LeitartikelDax vor der Korrektur

Die nächste Blase vor dem Platzen

Seit August vorigen Jahres hat der Dax 32% zugelegt. Eine Korrektur ist unausweichlich, da die treibenden Kräfte hinter der Rally – feste US-Börsen und die Hoffnung auf eine kräftige Belebung der deutschen Wirtschaft nach der Wahl – versiegen werden.

Die nächste Blase vor dem Platzen

Dax

Die nächste Blase vor dem Platzen

Von Martin Dunzendorfer

Seit August hat der Dax bis zum jüngsten Rekordhoch 32% zugelegt. Der Anstieg basiert im Wesentlichen auf vagen Hoffnungen und festen US-Börsen. Eine Korrektur ist unausweichlich.

In wenigen Wochen nähert sich das Platzen der Dotcom-Blase am 10. März 2000 zum 25. Mal. Da will es ein merkwürdiger Zufall, dass der Dax ausgerechnet dieser Tage außer Rand und Band geraten ist. Eine Korrektur scheint unausweichlich. Bullen führen zwar zahlreiche Argumente an, um die Rally des deutschen Leitindex in den vergangenen Monaten fundamental zu untermauern und die Rückschlaggefahr kleinzureden, doch selbst in Summe überzeugen sie nicht. So kann weder die Hoffnung auf eine wirtschaftsfreundlichere Politik unter einer neuen Bundesregierung eine Hausse dieses Ausmaßes rechtfertigen noch der Hinweis, dass die im Dax enthaltenen Konzerne kein Spiegelbild der deutschen Wirtschaft darstellen, sondern Global Player sind und wegen des hohen Umsatzanteils, den sie im Ausland generieren, an anderen Kriterien gemessen werden müssen als durchschnittliche Unternehmen deutscher Provenienz.

Die Rally aus der zweiten Hälfte des Vorjahres, die den Dax von Anfang August bis zum Jahresschlussstand von 19.909 Punkten um 13% in die Höhe getrieben hatte, setzte sich 2025 mit noch mehr Dynamik fort. Seit Jahresbeginn hat der Index, gemessen am jüngsten Rekordhoch von 22.935, um 15% oder 3.026 Punkte zugelegt; in den letzten sechs Monaten um insgesamt 32%.

Wie im Rausch

Wie im Rausch werden Aktien gekauft, und der Dax stellt nahezu täglich ein Rekordhoch auf. Dabei wechseln die Favoriten, was an sich ein gutes Zeichen für einen nachhaltigen Aufschwung ist. Mal sind es Banken und Versicherer, die die Gewinnerliste anführen, mal die bis November ungeliebten Automotive-Werte; IT-Unternehmen stehen sowieso oben auf den Kauflisten. Doch bei genauem Hinsehen kommen Fragen auf. Wie ist es möglich, dass einerseits eine Hiobsbotschaft nach der anderen aus der Bauindustrie kommt, aber andererseits Heidelberg Materials und – im MDax – Hochtief auf Spitzenwerte gestiegen sind? Und wenn wir schon bei den Mid Caps sind: Wie kann es sein, dass zahlreiche Werte aus MDax und SDax wie Gea, Krones und KSB ebenfalls langjährige Hochs erreicht haben, obwohl aus ihrer Branche, dem Maschinen- und Anlagenbau, nur Klagen kommen? Tatsächlich sind das Anzeichen für eine Überhitzung des Gesamtmarktes.

Kein Zweifel: In jüngerer Zeit hatte der Bulle gegenüber dem Bären Oberwasser. Doch das wird sich wohl schon bald ändern. Foto: Deutsche Börse

Die Investoren sind wachsam geworden und rechnen mit einer scharfen Konsolidierung, wie sich an diversen Maßzahlen für Verkaufsoptionen ablesen lässt. So ist die implizite Volatilität, die die erwartete Preisfluktuation eines Basiswertes angibt, bei Dax-Puts mit kurzer bis mittlerer Restlaufzeit im Schnitt so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Denn jedem ist aus Erfahrung klar: Setzt die Korrektur ein, wird es noch viel schneller nach unten gehen als in den vergangenen sechs Monaten nach oben. Und Jahresanfangsrallys laufen spätestens in der zweiten Februar-Hälfte aus.

Auch die Entwicklung des VDax-New ist ein Warnsignal. Dieser von der Deutschen Börse berechnete Volatilitätsindex misst die implizite Volatilität für den Leitindex – also dessen erwartete Schwankungsbreite – für die nächsten 30 Tage. Ein hoher Wert weist auf einen unruhigen Markt hin, niedrige Werte lassen eine Entwicklung ohne starke Kursschwankungen erwarten. Dieses „Angstbarometer“ gibt zwar grundsätzlich keinen Aufschluss über die Richtung der Änderung, also steigende oder sinkende Kurse, doch sind die zyklischen Hochs bislang stets in Korrekturphasen erreicht worden, etwa während der Covid-19-Pandemie. Der Wert des VDax-New ist seit Mitte Dezember von 12,75 auf zuletzt über 18 gestiegen. Das ist an und für sich noch kein alarmierender Wert, doch das Besondere und – aus Sicht der Index-Bullen – Beunruhigende ist, dass die Aufwärtstendenz des Barometers diametral zur üblichen Bewegung in einer Anstiegsphase des Dax entstanden ist.

Auch die Rückschau auf einen längeren Zeitabschnitt macht deutlich, wie überfällig eine Korrektur ist. Im Herbst 2022 stand der Dax nach den Schockwellen, die nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Frühjahr und Sommer über die Märkte geschwappt waren, bei 12.000 Punkten. Seither ging es im Grunde nur bergauf. Selbst die stärkste Konsolidierung fiel mit 11% – zwischen Anfang August und Ende Oktober 2023 – vergleichsweise zahm aus.

Was hat sich zum Positiven hin verändert?

Geht man vom Dax-Stand im Herbst 2022 aus, ergibt sich bis heute ein Plus von 90%. Aber was hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren wirtschaftlich oder vielleicht auch politisch so sehr zum Positiven verändert, dass daraus ein solcher Anstieg resultieren konnte? Die simple Antwort: nichts. Selbst die vorübergehend niedrigeren Energiekosten sind inzwischen wieder kräftig gestiegen. Stattdessen haben die Sorgen und Probleme seit 2022 national wie international noch zugenommen. Die daraus entstandene Unsicherheit ist ein Malus, der Manager zum Beispiel von Investitionsentscheidungen abhält, die mit größeren Risiken verbunden sind, auch wenn die Gewinnchancen beträchtlich wären. Im Ergebnis steuert Deutschland nun auf das dritte Rezessionsjahr in Folge zu. Das ist keine Basis, auf der ein Aktienmarkt florieren dürfte.

Konzentriert man sich auf die Aufwärtsbewegung seit Sommer vorigen Jahres, fand die relevanteste Veränderung für die deutsche Wirtschaft im Weißen Haus statt – dort sitzt nun wieder Donald Trump, dem niemand nachsagen kann, dass er eine Politik macht, die deutschen Interessen – politisch wie wirtschaftlich – entgegenkommt. Und im Inland ist absehbar, dass die Bildung einer neuen Bundesregierung schwierig wird und ­– gleich zu welcher Konstellation es kommt – wichtige Vorhaben auf der Strecke bleiben werden, die Aufbruchstimmung erzeugen oder wenigstens zu einer spürbaren Verbesserung des wirtschaftlichen Umfeldes führen könnten, etwa nennenswerter Bürokratieabbau und Steuersenkungen.

Schwache US-Börsen werden den Anstoß geben

Letztlich wird die laufende Dax-Rally aber von der Hausse des US-Aktienmarktes getragen. Doch jenseits des Atlantiks sind die Bewertungen – insbesondere von IT-Werten wie den „Big Five“ sowie anderen Technologiekonzernen, etwa KI-nahen Unternehmen – inzwischen losgelöst von realistischen Umsatz- und Gewinnaussichten. Wenn sich dort die Euphorie legt und auch noch der Blick frei wird auf die ökonomisch negativen Folgen von Protektionismus und Nationalismus, werden die Kursübertreibungen offenkundig. Dann wird es zu einer Korrektur an Wall Street kommen, die die Aktienmärkte weltweit mit nach unten reißt.