LEITARTIKEL

Ein falsches Signal

Die Automobilindustrie ist in Deutschland im Eiltempo vom Stolz des Wirtschaftsstandorts zu dessen Sorgenkind geworden. Produktionsstopps rund um den Globus, umfangreiche Maßnahmen zur Maximierung der Liquiditätsreserven und Herabstufungen durch die...

Ein falsches Signal

Die Automobilindustrie ist in Deutschland im Eiltempo vom Stolz des Wirtschaftsstandorts zu dessen Sorgenkind geworden. Produktionsstopps rund um den Globus, umfangreiche Maßnahmen zur Maximierung der Liquiditätsreserven und Herabstufungen durch die Ratingagenturen sind nur Ausschnitte des düsteren Branchenbilds in diesen Tagen. Und selbst wenn das Cash-Polster ausreicht, um das künstliche Koma, in das die Autohersteller zur Pandemiebekämpfung versetzt wurden, in Verbindung mit Kurzarbeitergeld und temporären Freistellungen zu überstehen, bleibt die Frage: Werden viele Menschen genug Zuversicht haben, um eine Großanschaffung wie ein Auto vorzunehmen, sobald sie Licht am Ende des Tunnels ausmachen?Betrachten wir zunächst die Liquiditätslage. Die war für alle deutschen Autobauer vor Ausbruch der Krise mehr als üppig. Daimler hat sich zudem gerade erst eine frische Kreditlinie über 12 Mrd. Euro zusätzlich gesichert. Zusammen mit rund 11 Mrd. Euro Cash zum Jahreswechsel und 11 Mrd. Euro aus einer laufenden Kreditlinie kommt der Konzern also auf deutlich mehr als 30 Mrd. Euro an verfügbarer Liquidität. Konkurrent BMW, der ebenfalls üppige Kreditlinien aufweist, hatte zum Jahreswechsel knapp 18 Mrd. Euro an Barreserven und Kreditfazilitäten dazu. Bei Volkswagen befanden sich deutlich mehr als 20 Mrd. Euro in der Kasse. Von so üppiger Ausstattung bei zugleich geringer Verschuldung kann die internationale Konkurrenz nur träumen. Das spiegelt sich auch in den Bonitätsnoten der Ratingagenturen. Mit Langfrist-Ratings von “BBB+” (Daimler und VW) bzw. “A” (BMW) zählen die Autobauer aus Sicht von Standard & Poor’s trotz Herabstufungen noch fest zum Investment Grade. Wettbewerber wie Renault (“B”), Ford (“BB+”) oder Fiat Chrysler (“BB+”) werden in der Spekulationsklasse angesiedelt oder befinden sich wie General Motors (“BBB”) und PSA (“BBB-“) nur knapp darüber. Dass Cash derzeit King in der Branche ist, liegt an den enormen Fixkosten der globalen Hersteller. VW-Chef Herbert Diess sprach unlängst davon, dass die Wolfsburger jede Woche Stillstand 2 Mrd. Euro koste. Da schmilzt auch das dickste Liquiditätspolster wie Eis in der aktuell ungewohnt warmen April-Sonne. Auch BMW-Chef Oliver Zipse sprach vor wenigen Tagen davon, dass die ernste Lage selbst große Unternehmen in existenzielle Gefahr bringen könne, und kündigte tiefe Einschnitte zur Steigerung der Liquidität an.Dabei drehen die Autobauer fast jeden Stein um auf der Suche nach etwas Liquidität. Nur ein Stein bleibt unberührt: die Dividende. BMW, Daimler und VW planen weiter mit Ausschüttungen, die angekündigt worden waren, als das Ausmaß der Coronavirus-Pandemie noch vollkommen unterschätzt wurde. VW und BMW haben etwa mit den Familien Porsche/Piëch bzw. Quandt Ankeraktionäre, die angesichts der desolaten Lage in anderen Unternehmen ein besonderes Interesse an dem Geldregen haben dürften. Daimler hat angesichts der schon vor der Coronakrise schwierigen operativen Lage ohnehin die geringste Ausschüttung seit der Finanzkrise vorgesehen und gilt als Übernahmekandidat. Es gibt also nachvollziehbare Motive, warum die Konzerne die Dividende weniger beherzt kürzen als andere Aktiengesellschaften hierzulande. Das Signal ist dennoch fatal. Mit einer schnellen Erholung wird kaum gerechnet. Jetzt schüttet man den Aktionären also schnell noch etwas aus, ehe die Dividende 2021 wohl ausfällt.——Von Sebastian SchmidDie Autokonzerne halten stur an ihren Dividendenvorschlägen fest. Das ist fahrlässig und ein schlechtes Signal an Beschäftigte und Anleihegläubiger.——