LEITARTIKEL

Einmal nichts tun

Wieder einmal ist der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) gewaltig, ihre Geldpolitik weiter zu lockern - und wieder einmal scheinen die Notenbanker grundsätzlich willens, dieses Spiel mitzuspielen. Pikanterweise aber haben ausgerechnet...

Einmal nichts tun

Wieder einmal ist der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) gewaltig, ihre Geldpolitik weiter zu lockern – und wieder einmal scheinen die Notenbanker grundsätzlich willens, dieses Spiel mitzuspielen. Pikanterweise aber haben ausgerechnet EZB-Granden selbst bei ihren raren Auftritten in der Sommerpause eigentlich die besten Argumente geliefert gegen übertriebenen und überstürzten Aktionismus. Diese sollte der EZB-Rat beherzigen – und sich morgen einmal im Nichtstun üben.Beispiel Peter Praet: Der EZB-Chefvolkswirt sprach vor wenigen Tagen von “ermutigenden Signalen der Widerstandsfähigkeit” der Euro-Wirtschaft nach dem Brexit-Votum. Tatsächlich hat sich die Entscheidung nicht als der befürchtete Knock-out für die Euro-Wirtschaft entpuppt. Nun ist es sicher auch für Entwarnung zu früh. Aber wahrscheinlich ist die Gefahr realer, dass der Brexit langfristig die Wachstumsperspektiven dämpft, als dass er kurzfristig zur Schockstarre führt. Umso dringlicher aber ist es, dass die Politik mit fundamentalen Entscheidungen zur Zukunft Europas sowie wachstumsfördernden Strukturreformen dagegenhält und endlich aufhört, die Probleme auszusitzen. Die Geldpolitik ist da schlicht überfordert. Alles in allem aber hat sich vorerst an dem Bild einer anhaltenden Wirtschaftserholung in Euroland mit einem Wachstum nahe der Potenzialrate kaum etwas geändert. Zwingender Handlungsbedarf besteht also für die EZB aktuell nicht.Beispiel Benoît Coeuré: Das EZB-Direktoriumsmitglied attestierte jüngst den geldpolitischen Maßnahmen der Notenbank einen positiven Effekt, warnte aber zugleich, dass es eine Situation geben könne, “in der die Nebenwirkungen so sind, dass die negativen Konsequenzen überwiegen”. Tatsächlich drängt sich längst der Eindruck auf, dass die Risiken zunehmend dominieren. In Euroland zeigt sich das bei den Negativzinsen, die nicht nur die Banken strapazieren, sondern auch Konsumenten und Unternehmen kirre machen. Aber auch die Staatsanleihekäufe treiben irre Blüten, wenn selbst Italien billiger an frisches Geld kommt als die USA. Coeurés Wortmeldung war ein Hilferuf an die Politik. Die EZB sollte das aber auch als Mahnung an sich selbst nehmen. Inzwischen warnt sogar die Zentralbank der Zentralbanken BIZ mit Blick auf EZB & Co., dass der Punkt erreicht sein könnte, an dem die Geldpolitik mehr schadet als nutzt. Das muss auch der EZB Warnung sein.Beispiel Yves Mersch: Coeurés Direktoriumskollege sprach sich nun gegen “extreme Maßnahmen” der Notenbank aus, die das Vertrauen in eine Währung untergraben könnten. Tatsächlich sollte die EZB tunlichst die Hände lassen von absurden Ideen wie dem Helikoptergeld, aber auch vom Aktienkauf. Nicht nur, dass die ökonomische Ratio fragwürdig ist – die Signale könnten verheerend sein. Allerdings ist auch der bisherige Kurs schon extrem. Und es ist sehr fraglich, ob es angemessen ist, dass die Geldschwemme heute noch gewaltiger ist als zum Höhepunkt der Weltfinanzkrise – erst recht, da die Geldpolitik nicht so wirkmächtig ist wie gedacht und wie in früheren Zeiten. Die EZB sollte jedenfalls ohne ein reales Risiko einer deflationären Abwärtsspirale in Euroland den Einsatz nicht immer weiter erhöhen.Und noch einmal Beispiel Praet: Der EZB-Chefvolkswirt warnte kürzlich auch vor einer “zu engen Interpretation” des Inflationsziels von unter, aber nahe 2 %. Tatsächlich sollte die EZB die Flexibilität ihrer Strategie (“mittelfristig”) nutzen und viel besser kommunizieren, warum es nach dem Platzen einer Schuldenblase und in Zeiten eines rasanten Ölpreisverfalls eben länger dauert, das Ziel zu erreichen – statt mit einer Koste-es-was-es-wolle-Politik die Inflation “so schnell wie möglich” (EZB-Präsident Mario Draghi) wieder auf 2 % zu treiben. Natürlich muss die EZB auch ihre Glaubwürdigkeit schützen. Aber die leidet noch viel mehr, wenn die EZB in immer kürzeren Abständen erfolglos gegen die Mini-Inflation ankämpft und die Illusion schürt, sie könne Inflation und Inflationserwartungen kurzfristig feinsteuern. Die EZB hat sich längst viel zu sehr von der Kurzatmigkeit der Finanzmärkte anstecken lassen. Geldpolitik muss langfristig orientiert sein.Letztlich wird die EZB wohl kaum umhinkommen, ihr 1,74-Bill.-Euro-Wertpapierkaufprogramm (Quantitative Easing, QE) über März 2017 hinaus zu verlängern, wenn sie nicht riskieren will, mit einem abrupten Ende für Marktturbulenzen zu sorgen. In dem Fall muss sie aber den Exit endlich mitdenken. Sie sollte sich zudem nicht weiter treiben lassen, sondern jetzt Geduld zeigen, bis sich auch der Nebel des Brexit-Votums sowie des bevorstehenden Italien-Referendums und der US-Wahl gelegt hat. In jedem Fall sollte sie sich nicht voreilig in immer verzweifelter anmutende Abenteuer stürzen – sondern sich die eigenen Worte dick ins Gebetbuch schreiben.——–Von Mark SchrörsFührende Euro-Notenbanker haben selbst die besten Argumente geliefert gegen neuerlichen Aktionismus der EZB. Jetzt müssen sie ihre Worte auch beherzigen.——-