Triumph der Anarchisten
Notiert in Washington
Triumph der Anarchisten
Von Peter De Thier
Über die "Zustimmungsraten", die sogenannten "approval ratings", von US-Präsidenten wird jede Menge geschrieben. So lassen uns Umfragen wissen, dass deutlich weniger als die Hälfte der Amerikaner mit der Amtsleistung des amtierenden Regierungschefs Joe Biden zufrieden sind. Auch, dass sein Vorgänger Donald Trump schlechte Noten bekommt, aber trotzdem gute Chancen hätte, Biden in einem direkten Duell zu bezwingen. Weniger bekannt ist aber die Tatsache, dass nur 20% der Wähler mit den Abläufen im Kongress zufrieden sind. Das Drama um den abgewählten "Speaker of the House" Kevin McCarthy liefert ein weiteres Beispiel dafür, warum das Parlament in der ältesten Demokratie der Welt im öffentlichen Ansehen einen Tiefpunkt erreicht hat.
Auf der einen Seite hat sich McCarthy seinen Niedergang selbst zuzuschreiben. Fiskalisch konservativen Hardlinern in der eigenen Partei hatte er versprochen, sich für Ausgabenkürzungen einzusetzen, einigte sich dann aber mit dem Weißen Haus auf das Gegenteil. Der jüngste Deal mit Demokraten, der insofern verdienstvoll und politisch pragmatisch war, als er einen "Shutdown", also einen Verwaltungsstillstand verhindern konnte, brachte dann bei rechtsgerichteten Republikanern das Fass zum Überlaufen. Sie sorgten dafür, dass zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte der mächtigste unter den Kongressabgeordneten seines Amtes enthoben wurde.
Umstrittener Drahtzieher
Dabei kann das Tauziehen um Sparmaßnahmen und die Möglichkeit eines Shutdowns nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese den Hardlinern, allen voran dem Drahtzieher Matt Gaetz, lediglich als Vorwand dienten. Gaetz, der seit 2017 im Repräsentantenhaus sitzt, sorgte vorletztes Jahr für Schlagzeilen, als das Justizministerium wegen "sex trafficking", also sexuellen Menschenhandels, gegen ihn ermittelte. Ein früherer Kumpel des Republikaners, der selbst hinter Gittern sitzt, sagte, dass Gaetz ein 17-jähriges Mädchen dafür bezahlt habe, ihn auf Reisen zu begleiten. Auch soll er seinen Kollegen im Kongress Nacktfotos von jungen Damen gezeigt und mit Details seiner sexuellen Eskapaden angegeben haben.
Zwar reichten die Beweise wegen angeblichen Menschenhandels nicht aus, um Gaetz anzuklagen. Gleichwohl führte sein ramponierter Ruf sogar dazu, dass der Republikaner, ein glühender Anhänger des ehemaligen Präsidenten Donald Trump, in Mar-a-Lago Hausverbot erhielt. So gesehen entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ein Mann, der auch im Kongress als schattige Figur angesehen wird und vor wenigen Jahren noch um seinen Job bangen musste, sich nun durch einen Coup in Szene setzen konnte, der das politische Tagesgeschäft in Washington zum Stillstand brachte.
Keine brauchbaren Alternativen
Vergessen werden sollte dabei nicht, dass Gaetz und andere Vertreter des rechten Parteiflügels nicht aus politischer Überzeugung handeln. Sie verstehen sich im Kern als Anarchisten, die Chaos auslösen wollen, ohne konstruktive Alternativen zum Status quo zu bieten. Dies zeigt sich schon daran, dass Gaetz überhaupt nicht daran gedacht hat, wer nach der Abwahl McCarthys das Machtvakuum füllen könnte. Die Dysfunktionalität im Kongress, wo die Verabschiedung dringend notwendiger Gesetze – unter anderem eines neuen Staatshaushalts – unmöglich erscheint, ist nämlich nicht nur eine Manifestation der tiefen Kluft zwischen Republikanern und Demokraten.
Der Stillstand spiegelt zudem einen Zustand wider, den der demokratische Fraktionschef Hakeem Jeffries als "Bürgerkrieg unter den Republikanern" bezeichnet. Ein Bürgerkrieg zwischen politisch gemäßigten Republikanern, die auch zu Kompromissen mit Demokraten bereit sind, und Hardlinern, die lediglich Unruhe stiften wollen. Die Moderaten sind zu Recht besorgt, denn sie wissen, dass die Politikverdrossenheit der Wähler einen Höhepunkt erreicht hat und sie als Folge dieses Etappensiegs der Anarchisten im kommenden Wahljahr einen hohen Preis zahlen könnten.