Notiert inTokio

Ein sehr japanisches Geschäft

Besonders junge Frauen fallen in speziellen Klubs in Tokio einer Scheinwelt mit vorgespielter Zuneigung und Liebe zum Opfer – eine japanische Variante der Lover-Boy-Methode, um Frauen sexuell auszubeuten.

Ein sehr japanisches Geschäft

Notiert in Tokio

Ein sehr japanisches Geschäft

Von Martin Fritz

Im Tokioter Rotlichtviertel Kabukicho hat die Polizei im Vorjahr 140 junge Frauen wegen Prostitution auf der Straße festgenommen. Knapp die Hälfte davon gab an, sie stottere auf diese Weise Schulden bei einem Host ab. Welche Tragik! Denn ein Host soll Frauen in einen Liebeshimmel versetzen. In der Realität müssen die Host-Kundinnen dann ihren Körper an andere Männer verkaufen, um die Kosten ihres Traums zu bezahlen.

Ein Mann zur Miete

Das englische Wort „Host“ bezeichnet in Japan einen Mann zur Miete. Gemeint ist: In sogenannten Host-Klubs schenken junge, gutaussehende Männer einer Frau Getränke ein, schmeicheln ihr, hören ihren Sorgen zu und muntern sie auf. „Hier fühlen sich die Frauen wie Königinnen“, erzählte mir einmal der Host Maki, ein schlanker 36-Jähriger mit gegeltem Haar, bekleidet mit einem eleganten Armani-Jackett. Auch echter Liebesdienst gehöre zum vollen Service, aber darüber rede man nicht, berichtet er. Sein Schweigen ist verständlich: Der Geschlechtsakt gegen Bezahlung ist in Japan verboten, die Vorstufen sind es nicht.

Am Eingang vieler der über 300 Host-Klubs in Kabukicho hängt eine Rangliste mit den Porträtfotos dieser Toyboys. Je höher ein Host steht, desto beliebter ist er bei den Frauen und desto mehr Geld bringt er in die Kasse. Die Stars verdienen umgerechnet 100.000 Euro im Jahr. Ihr Grundgehalt ist niedrig, aber die Hosts sind mit bis zu 50% an den hohen Umsätzen pro Kundin beteiligt. Die Klubs verkaufen ihre Getränke nämlich zu völlig überteuerten Preisen, etwa eine kleine Flasche Perrier-Mineralwasser für 6.000 Yen (37 Euro).

Exorbitante Preise

Sonderangebote mit dem Konterfei beliebter Hosts – per Flugblatt, Inserat oder über Soziale Medien wie Tiktok, Instagram und Twitter verbreitet – locken frustrierte Hausfrauen, naive Studentinnen und erfolgreiche Geschäftsfrauen in die Klubs, so dass ihnen die exorbitanten Preise erst nicht auffallen. Doch schon beim nächsten Besuch können sich die Kosten für Eintritt, Tisch und Getränke schnell auf mehrere tausend Euro summieren. Dann bieten viele Hosts ihren Kundinnen an, die erste Rechnung selbst zu begleichen, als Geste des guten Willens.

Danach ist es jedoch ein offenes Geheimnis, dass die Schulden mit jedem Besuch immer höher wachsen. Eine junge Frau stand bei ihrem „Gastgeber“ nach Angaben einer Selbsthilfegruppe von Eltern mit unvorstellbaren 90 Mill. Yen (560.000 Euro) in der Kreide. Besonders häufige Opfer seien naive Mädchen im Alter von 18 oder 19 Jahren (die Grenze für Volljährigkeit wurde im April 2022 um zwei Jahre gesenkt), die sich nach einer Beziehung zu einem aus den Medien bekannten Mann sehnen.

Verlockende Welt des Glamours

Auch die 19-jährige Riri besuchte die Host-Klubs, um dort einen prominenten Host zu finden. Sie mochte diese glamouröse Welt, dort fühlte sie sich weniger einsam, nachdem sie in einem Waisenhaus aufgewachsen sei, erzählte sie einer Zeitung. Schließlich verliebte sie sich in einen Host. Aber im Laufe der Zeit wuchsen ihre Schulden durch das „Pay later“-System auf 1,6 Mill. Yen (10.000 Euro).

Erst als ihr Mietmann die erste monatliche Rückzahlung forderte, wurde sie misstrauisch, weil er keine Quittungen für die Einzelbeträge vorweisen konnte. „Ich war betrunken und konnte mich nicht mehr gut erinnern, aber ich begann, die Dinge zu hinterfragen“, sagte sie. Inzwischen ist Riri untergetaucht – die offenbar beste Methode, sich gegen das System zu wehren.

Razzien üben Druck aus

Inzwischen übt die Polizei mit Razzien Druck auf die Klubs aus, da viele ihre Getränkepreise verstecken – was klar illegal ist. Ein erster Erfolg ist schon sichtbar: Ein Betreiber von 19 Host-Klubs in Kabukicho will das Pay-later-System verbieten und Personen unter 20 Jahren den Zutritt untersagen. Was Westler oft nur schwer verstehen: Die Frauen, die für solche Dienste viel bezahlen, lassen sich auf die Illusion ein, dass die emotionale Beziehung ernst gemeint ist. Host und Kundin agieren wie Schauspieler, um eine Scheinwelt zu erschaffen, die anschließend durch die explodierenden Schulden zerstört wird.

Von Martin Fritz
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