemeinschaft. Denn je höher die Fördermittel in einem Land sind, desto größer sind die Anreize für Firmen, sich dort niederzulassen. Die EU-Kommission verzichtet im Gegenzug auf die üblichen strengen Beihilfeverfahren gegen Mitgliedstaaten. Zu beachten ist, dass nur ein Teil der Fördermittel für beide Werke aus dem KTF stammen. Legt man ein Drittel als Grundlage, wären das bei Intel 3,3 Mrd., bei TSMC 1,7 Mrd. Euro. Kaum zu glauben, dass der Bund diese Lücke nicht schließen könnte.

Vor diesem Hintergrund handelt es sich um keine Sonntagsreden, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versprechen, die Abmachungen mit Intel und TSMC einzuhalten. Beide Spitzenpolitiker setzten ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel, wenn sie beide Projekte ad acta legten. Im Juni 2024 wird das Europäische Parlament neu gewählt, im September der sächsische Landtag. Das sind Gradmesser auch für die politische Großwetterlage in der Bundeshauptstadt. In dieser angeheizten Stimmung tun beide Konzerne gut daran, sich aus dieser öffentlichen Debatte herauszuhalten. Schließlich basieren Entscheidungen für Standorte auf langfristigen strategischen Konzepten. Im globalen Wettstreit um die Technologien der Zukunft sollte das auch Handlungsmaxime für die Ampel-Koalition sein.

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