Im Blickfeld Finanzplatz Hongkong

Dunkler Schleier über Hongkongs Finanzszene

Die für Internationalität und Offenheit gerühmte Hongkonger Finanzszene steckt in einer Identitätskrise. Die Attraktivität für ausländische Investoren lässt nach, und das Aktienkapitalmarktgeschäft lahmt. Wenig spricht für eine Rückkehr zu alten Blütezeiten.

Dunkler Schleier über Hongkongs Finanzszene

Dunkler Schleier über Hongkong

Die für Internationalität und Offenheit gerühmte Hongkonger Finanzszene steckt in einer Identitätskrise. Die Attraktivität für ausländische Investoren lässt nach und das Aktienkapitalmarktgeschäft lahmt. Wenig spricht für eine Rückkehr zu alten Blütezeiten.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Trotziger Optimismus und Durchhalteparolen kennzeichneten in den vergangenen Wochen und Monaten die Auftritte der Hongkonger Finanzplatz-Promotoren. Die Sorge um die Zukunft des als besonders offen gerühmten Marktes und seine Attraktivität für globale Investoren als „Tor der Welt zu China“ ist greifbar. In Hongkong blickt man auf eine lange Durststrecke zurück. Deren Überwindung wird tapfer immer wieder neu ausgerufen, ohne dass sich die Voraussetzungen dafür wesentlich geändert haben.

Wachstumsstory zieht nicht

Bei der UBS-Investorenkonferenz Ende Mai hat sich Bonnie Chang als neue Chefin des Börsenbetreibers Hong Kong Exchanges (HKEX) redlich bemüht, eine Sentimentwende auszurufen. Die globalen Investoren zeigten sich wieder positiver für China-Anlagen gestimmt. Trotz der „fesselnden Wachstumsstory“ seien sie aber weiterhin extrem unterinvestiert. „Nur 5% des chinesischen Aktienmarktkapitals wird von Ausländern gehalten – das macht doch keinen Sinn“, beklagt sich Chang.

Eine mögliche Antwort zur Sinnfrage lieferte kürzlich der bekannte Ex-Investmentbanker und China-Ökonom Stephen Roach im Hongkonger Foreign Correspondents Club. Der jahrzehntelang als hochrangiger China-Experte auch in Peking hofierte Roach ist mittlerweile zum roten Tuch geworden. Er vertritt die These, dass Hongkongs Glanzzeiten passé sind, und führt das sowohl auf den Niedergang der lokalen Wirtschaft als auch auf langfristige Konjunkturperspektiven für Festlandchina zurück.  

Lobeshymnen gesucht

Die Hongkonger Regierung hat mit wütenden Sentenzen reagiert. Auch dort greift die von Peking seit langem verfolgte Masche um sich, jedwede kritische Analystenmeinung zu Wirtschafts- und Kapitalmarktperspektiven mit Drohgesten zu ersticken. Das Problem ist, dass es immer schwieriger wird, international renommierte Experten zu finden, die jetzt noch bereit sind, die gewünschten Lobeshymnen zur Revitalisierung des Finanzplatzes zu singen.

Lustloser IPO-Markt

Der Aktienkapitalmarkt als Herzstück der Hongkonger Finanzmarktaktivität ist von enervierender Lustlosigkeit geprägt, wie man sie jenseits von Finanzkrisen so noch nie erlebt hat. Vor allem das Geschäft mit Börsengängen hapert. Im ersten Quartal lag das Aufkommen mit Initial Public Offerings (IPOs) bei gut 600 Mill. Dollar, ein Rückgang von noch einmal 30% zu der bereits denkbar schwachen Vorjahresperiode. Einen niedrigeren Wert gab es nur im ersten Quartal 2009, als die globale Finanzkrise ein Blutbad an den Weltbörsen anrichtete.

Auch im vergangenen Jahr stellte sich der Hongkonger IPO-Markt trotz der Hoffnungen, die man sich nach Chinas Ausstieg aus der Null-Covid-Politik machen konnte, als ungewohnt schwachbrüstig dar. Bei einem IPO-Volumen von 6 Mrd. Dollar, das mit überwiegend kleinen Transaktionen zusammengekratzt wurde, landete man gerade noch unter den ersten zehn Handelszentren im globalen IPO-Ranking. Früher war man Topplätze in der Hitparade gewöhnt.

Steiler Abstieg

Zwischen 2010 und 2019 lag die Börse siebenmal auf dem globalen Spitzenrang. Zuletzt war dies 2018 und 2019 der Fall. Auch 2020 kam man noch inmitten des Pandemieausbruchs in China auf den zweiten Platz. Dies, obwohl der Megadeal schlechthin platzte, weil das potenziell weltgrößte IPO des chinesischen Fintechs Ant Group über 35 Mrd. Dollar in letzter Minute von Pekinger Finanzregulatoren abgesagt wurde.

Hartnäckige Baisse

Seitdem scheint der Stecker irgendwie gezogen. Der Hongkonger Aktienmarkt war von 2021 an in eine langgestreckte Baisse mit negativer Performance in drei aufeinanderfolgenden Jahren übergegangen. Konjunktursorgen und Enttäuschung über den mangelnden Schwung nach dem Ausstieg aus Corona-Restriktionen prägen das Sentiment.

Im vergangenen Jahr ging der Leitindex Hang Seng zeitweise auf Tuchfühlung zum Niveau der Finanzkrise und legte unter signifikanten Handelsplätzen die weltweit schwächste Performance hin. In diesem Jahr läuft es nach einer strammen Rally im Mai zwar besser, aber der Knoten ist noch nicht geplatzt. Die Kurserholung hat dem IPO-Geschäft noch keinen Rückenwind verliehen. Im April sah man einige Börsengänge, die beim Handelsdebüt fürchterlich floppten. Ende Mai kamen Deals, die besser liefen, wegen ihres winzigen Formats aber keine Aussagekraft für den Investorenappetit haben.

Frustrierte Investmentbanker

Die Crux liegt freilich auch in den Dispositionen der Regulatoren auf dem Festland, die im Februar eine gigantische Stützungsoffensive für die Festlandbörsen lancierten und dies mit einer Quasi-Sperre für IPOs verknüpften, um die Sekundärmarktliquidität zu schonen. Die IPO-Bremse und regulatorischen Eingriffe übertragen sich auch auf das Hongkonger Geschäft. Für die dortige Investmentbanker-Community ist die Situation überaus frustrierend. Man dreht sich ständig im Kreis mit einer riesigen Liste von IPO-Anträgen, die meist doch nicht stattfinden oder auf kümmerliche Formate schrumpfen.

Erstickendes Sicherheitsgesetz

Auch losgelöst vom IPO-Geschäft hat der Hongkonger Markt mit gravierenden atmosphärischen Veränderungen zu kämpfen, die Gift für das Investorenvertrauen sind. Der Elefant im Raum ist zweifelsohne die politische Vereinnahmung der Sonderverwaltungszone durch den Pekinger Staatsapparat. Das im Nachgang zu den Demokratieprotesten des Jahres 2019 erlassene chinesische Sicherheitsgesetz hält die Hongkonger Gesellschaft in einem Würgegriff, der sukzessive enger wird und nicht nur den politischen, sondern auch den rechtlichen Sonderstatus Hongkongs erodieren lässt.

Expats verziehen sich

Dass die Beschneidung von bürgerlichen Rechten und Freiheiten mit dem für das Gedeihen des Finanzplatzes so wesentlichen offenen Charakter Hongkongs kollidiert, will die pekinghörige Hongkonger Regierung nicht gelten lassen. Dennoch ist unverkennbar, dass der vom Sicherheitsgesetz sowie von Pandemie-Restriktionen nach Pekinger Vorbild provozierte Exodus internationaler Firmen und Expats einen Grauschleier über die Zukunft des Finanzplatzes gelegt hat.

Unsichere Rechtslage

Vor allem die Untergrabung des für Asien einzigartigen und auf angelsächsischen Grundsätzen der „Rule of Law“ basierenden Hongkonger Rechtssystems lässt Unsicherheit aufkommen, die der Finanzplatzkultur schadet. Man muss befürchten, dass die parteipolitische Überformung der Hongkonger Jurisprudenz auch im zivilrechtlichen Bereich auf die kommerzielle Ebene mit Vertragsrechten und Vermögensschutz zumindest theoretisch übergehen kann.

Singapur freut sich

Mittlerweile können Gerichtsentscheidungen auf dem Festland zur Beschlagnahmung von Vermögen in Hongkong führen, damit wurde ein Tabu gebrochen. Dies schafft einen Unsicherheitsfaktor, der Wirkung zeigt. Man sieht es unter anderem in der Abwanderung von Geschäft mit hochvermögender chinesischer und auch asiatischer Klientel, die sich in Hongkong nicht mehr ausreichend geschützt und unbehelligt fühlt.

Profiteur ist in erster Linie der Finanzplatz Singapur, der zum neuen asiatischen Magneten für die Ansiedlung von Family Offices avanciert ist. In sozialen Medien kursiert ein trockener Witz dazu: Amerika hat 100 Jahre gebraucht, um New York als internationales Finanzzentrum zu etablieren. China hat nur drei Jahre benötigt, um aus Singapur ein ebensolches zu machen.

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