LeitartikelUS-Repräsentantenhaus

Ein Drama mit gravierenden Konsequenzen

Das Tauziehen um einen neuen Sprecher des US-Repräsentantenhauses hat nicht nur das politische Unvermögen des Kongresses bloßgelegt. Das Drama hat auch Folgen für die US-Wirtschaft und für wichtige Verbündete.

Ein Drama mit gravierenden Konsequenzen

US-Repräsentantenhaus

Drama mit gravierenden Folgen

Selbst mit einer neuen Führungsspitze im Repräsentantenhaus ist der Vertrauensverlust in die US-Demokratie irreparabel.

Von Peter De Thier

Das von Republikanern inszenierte Drama, das sich in der unteren Kammer des US-Kongresses abspielt, verdient im wahrsten Sinne des Wortes das Etikett "historisch". Noch nie in der US-Geschichte war das Repräsentantenhaus ohne Führungsspitze. Das ist für sich genommen schon ein Präzedenzfall. Hinzu kommt, dass die Position des "Speaker of the House" als Folge der tiefen Kluft innerhalb der republikanischen Mehrheitspartei mittlerweile seit drei Wochen vakant ist. Die Folgen sind gravierend. Sie reichen vom schwindend geringen Vertrauen in die Funktionalität der amerikanischen Demokratie bis hin zum Unvermögen, dringend notwendige Gesetze zu verabschieden.

Wichtiger als die symbolische Macht des "Speaker", der laut Verfassung den Chefsessel im Weißen Haus übernehmen würde, sollten der Präsident und seine Stellvertreterin außerstande sein, ihr Amt auszuüben, ist die praktische Bedeutung des Jobs. Der Sprecher des Repräsentantenhauses steuert nämlich das Gesetzgebungsverfahren. Ist das Amt nicht besetzt, dann kommt das politische Geschäft in Washington zum Stillstand. Michael McCaul, der Chef des Auswärtigen Ausschusses, formulierte es treffend: "Jeder Tag ohne einen Sprecher des Repräsentantenhauses ist wie ein kleiner Shutdown." Kleine Shutdowns, die sich nun aber über drei Wochen addiert haben.

Die Paralyse eines handlungsunfähigen Kongresses zeigt sich daran, dass dieser nicht einmal fähig ist, einen formalen Beschluss zu fassen, um die brutalen Angriffe der radikalislamischen Hamas auf israelische Zivilisten zu verurteilen. Das allerdings wird die Bürger des wichtigsten US-Verbündeten im Nahen Osten weniger interessieren als die Tatsache, dass jene 24 Mrd. Dollar, die Präsident Joe Biden für militärische und humanitäre Hilfe angefordert hat, bis jetzt nicht bewilligt werden konnten. Ähnlich geht es den ukrainischen Opfern des russischen Angriffskriegs, die ein wenig aufatmen konnten, als Biden vergangene Woche 60 Mrd. Dollar an weiterer Hilfe in Aussicht stellte, die nun im Repräsentantenhaus aber ebenfalls auf Eis liegen.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung des Debakels für die US-Wirtschaft. Die im September beschlossene Übergangsfinanzierung, die der entmachtete Kevin McCarthy zusammen mit Demokraten aushandelte, um daraufhin seinen Job zu verlieren, läuft noch bis Mitte November. Ohne ein neues Gesetz würde es dann wieder einen Verwaltungsstillstand geben. Zigtausende Beamte würden beurlaubt werden, auch müssten Soldaten und andere Mitarbeiter der Streitkräfte bis zum Ende des Shutdowns ohne Bezahlung auskommen. 

Gepaart mit der wachsenden Frustration über die politische Dysfunktionalität würde der kollektive Kaufkraftverlust, und zwar pünktlich zum Auftakt des Weihnachtsgeschäfts, die Stimmung unter Verbrauchern eintrüben, deren Ausgaben wiederum mehr als zwei Drittel der Wirtschaftsleistung ausmachen. Käme es als Folge dieses "perfekten Sturms" gegen Jahresende zu einem Wachstumseinbruch, dann würden womöglich wieder Rezessionsängste aufkommen, die ihrerseits Einfluss auf den geldpolitischen Kurs der Fed haben könnten.  

Zwar hofften die Republikaner, am Dienstagabend endlich einen neuen "Speaker of the House" zu wählen. Immerhin konnten sie sich nach einem zermürbenden Tauziehen auf den konservativen Tom Emmer aus Minnesota als Kandidaten verständigen. Der Republikaner hat aber ein Problem: Er hat nach dem Aufstand im Kapitol Bidens Wahlsieg zertifiziert und sich damit den Zorn des früheren Präsidenten Donald Trump zugezogen, dessen Anhänger seine Kandidatur torpedieren wollen. Leicht wird es Emmer folglich nicht haben, bestätigt zu werden.

Aber selbst mit einer neuen Führungsspitze würde die Handlungsunfähigkeit fortdauern. Jede Kompromissbereitschaft gegenüber den Demokraten könnte nämlich den neuen Sprecher seinen Job kosten. Es handelt sich so oder so um ein politisches Desaster, das dem Vertrauen in die US-Demokratie einen irreparablen Schaden zugefügt hat und dessen Folgen die Republikaner nächstes Jahr bei den Wahlen zu spüren bekommen könnten.

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