LeitartikelEinzelhandel

Eine Auslese im Einzelhandel ist überfällig

Wieder einmal - oder immer noch? - steckt der Einzelhandel in Deutschland vermeintlich in der Krise. Doch es sind vor allem einzelne Segmente wie der Textil- und der Schuhhandel sowie Betriebsformen wie Warenhäuser, die - oftmals selbstverschuldet - um ihre Existenz kämpfen. Der Staat sollte daher dem lauter werdenden Ruf nach Hilfen für die Branche nicht nachgeben.

Eine Auslese im Einzelhandel ist überfällig

EINZELHANDEL

Nur nicht schwach werden

Von Martin Dunzendorfer

Der Forderung nach Hilfen für den Einzelhandel darf der Staat nicht nachgeben. Eine Auslese der Schwachen ist überfällig.

Alarmismus nutzt sich ab. Daher sorgt der vermeintliche Weckruf „Der Einzelhandel steckt in der Krise“ nur noch für gelangweiltes Gähnen. In der Coronakrise mag die Hervorhebung der prekären Lage, in der sich die Branche mit Ausnahme des Lebensmittel-Einzelhandels (LEH) sowie der Bau- und Gartenmärkte befand, nachvollziehbar gewesen sein. Gravierende Umsatzausfälle, verursacht durch geschlossene Geschäfte und lästige Einkaufseinschränkungen für Verbraucher – beides staatlich angeordnet -, waren wirklich eine Sondersituation. Doch heute?

Ja, das Konsumklima in Deutschland ist schlecht. Grund sind die politischen, vor allem aber wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine – allen voran die enormen Preissteigerungen. Der GfK-Konsumklimaindex hat sich zwar seit November vorigen Jahres aufgehellt, aber mit minus 25,7 (Schätzung für Mai) liegt er immer noch weit unter dem Vorkriegsniveau (minus 6,7 im Februar 2022). Entsprechend gering ist das nominale Wachstum im Einzelhandel. Preisbereinigt gehen die Umsätze in fast allen Segmenten zurück; sogar im scheinbar krisenresistenten LEH sind die Erlöse im März und April eingebrochen. Denn die Verbraucher gehen sparsamer mit ihrem Geld um als noch vor einem Jahr. Statt teurer Markenartikel werden günstigere Handelsmarken in den Einkaufswagen gelegt, konventionelle Waren erhalten den Vorzug vor Produkten mit Bio-Label. Auf Impulskäufe wird verzichtet. Vorratskäufe finden nur statt, wenn es um Sonderangebote für Nichtverderbliches geht.

Die hohe Inflation trifft auch die Händler; deren Einkaufspreise und Personalkosten sind enorm gestiegen. Hinzu kommen Kosten für Energie, die 2022 förmlich explodiert sind. Der Gaspreis liegt nach der Überhitzung im Vorjahr inzwischen zwar unter dem Niveau, das vor dem russischen Angriff auf die Ukraine galt, doch wagt niemand die Voraussage, dass diese Marktberuhigung von Dauer ist.

Der Ukraine-Krieg darf aber nicht als Grund für eine wie auch immer geartete staatliche Unterstützung von Einzelhändlern herhalten, die in Schieflage geraten sind. Denn dann ließen sich zahlreiche Szenarien entwerfen, die aufgrund ihrer globalen wirtschaftlichen Folgen ebenfalls ein Eingreifen der öffentlichen Hand zur Folge haben müssten: etwa ein militärisch eskalierender Streit um Taiwan oder Unruhen in Ländern der Golfregion, die den Westen mit Öl und Gas versorgen. Der Ruf von Einzelhändlern und ihren Lobbyisten nach staatlicher Hilfe ist in der gegenwärtigen Lage nur der Ruf nach Sozialisierung entstandener und künftiger Verluste sowie – in letzter Konsequenz – die Forderung einer Existenzgarantie. Dass sich das nicht mit einer Marktwirtschaft, auch nicht mit einer sozialen, in Einklang bringen lässt, liegt auf der Hand.

Überhaupt steckt nicht „der“ Einzelhandel in der Krise, sondern einzelne Segmente wie der Textilhandel (u.a. Adler Modemärkte, Gerry Weber, Esprit, Peek & Cloppenburg und zuletzt der Versandhändler Klingel) und der Schuhhandel (Salamander, Görtz, HR Group/Reno). Darüber hinaus haben sich bestimmte Betriebsformen überlebt – etwa Warenhäuser wie Galeria Karstadt Kaufhof. Schließlich gibt es noch die Unternehmen, die auf Marktveränderungen – etwa das starke Wachstum des E-Commerce – nicht schnell und/oder entschieden genug reagiert haben. Fast immer ist eine heute existenzbedrohende Lage das Ergebnis einer Entwicklung, die lange vor Corona eingesetzt hat. Doch es sind nicht nur die Pleitekandidaten, die nach staatlicher Unterstützung rufen. So reicht manchem profitablen Marktakteur schon die Abflachung der Wachstumskurve im Online-Handel, um sich wie ein Bettelmönch zu gerieren und ein konsumfreundlicheres Umfeld zu fordern – auf staatliche Kosten, versteht sich.

Viele einst pure stationäre Händler haben längst selbst ein zeitgemäßes Online-Angebot. Es ist also nicht allein der virtuelle Handel, der manche von ihnen taumeln lässt. Vielmehr sorgen die unzähligen Angebote im Internet, Vergleichsportale und Kundenbewertungen für eine Markttransparenz, die manchen Anbieter – ob ortsfest oder mobil – als überteuert oder servicefeindlich bloßstellt. Über ihr Ausscheiden aus dem Markt muss sich niemand grämen.

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