LeitartikelFTX-Pleite

Es geht nicht nur um Sam Bankman-Fried

Der Fall der Kryptobörse FTX lässt sich nicht allein auf kriminelle Energie ihres Gründers zurückführen. Das Versagen sitzt tiefer.

Es geht nicht nur um Sam Bankman-Fried

Es geht nicht nur um Bankman-Fried

FTX-Pleite

Von Jan Schrader

Der Fall der Kryptobörse FTX lässt sich nicht allein auf kriminelle Energie ihres Gründers zurückführen. Das Versagen sitzt tiefer.

Alle Augen sind auf Sam Bankman-Fried gerichtet. Im Prozess in New York sprach die Jury den ehemaligen Chef der kollabierten Kryptobörse FTX in allen sieben Anklagepunkten des Betrugs und der Verschwörung schuldig. Der Urteilsspruch folgt planmäßig im März, eine langjährige Gefängnisstrafe zeichnet sich ab. Wut und Hohn der Masse sind groß. Etwa 8 Mrd. Dollar, die Kunden bei FTX hinterlegt hatten, waren nicht auf Anhieb auffindbar. Doch wie auch immer das finale Urteil ausfällt: Es geht hier nicht allein um das Werk eines mutmaßlich betrügerischen Firmenlenkers und Ex-Milliardärs. Das Versagen reicht tiefer.

Die Beliebigkeit, mit der Bankman-Fried offenbar viel Geld hin und her schob, ist auch das Versagen eines Unternehmens. FTX und der zugehörige Hedgefonds Alameda Research waren als Konzerneinheiten untrennbar. Der junge Magnat umgab sich mit Gleichgesinnten, eine Kontrolle fand kaum statt. Ein Finanzbereich, ein Risikomanagement oder eine Compliance-Abteilung hatten sich in dem jungen Unternehmen nicht etabliert. Eine saubere Bilanzierung gab es ohnehin nicht. "Noch nie in meiner Laufbahn habe ich ein so vollständiges Versagen der Unternehmenskontrollen und ein so vollständiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen erlebt wie hier", schrieb der Insolvenzverwalter. Einmal mehr zeigt sich der Wert von Aufgabenteilung, Kontrolle und Transparenz in der Unternehmenswelt.

Die Risikowahrnehmung von Bankman-Fried und Konsorten war dabei grotesk. Eine Flucht von Kunden ist für eine Kryptobörse eigentlich ein offensichtliches Risiko. Selbst Banken, die ihr Geschäft mit Liquiditätspolster und Einlagensicherung abschirmen müssen, sind vor einem Bank Run nicht immer gefeit. Für eine Kryptobörse, in der Trader Geld hinterlegen, um riskante Geschäfte zu tätigen, gilt dies umso mehr. FTX hätte sich absichern müssen. Doch ohne gesunde Unternehmensführung geht der Blick fürs Wesentliche verloren.

Die Kryptobranche muss anerkennen, wie gefährlich ihr Agieren im nahezu unregulierten Raum tatsächlich war. Zahlreiche Hackingangriffe mit teils irrwitzig hoher Beute zeugen davon. Auch FTX war hier keine Ausnahme. Kryptoassets haben ihre Berechtigung. Doch ihr Habitat sollte ein reguliertes Finanzwesen sein. Es ist paradox: Bankman-Fried setzte sich als Unternehmer für einen rechtlichen Rahmen für Kryptobörsen in den USA ein. Doch er nutzte die fehlende Kontrolle im Unternehmen wohl zu seinem Vorteil.

Eine Warnung muss die FTX-Pleite auch für Philanthropen sein: Bankman-Fried hatte sich dem Utilitarismus verschrieben. Sein Vermögen wollte er erklärtermaßen spenden, um das größtmögliche Gute zu erreichen oder das Schlechte zu vermeiden – in den Augen des Physik-Absolventen am MIT nicht zuletzt ein mathematisches Projekt, gleichsam einer Nutzenfunktion. Er sah sich als Teil der Bewegung der "effektiven Altruisten" und war vernarrt in die Idee, existenzielle Risiken der Menschheit zu adressieren. Moralische Skrupel, mit Kundengeld zu hantieren, hatte er hingegen offenbar nicht. Und "effektiv" war das beliebige Austeilen von Geld, darunter an zahlreiche Politiker, ebenfalls nicht. Auch Spenden brauchen einen organisatorischen Rahmen und Kontrolle. Schon gar nicht dürfen sie aus fremdem Geld fließen.

Doch eine Debatte über Unternehmensführung, Kryptoregulierung und Philanthropie ist bereits in den Hintergrund gerückt. Verlockend ist vielmehr die Geschichte über die Figur Bankman-Fried: Ein rasanter Aufstieg, Hochmut, kriminelle Energie, ein tollkühnes Wagnis und am Ende ein tiefer Fall – Bankman-Fried wird vermutlich oft mit Figuren wie Jan Marsalek, Bernie Madoff und dem "Wolf der Wall Street" Jordan Belfort in einem Atemzug genannt werden. Der Stoff ist filmreif: Ein mathematisch begabter Außenseiter, ein Chaot und Nerd, der als Milliardär plötzlich im Mittelpunkt stand. Eine komplizierte Liebe mit der ebenfalls jungen Chefin von Alameda, Caroline Ellison, die wie auch die anderen ehemaligen Weggefährten Gary Wang und Nishad Singh vor Gericht gegen Bankman-Fried aussagte. Ein Drama! Doch es gibt viel mehr, was zur FTX-Pleite gesagt werden muss.

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