Unterm Strich

Ein AHA-Erlebnis der Staatsgläubigen

Die Deutschen haben das Vertrauen in die Regierung und deren Pandemiebekämpfung verloren, rufen aber weiterhin lieber nach dem Staat.

Ein AHA-Erlebnis der Staatsgläubigen

Die Rolle rückwärts der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten in Sachen Osterruhe dürfte als AHA-Erlebnis der Staatsgläubigen in die deutsche Corona-Geschichte eingehen. So viel Abstand zwischen den Deutschen und ihren Regierenden war nie, die sich vermeintlich auf epidemiologische Expertise stützende Coronastrategie der Bundesregierung hat sich spektakulär demaskiert. Sogar treue Anhänger der Koalitionsparteien und regierungsfreundliche Medien zeigten sich erschüttert vom „Osterdebakel“.

Erosion des Vertrauens

Erste Umfragen zeigen: Das ohnehin lädierte Vertrauen der Bürger in den Staat zur Bewältigung der Pandemie ist auf ein neues Tief gestürzt. Dabei hatte das Allensbacher Institut für Demoskopie schon per Anfang März eine schwere Vertrauenskrise konstatiert. Die Erosion setzte Anfang des Jahres ein: Während im Herbst 2020 noch 70% der Deutschen Vertrauen in die Strategie der Regierung zur Coronabekämpfung zeigten, rutschten seit Januar 2021 die Zustimmungswerte parallel mit den schwindenden Aussichten auf baldige Impferfolge dramatisch in den Keller.

Das eigene Bild von Deutschland als einem Land mit weltweit vorbildlichem Gesundheitssystem, mit zuverlässigem und effizientem Staatsapparat sowie technologischer Spitzenklasse hat tiefe Risse bekommen. Gemessen an der Durch­impfung der Bevölkerung und damit der Möglichkeit zu weiteren Lockerungen und Aussicht auf Rückkehr zur Normalität rangiert Deutschland weit abgeschlagen, nicht nur hinter den meisten westlichen Industrieländern, sondern auch hinter manchem Entwicklungsland.

Gleichheit im Elend

Das wirklich Erschütternde an der beklagenswerten gegenwärtigen Verfassung sind aber weniger die beschriebenen Defizite, sondern die Reaktion darauf. Denn die Deutschen monieren den Verlust an Planungssicherheit und fordern faktisch noch mehr den fürsorgenden Staat: von der Organisation von Schnelltests durch die Gesundheitsämter bis zu weiteren Milliarden als Ausgleich für wirtschaftliche Einbußen. Eigenverantwortung und Subsidiarität wird mit Skepsis begegnet, wie beispielhaft die Reaktionen auf die private Corona-App Luca, auf das Angebot von Selbsttests im Einzelhandel oder auf lokale Lockerungen dank niedriger Inzidenzwerte zeigen. „Wenn es Deutschland schon schlecht geht, dann bitte allen Deutschen!“ – diese geistige Haltung spiegelt die vorherrschende öffentliche Meinung. Sonderrechte für Geimpfte? Wo bliebe denn da die Solidarität? Solches Denken zeigt, dass schon nach einem Jahr mehr oder weniger heftigem Lockdown und staatlicher Ansage von Verhaltensregeln viele in diesem Land vergessen haben, dass die persönlichen Freiheiten zu einem liberalen Rechtsstaat gehören wie die Grundrechte zur deutschen Verfassung. Dass Einschränkungen dieser Grundrechte eine gut begründete und befristete Ausnahme bleiben müssen. Und dass in einem demokratischen Land über solche Einschränkungen die Parlamente entscheiden sollten und nicht die Exekutive hinter verschlossenen Türen.

Der Fokus in der Pandemiebekämpfung liegt zwar auf dem Staat. Dass die Welt bald von der Pandemie befreit werden kann, liegt jedoch an privatwirtschaftlichen Unternehmen, die viel schneller als erwartet wirksame und sichere Impfstoffe entwickelt haben. Von den staatlich forcierten Impfstoffentwicklungen in China und Russland abgesehen haben sich weltweit viele Unternehmen – von Biotech-Pionieren wie Biontech oder Curevac bis zu Pharmariesen wie Pfizer oder AstraZeneca – mit Know-how und Kapital auf einen Wettbewerb um den „besten“ Impfstoff eingelassen, von dem am Ende alle profitieren. Dass die Unternehmen hierbei nicht Altruismus und Weltenrettung antreiben, sondern wirtschaftliche Gewinnperspektive, Markteroberung und Imagegewinn, ist nicht anrüchig, sondern Grundlage des Erfolgs. Je höher die erhoffte Rendite, desto größer die Anstrengungen der Anbieter zur Produktionsausweitung und -weiterentwicklung, um auch Virusmutanten abzudecken. Und je mehr der Staat Wettbewerb zulässt und fördert, desto schneller werden die anfangs nötigen Monopolrenten schmelzen und die Impfstoffpreise sinken.

Frühe und späte Vögel

Im Kontrast dazu steht das Denken der politisch Verantwortlichen in Brüssel und Berlin. Es ist eher dirigistisch denn marktwirtschaftlich geprägt und hat in dem erwartbaren Verkäufermarkt der Vakzine dazu geführt, dass die Deutschen nun in der Impfschlange weit hinten stehen. Der frühe Vogel fängt den Wurm, lautet ein Marktprinzip, doch Geschwindigkeit passt eben nicht zu einer von Bürokratismus, Perfektionismus, Risikoaversion und politischen Rückversicherungen geprägten Welt staatlicher Verwaltung.

Wenn nun temporäre staatliche Eingriffe durch Import- und Exportbeschränkungen auf der Agenda der Politik stehen, dann mag das vielleicht vorübergehend den Blutdruck der ob ihrer Unfähigkeit attackierten Politiker senken, beschleunigt aber nicht die Erlösung von der Pandemie. Denn kurzfristig ist mit Abwehrreaktionen anderer Regierungen, mittelfristig mit Standortentscheidungen der Unternehmen und langfristig mit dem Vertrauensverlust in eine auf Freihandel basierende Gemeinschaft zu rechnen.

Plötzlich entdeckt man hierzulande den Wert einer eigenen pharmazeutischen Produktion, die über die Herstellung von Generika hinausgeht. Namentlich die Bundeskanzlerin fordert eine europäische Impfstoffproduktion. Hat nicht die Politik auf nationaler und europäischer Ebene über Jahre hinweg alles getan, um durch immer restriktivere Genehmigungsverfahren und Preisvorgaben forschende und insbesondere gentechnisch produzierende Pharmaunternehmen aus dem Land zu treiben? Es gibt viele AHA-Effekte der Pandemiezeit, die bei den Bürgern zu einer gewissen Immunisierung gegen allzu große Staatsgläubigkeit führen sollten.

c.doering@boersen-zeitung.de