Im BlickfeldLockruf der USA

Eine Karawane nach Westen

Die Pläne von Donald Trump zur Stärkung der US-Wirtschaft locken mehr denn je Kapital und Unternehmen an die Wall Street. Damit rückt auch die Kappungsgrenze im Dax erneut ins Rampenlicht, die als künstliche Kursbremse kritisiert wird. Die Augen ruhen auf SAP.

Eine Karawane nach Westen

Eine Karawane nach Westen

Die Pläne von Donald Trump zur Stärkung der US-Wirtschaft locken mehr denn je Kapital und Unternehmen an die Wall Street. Damit rückt auch die Kappungsgrenze im Dax erneut ins Rampenlicht, die als künstliche Kursbremse kritisiert wird. Die Augen ruhen auf SAP.

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Bei allen Risiken und Unwägbarkeiten, die die erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten mit sich bringt, sind sich Kapitalmarktstrategen doch in einem Punkt sehr einig: Die Attraktivität des US-Aktienmarktes wird – zumindest kurzfristig – weiter zunehmen. Dafür spricht nicht nur, dass angesichts von Steuer- und Deregulierungsplänen für die Unternehmen in den USA und Zollhürden für ausländische Konzerne der Ausblick für heimische Firmen „jetzt noch herausfordernder wird“, wie Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der DekaBank, es formulierte. Trotz eines Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) im S&P 500, das bei rund 180% des Dax-Niveaus liegt und sich seit der Jahrtausendwende stetig ausweitet, gibt es nach Ansicht von Uwe Streich von der LBBW dafür auch fundamentale Gründe. „Die Zahl der Gewinnrevisionen im Dax und im Euro Stoxx 50 seit Jahresbeginn liegt für 2024 und 2025 zwischen 7% und 8%. Im S&P 500 sind es dagegen unter 2%“, betont der Aktienstratege gegenüber der Börsen-Zeitung. Die höhere Profitabilität und insgesamt höhere Gewinndynamik sowie der hohe Anteil der wachstumsstarken Tech-Titel stützen aus seiner Sicht den US-Aktienmarkt.

Ins gelobte Land

Der S&P 500, der seit Jahresbeginn um rund ein Viertel zugelegt hatte, womit die Märkte den Wahlausgang in den USA nach Einschätzung von Beobachtern besser antizipiert haben als die Politik, ist seit dem 5. November um weitere 5% gestiegen. Der Optimismus der US-Anleger entfaltet zusammen mit den wirtschaftspolitischen Perspektiven unter Trump eine starke Gravitationskraft, die die USA nicht nur bei Börsengängen als erste Wahl erscheinen lässt, sondern die auch eine verstärkte Orientierung der in Europa ansässigen börsennotierten Gesellschaften ins gelobte Land zur Folge hat.

Das gilt für die hier dünn gesäten Tech-Schwergewichte ganz besonders. Ericsson-CEO Börje Ekholm sagte kürzlich ganz unverblümt in einem Interview, dass ein Umzug des schwedischen Telekomausrüsters, für den die USA der wichtigste Markt sind, „eines Tages gut passieren kann“. Der CEO ließ wissen, Ericsson habe zwar „starke Wurzeln in Europa“, bemängelt aber das wirtschaftliche Umfeld mit „mangelhafter Konsolidierung und zu starker Regulierung“. Das Umfeld macht auch SAP-CEO Christian Klein zu schaffen. Der Chef des einzigen deutschen Softwarekonzerns von Weltrang droht zwar nicht damit, den Unternehmenssitz in die USA zu verlegen, aber ihn treiben doch einige Standortnachteile um. So muss er neidvoll mit ansehen, dass sich Wettbewerber wie Microsoft, Salesforce oder auch Alphabet, an denen sich SAP als Tech-Ikone messen muss, beispielsweise bei einer strategischen Neuausrichtung leichter tun. Denn eine damit verbundene personelle Restrukturierung, die hierzulande ein Kraftakt ist, lässt sich dort vergleichsweise viel leichter umsetzen.

Wieder Makulatur

Darüber hinaus missfallen dem Dax-Schwergewicht, das nach den Worten von Finanzchef Dominik Asam aktiv um US-Anleger wirbt, die weit größere Tickets ausstellen als Investoren in Deutschland oder Europa, auch die Fußfesseln, die dem eigenen Börsenkurs aufgrund der Kappungsgrenze im Dax angelegt sind. Erst vor Jahresfrist wurde eine Erhöhung der Grenze von 10% auf 15% beschlossen, nun ist der vermeintliche Befreiungseffekt für SAP schon wieder Makulator. Per Ende September kam die Aktie des Unternehmens aufgrund der guten Kursperformance schon auf ein Gewicht von 17%. Zum Verkettungstermin Mitte Dezember droht nun eine erneute Kappung. Damit wären Indexfonds und ETFs, die den Dax abbilden, gezwungen, SAP-Aktien zu verkaufen, um den Anteil auf den zulässigen Wert zu reduzieren. Das hat Folgen für alle SAP-Aktionäre, denn Kursgewinne würden gleichsam „bestraft“.

Klumpenrisiken im Index

Damit ist das Thema, das vor wenigen Wochen anlässlich eines SAP-Kursfeuerwerks nach den Quartalszahlen aufgepoppt war, schon wieder auf der Tagesordnung. Dass das nach der erfolgten Erhöhung auf eine Kappungsgrenze von 15%, mit der sich der Dax an europäische Gefährten wie den französischen CAC 40 oder den spanischen Ibex 35 angleicht, so schnell gehen würde, hatten die meisten Marktteilnehmer nicht auf der Rechnung. Dies, zumal ein Übergewicht einzelner Werte im Index auch Anlass zu berechtigter Kritik und Sorge gibt, wie Streich betont: „Die Kappungsgrenze lag früher schon bei 15%. Sie wurde nach dem Platzen der Dot.com-Blase auf 10% gesenkt, nachdem die T-Aktie als Schwergewicht mit einem zeitweiligen Gewicht von 17% den Index in die Tiefe gerissen hatte“, so der Manager.

Aus seiner Sicht spricht diese historische Erfahrung für einen breit diversifizierten Index, weil so die Risikoverteilung verbessert wird. „Die Risiken einzelner Schwergewichte wurden damals nicht erkannt, obwohl der Dax-Anstieg von fast 16% zwischen Ende 1999 und dem 7. März 2000 nur von zehn Werten getragen wurde. Außerdem hatten vier der 30 Dax-Mitglieder, SAP, Mannesmann, Telekom und Siemens, zusammen ein Gewicht von 42,2%. Das war damals schon eine Tech-Blase“. Denn es wurde übertüncht, dass die marktbreite Entwicklung im Dax bereits abwärtsgerichtet war. „Schließlich sanken in dieser Phase bereits 20 der 30 Indexmitglieder. 15 um mehr als 10%. Und hiervon neun sogar um mehr als 20%“, erläutert der Experte. Ein Index müsse ein Korb sein, nicht gleichzusetzen mit einem Einzelunternehmen.

Ganz ähnlich ist bisher die Haltung des Fondsverband BVI, der ebenfalls am historischen Beispiel der T-Aktie darauf hinweist, dass eine „weitere Anhebung der Kappungsgrenze im Dax (...) nicht zu einer höheren Marktattraktivität“ beitrage. Dennoch ist die Meinungsbildung in der Fondsbranche, die durch die in Europa geltende Ucits-Regel bei aktiven Fonds gehindert wird, bei Einzelwerten mehr als 10% zu allokieren, und die daher eine erhöhte Kappungsgrenze bisher gar nicht ausschöpfen kann, nun wieder im Fluss. Denn angesichts der nun nochmals erhöhten Anziehungskraft der US-Aktienmärkte sind einige Kapitalmarktteilnehmer der Meinung, dass eine Fußfessel bei den Kursen so ziemlich das Letzte ist, was der Dax gebrauchen kann.

Union Investment denkt neu

Ein Exit von SAP wäre für den Finanzplatz nicht nur aus Sicht der Deutschen Börse – die bereits das Flaggschiff Linde verloren hat – ein Fanal, das lässt eine der größten hiesige Fondsgesellschaften Union Investment durchblicken: „Sollte SAP dem Dax den Rücken kehren, wäre das ein herber Verlust für den Dax und den Finanzplatz Frankfurt. Damit wäre eine der wenigen namhaften Investitionsmöglichkeiten im europäischen Softwaresektor für europäische Fonds nicht mehr zugänglich“, so Benjardin Gärtner, Leiter Portfoliomanagement Aktien. Er fordert eine „Gleichbehandlung“ durch „identische Regeln wie bei ETFs, die derzeit auch Indizes abbilden können, bei denen Werte mehr als 10% Anteil haben. Daher unterstützen wir ein Gleichziehen und eine Anhebung der Ucits-Grenze auf 15%.“

Dies unterstützt auch die Deutsche Börse, die in einer eigenen Analyse zu dem Schluss gekommen ist, dass die Kappungsgrenze nur geringen Einfluss auf die Handelsvolumina hat. Sie führt aus, dass der Verkaufsdruck in der Aktie selbst dann in Grenzen halten würde, wenn die SAP-Aktie im Quartal eine im historischen Vergleich extreme Outperformance hinlegen. Dies sieht im Moment durchaus danach aus. J.P. Morgan beziffert das aktuelle Gewicht der Aktie im Dax mit 16,3%. Die Börse rechnet gleichwohl vor: In einem Szenario, bei dem zum Stichtag Ende November ein Gewicht von 17,34% festzustellen wäre, dürfte sich selbst dann die Zahl der SAP-Aktien, die Indexfonds oder ETFs dann am Tag der Implementierung am 20. Dezember abstoßen müssten, auf 1,57 Millionen Stücke belaufen, mithin nur 0,14% der Free-Float-Marktkapitalisierung des Walldorfer Softwareriesen. Die 10-Prozent-Grenze durch Ucits dürfte größere Auswirkungen haben als die Kappung, heißt es daher.

Lippenbekenntnisse

Hinter vorgehaltener Hand ist aus der Branche allerdings auch zu hören, dass Beteuerungen von SAP, man werde dem Dax treu bleiben, vielfach als Lippenbekenntnis gewertet werden, und das selbst dann, wenn die Kappungsgrenze schließlich auf 20% oder hypothetisch noch darüber angehoben würde. „Es liegt im Ermessen der Unternehmen, den aus ihrer Sicht besten Platz für eine Börsennotierung auszuwählen; hier spielen etwa auch Fragen der Steuer- und Rechnungslegung eine Rolle, bei denen ein Finanzplatz im Alleingang wenig ausrichten kann“, merkt Gärtner an. Auch Linde hatte lange Zeit einen Rückzug aus dem Dax von sich gewiesen. Doch zog der US-Markt stärker, wobei bei Linde auch eine Rolle gespielt haben dürfte, dass sich das Unternehmen durch den Merger mit Praxair gleichsam „amerikanisiert“ hat.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.