Ernüchterung in Gütersloh
Ernüchterung macht sich in Gütersloh breit. Waren mit dem Wechsel an der Bertelsmann-Spitze von Hartmut Ostrowski auf Thomas Rabe hohe Erwartungen verknüpft, ist zweieinhalb Jahre später vom erhofften Aufbruch in eine neue Ära kaum noch etwas zu spüren. Im Gegenteil: Erst in der vergangenen Woche kassierte der seit 2012 amtierende Vorstandschef die Prognose für den laufenden Turnus. Aus dem im Vorjahr vollmundig angekündigten Umsatzsprung auf 18 Mrd. Euro – er sollte sich 2014 allein aus Portfolioeffekten ergeben – wurden Anfang des Jahres 17,3 Mrd. Euro. Inzwischen ist sogar fraglich, ob die Schwelle von 17 Mrd. Euro überschritten wird. Ganz zu schweigen von den 20 Mrd. Euro, die Rabe als Erlösziel nannte, das spätestens 2017 erreicht werden sollte.Das Dynamik verheißende Schlagwort von der “digitalen Transformation”, das auch heute noch gebetsmühlenartig wiederholt wird, will so gar nicht zur operativen Tristesse passen. Das im ersten Halbjahr gezeigte Umsatzwachstum ist nämlich ausschließlich einem Konsolidierungseffekt im Verlagsgeschäft geschuldet. Rabe hatte den Buchverlag Random House mit Penguin Books zusammengebracht. Seit Juli 2013 wird das Geschäft komplett konsolidiert, obwohl Bertelsmann nur 53 % der Anteile hält. Immerhin resultierte die gewünschte Bilanzverlängerung. Diese täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass sich der Medienkonzern organisch auf Schrumpfkurs befindet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Konsolidierung nur den Konzernumsatz aufbläht, denn schon auf Ebene des operativen Konzernergebnisses – wohlgemerkt vor Sonderlasten – kommt davon nichts mehr an, weil andere Segmente schwächeln.Noch unbefriedigender fällt die Bilanz aus Sicht der Bertelsmann-Aktionäre aus, wird hier doch der Konsolidierungseffekt eliminiert. Das hat recht unschöne Folgen, wie der Halbjahresbericht offenlegt. Denn im Sechsmonatszeitraum entfiel erstmals der Großteil des Konzernergebnisses auf die Minderheitsgesellschafter, während den Familiengesellschaftern nur noch 48 % zustanden. Hinzu kommt, dass der Ergebnisrückgang – er ist vornehmlich Ausfluss diverser Sondereffekte – zu großen Teilen von den Bertelsmann-Eignern zu schultern ist. Folglich verringerte sich das ihnen zustehende Ergebnis in den ersten sechs Monaten um 60 %, während der den Minderheitsgesellschaftern zufallende Gewinn um 18 % wuchs.Kein Wunder, wenn inzwischen schon wieder munter spekuliert wird, wie lang Rabe noch an der Konzernspitze steht. Dabei hatte der gewiefte Finanzstratege Wege gefunden, die finanziellen Fesseln abzustreifen. Die unter Vorgänger Ostrowski ausgegebene Devise, die private Eigentümerschaft determiniere das Geschäft, sollte der Vergangenheit angehören. Zwar wurde aus dem zur Wachstumsfinanzierung geplanten IPO in der Rechtsform der KGaA nichts, doch schwenkte Rabe schnell um. Anstatt einer Kapitalerhöhung zur Wachstumsfinanzierung wurde Eigenkapital eben auf Ebene der Segmente – konkret bei der TV-Tochter RTL – geschöpft.Bevor die Beteiligung an RTL auf 75 % abgeschmolzen wurde, gönnte man sich in Gütersloh via Sonderausschüttung zunächst einen großen Schluck aus der Pulle – satte 1,5 Mrd. Euro. Aus dem Aktienverkauf kamen nochmals 1,5 Mrd. Euro (brutto) hinzu.Zugegeben, ein Teil der Mittel wurde in den Kauf der Mehrheitsbeteiligung am Musikrechteverwerter BMG gesteckt. Für den angekündigten Umsatzsprung ist das jedoch zu wenig. Anstatt sich im Bildungsgeschäft, das bekanntermaßen als dritte Säule neben Medien und Dienstleistungen aufgebaut werden soll, mit einer nennenswerten Akquisition in Position zu bringen, verlegte sich Bertelsmann aufs Klein-klein und steckte einige hundert Mill. Euro in auf Bildung spezialisierte Venture-Fonds.Doch man sollte sich nicht täuschen: Um den Medienriesen wieder auf den Wachstumspfad zurückzuführen, bedarf es keines neuen Gesichts an der Konzernspitze, sondern des unternehmerischen Mutes. Dieser scheint der Familie unter Vorsitz von Liz Mohn allerdings abhanden gekommen zu sein. Denn während der Vorstand freie Hand hat, wenn es um Desinvestitionen und Sparkonzepte geht, wird ihm auf die Finger geklopft, sobald es um milliardenschwere Akquisitionen geht. Die mit kleineren Investitionen in Venture Capital einhergehenden Risiken werden dagegen ausgeblendet. Keine Frage, dass Firmenkäufe derzeit teuer sind, doch die Alternative, die angehäufte Kriegskasse auf Festgeldkonten zu bunkern, ist keine.——–Von Annette BeckerUm Bertelsmann auf den Wachstumspfad zurückzuführen, bedarf es keines neuen Gesichts an der Konzernspitze, sondern des unternehmerischen Mutes der Eigentümer.——-