Ein Preisdeckel für den explosiven Stromkochtopf
Seit dem 2. September fließt kein Gas aus Russland mehr durch die Ostseepipeline Nord Stream 1. Auf die Energiekonzerne in Westeuropa hat das ganz unterschiedliche Auswirkungen: Bei den einen sprudeln die Gewinne aus hohen Strompreisen, bei den anderen türmen sich die Verluste aus kurzfristigen und teuren Gaseinkäufen. Standard & Poor’s hat 2022 bislang die Bonitätsnoten von sieben europäischen Versorgern heraufgesetzt, aber bei zwölf Unternehmen der Energiebranche den Daumen für das Rating gesenkt.
Auch der deutsche Energiekonzern EnBW bekommt die Gasknappheit inzwischen zu spüren: Der Gasimporteur VNG, eine Mehrheitsbeteiligung des Karlsruher Energieversorgers, hat an diesem Freitag beim Bundeswirtschaftsministerium einen Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen gestellt. Der EnBW-Kurs reagierte darauf bei kleinem Handelsvolumen zunächst mit einem Kursrutsch um mehr als 10% auf ein Tief seit Februar.
Auf der anderen Seite fährt der Stromerzeuger RWE hohe Gewinne ein – auch wenn die Preise für den größten Teil des verkauften Stroms schon vor zwei Jahren vereinbart wurden. Der Börsenwert des Unternehmens hat sich seit Anfang 2019 verdoppelt auf 28 Mrd. Euro.
Vor diesem Hintergrund diskutiert die Politik Preisdeckel und Gewinnabschöpfung: Die EU-Kommission soll innerhalb weniger Tage einen konkreten Plan ausarbeiten, um die sprunghaft gestiegenen Energiepreise in den Griff zu bekommen. „Wir müssen die Preise runterbringen“, sagte Vizekanzler Robert Habeck am Freitag in Brüssel nach einem Sondertreffen der europäischen Energieminister. Dafür müssten die Regeln auf dem Strommarkt geändert werden. „Der Ball liegt jetzt bei der Europäischen Kommission.“ Sie solle bis Mitte des Monats umsetzbare Vorschläge ausarbeiten.
Umverteilung als Ziel
Diskutiert wurde auch der von Deutschland unterstützte Vorschlag, die übermäßigen Gewinne von Stromproduzenten einzugrenzen und das Geld an Verbraucher umzuverteilen. Die EU-Kommission in Brüssel empfiehlt den Mitgliedstaaten, einen Teil der überhöhten Gewinne von Energieversorgern, die nicht auf Gas für die Stromerzeugung angewiesen sind, zu erheben, um die Energierechnungen der Verbraucher zu senken. Dies ist Teil eines Plans, um die Haushalte vor den steigenden Strompreisen zu schützen.
So rät die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten, einen Höchstpreis festzulegen, den Stromerzeuger, die nicht auf Gas angewiesen sind, verbuchen können, und darüber hinausgehende Gewinne umzuverteilen – ein System, das einer „Windfall Tax“ (Steuer auf Zufallsgewinne) ähnelt.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte in ihrer ersten Rede nach der Sommerpause schnelle Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise zugesagt. Sie versprach eine kurzfristige Intervention – etwas, das „sehr schnell ausgelöst werden könnte, vielleicht innerhalb von Wochen“ – und kündigte eine längerfristige „Strukturreform des Energiemarktes“ an, die für das neue Jahr geplant ist. In der Energiebranche finden die Pläne für das Abschöpfen von Gewinnen ein geteiltes Echo – je nachdem, wie stark die Konzerne betroffen sind. Beim Stromverteilnetz-Konzern Eon wird die Forderung nach Abschöpfen von Zufallsgewinnen von Energieproduzenten als „nicht neu“ angesehen und „auch grundsätzlich nachvollziehbar – insbesondere, wenn in einer Krisensituation wie derzeit umfangreiche staatliche Entlastungsmaßnahmen finanziert werden müssen“.
Eon: Wir profitieren nicht
Ein Sprecher des Unternehmens betont jedoch: „Auch wenn Erzeuger aktuell von hohen Preisen profitieren, tut das nicht die ganze Branche. Beispiel sind etwa viele Stadtwerke oder Eon: „Unser Vertriebsgeschäft ist ein reines Margengeschäft, wir müssen höhere Beschaffungskosten irgendwann an unsere Kunden weitergeben – genauso wie der Bäcker, der das Mehl beim Großhandel einkauft, eine Verzehnfachung des Mehlpreises irgendwann weitergeben muss.“ Eon entwickele sich wirtschaftlich gut, aber der Konzern profitiere nicht von höheren Energiepreisen. „Unser Kerngeschäft ist es, Energienetze zu betreiben.“
Der Stromerzeuger RWE findet es „richtig, dass die Bundesregierung diejenigen entlasten will, die die hohen Energiepreise nicht allein tragen können“. Für Konzernchef Markus Krebber steht auch „außer Frage, dass die Unternehmen der Energiewirtschaft hierzu ebenfalls einen Beitrag leisten sollten“. „Am wirkungsvollsten kann das geschehen, indem die Ursache der Energieknappheit durch massive Investitionen in die Energieversorgung und die Energieinfrastruktur des Landes bekämpft wird“, sagt Krebber. „Milliardeninvestitionen der Energiewirtschaft, mit der die Strom- und Gasversorgung robuster und grüner werden kann, brauchen aber verlässliche Rahmenbedingungen.“
RWE: Zeitlich befristen
Kurzfristige Markteingriffe der Bundesregierung, wie die Abschöpfung von sogenannten Zufallsgewinnen, müssten deshalb so gestaltet werden, dass die Funktionsweise des Marktes und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen unter allen Umständen erhalten blieben. Wie bei anderen Maßnahmen auch müssten solche Eingriffe deshalb von vornherein zeitlich befristet werden.
„Bei der konkreten Ausgestaltung darf auch nicht übersehen werden, dass ein großer Teil des Stroms langfristig im Voraus verkauft wurde“, mahnt Krebber. „Rückwirkende Eingriffe in diese Verträge belasten das Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen.“ Auch heute werde der überwiegende Teil des Stroms langfristig an Kunden und über die Börse verkauft. Er unterliege damit nicht den schwankenden Preisen des Tagesmarktes – das schaffe Stabilität. „Der Anreiz für diese Termingeschäfte muss deshalb auf jeden Fall erhalten bleiben, sonst schütten wir das Kind mit dem Bade aus“, warnt Krebber. Die Bundesregierung habe deshalb richtigerweise angekündigt, das zu berücksichtigen. Ebenfalls richtig seien staatliche Hilfen für den Zugang zu Liquidität, die Unternehmen aufgrund der Preisrally für Termingeschäfte aktuell benötigen.
Die Idee einer Übergewinnsteuer zielte zunächst vor allem auf die Produzenten und Händler fossiler Energien. Diese sitzen aber überwiegend im Ausland. Im Entlastungspaket, das die Bundesregierung am vergangenen Sonntag vorgelegt hat, geht es nun auch um diejenigen Firmen oder Personen, die Ökostrom einspeisen. Es wird bei den Stromerzeugern angesetzt. Ihre Zufallsgewinne sollen mit Hilfe einer Abgabe abgeschöpft werden.
„Die Abschöpfung von Zufallsgewinnen ist nur gerecht“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen). Denn Energieunternehmen, die zum Beispiel Wind-, Sonnen-, Kohle- oder Atomstrom produzierten, verdienten nach den aktuellen Mechanismen des europäischen Strommarkts „irrsinnig viel Geld“.
Nun soll nach Plänen der EU eine Preisobergrenze von 200 Euro pro Megawattstunde für besonders profitable Stromerzeuger eingezogen werden. Das wäre etwa die Hälfte des gegenwärtigen Strompreises auf dem deutschen Großhandelsmarkt, der zuletzt bei etwa 440 Euro pro Megawattstunde lag.
Die Differenz aus dem Großhandelspreis für Strom am Spotmarkt zur sofortigen Lieferung und dieser Preisobergrenze soll abgeschöpft und zur Finanzierung eines vergünstigten Preises für den von der Bundesregierung nicht näher definierten Basisverbrauch von Privathaushalten verwendet werden. Den Stromerzeugern, die kein Gas verbrauchen, würde dann die Differenz zwischen der vereinbarten Obergrenze und dem tatsächlichen Marktpreis, den sie für Energie erhalten und der durch den hohen Gaspreis aufgrund der Marktstruktur überhöht ist, in Rechnung gestellt.
Komplexe Umsetzung
Das Modell ist extrem komplex. Das spanische Beispiel – Einführung einer Preisobergrenze für Gaskraftwerke im Strommarkt – verdeutlicht, wie vermeintliche Detailfragen die Umsetzung erschweren. Spanien hat sich im April mit der EU-Kommission darauf geeinigt, den Preis für Erdgas, das in Kraftwerken verwendet wird, zu begrenzen und damit die Strom- und Gaspreise zu entkoppeln. Die Maßnahme begann im Mai für ein Jahr, wobei die Obergrenze bei durchschnittlich 48,80 Euro pro Megawattstunde lag.
Auf den ersten Blick spricht nach Ansicht von Fachleuten einiges dafür, bei der Abschöpfung der Gewinne auf die eingeübten Prozesse aus der EEG-Umlage zu setzen, so wie es im Beschluss des Koalitionsausschusses angedacht ist. In diesem Fall würden die Verbraucher eine auf die jeweilige Kilowattstunde pauschalisierte Gutschrift erhalten. Hierfür spricht insbesondere der wenigstens in Grobzügen überschaubare administrative Aufwand.
Damit würden die Folgen der Gasknappheit teilweise abgefedert: Die europäischen Energiepreise werden durch ein wettbewerbliches sogenanntes „Merit-Order-System“ festgelegt, bei dem das teuerste Kraftwerk, das an einem bestimmten Tag zur Deckung der Nachfrage herangezogen wird, den Großhandelsstrompreis für alle Anbieter bestimmt. Das bedeutet, dass Gaskraftwerke, die in vielen Ländern immer noch benötigt werden, damit die Lichter nicht ausgehen, in der Regel den Großhandelsstrompreis für den Rest des Marktes bestimmen, obwohl Strom aus erneuerbaren Energien billiger produziert werden kann.
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt