Extremismus und Intoleranz als Standortrisiko
Extremismus und Intoleranz als Standortrisiko
Immer mehr Ökonomen und Vertreter der Wirtschaft warnen vor den Gefahren, die der stetige Aufstieg der AfD mit sich bringt. Bislang werden sie aber kaum gehört, wie die jüngsten Landtagswahlen in Hessen und Bayern zeigen.
Von Andreas Heitker, Berlin
Robert Lambrou, Co-Chef der AfD Hessen, und Bundessprecherin Alice Weidel jubeln über das Ergebnis der Landtagswahlen.
Die Wahlergebnisse sprachen am Sonntag eine eindeutige Sprache: Bei beiden Landtagswahlen konnte die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD) deutlich zulegen. In Bayern ist die Rechtsaußenpartei jetzt die dritt-, in Hessen sogar die zweitstärkste politische Kraft. In bundesweiten Umfragen kommt die AfD mittlerweile auf Zustimmungsraten jenseits der 20%-Marke. Und Stand heute könnte sie bei den drei wichtigen ostdeutschen Landtagswahlen im kommenden September sogar die meisten Stimmen auf sich vereinen. Ko-Bundessprecherin Alice Weidel jubelte am Wochenende bereits, ihre Partei sei längst kein Ost-Phänomen mehr, sondern eine „gesamtdeutsche Volkspartei“, die auch Regierungsverantwortung übernehmen wolle.
Rechtspopulisten, die der Verfassungsschutz als extremistischen Verdachtsfall einstuft, auf Regierungsbänken in Bund und/oder Ländern? Selbst wenn es nicht so weit kommt, ist Marcel Fratzscher besorgt: „Die Stärke der AfD an der Wahlurne ist eine erhebliche Bedrohung für Wirtschaft und Wohlstand in Deutschland, wenn die demokratischen Parteien nun noch stärker versuchen, AfD-Positionen zu kopieren“, warnt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Dies gilt insbesondere für die Wirtschafts- und Klimapolitik und die Migrationspolitik, bei denen eine rückwärtsgewandte Politik zu einer Abwanderung von Unternehmen und einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen wird.“
Gesellschaftliches Klima in Gefahr
Das DIW hatte zusammen mit den anderen führenden Wirtschaftsforschungsinstituten in Deutschland bereits in der Ende September vorgelegten Gemeinschaftsdiagnose ausdrücklich auf das veränderte politische Klima im Land und die Ausbreitung extremen Gedankengutes hingewiesen. Derzeit gerate etwas in Gefahr, das bis vor kurzem in Deutschland als selbstverständlich galt: ein gesellschaftliches Klima, welches Haushalten und Unternehmen das Vertrauen gebe, dass die Grundregeln unserer Gesellschaft allgemein akzeptiert würden und dass diese Regeln deshalb auch in Zukunft Bestand hätten, hieß es hier.
Die Ökonomen sehen den zunehmenden Extremismus sowohl auf rechter wie auf linker Seite. Im Fokus steht aktuell aber ganz ausschließlich eine Partei im Höhenflug. „Mögen die unmittelbaren Konjunkturrisiken dieser Tendenz auch begrenzt sein, so gehen von ihr doch erhebliche Risiken für die langfristigen Wachstums- und Wohlstandsaussichten aus“, warnte bei der Vorstellung der Gemeinschaftsdiagnose der Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Oliver Holtemöller, etwa mit Blick auf migrationsfeindliche Einstellungen.
Auch Finanzwirtschaft besorgt
Einige führende Köpfe der deutschen Wirtschaft – vom Evonik-CEO Christian Kullmann bis zum Daimler-Truck-Chef Martin Daum – haben in den vergangenen Wochen in den Chor der Warner eingestimmt. Auch die Führung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) positioniert sich jetzt öffentlich: Demokratie, Freiheit, Offenheit, Respekt und Vielfalt, Chancen für alle, Soziale Marktwirtschaft und Einbettung Deutschlands in die Europäische Union seien die Grundfesten des Landes und der Gesellschaft, stellen Präsident Siegfried Russwurm und Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner in dieser Woche gemeinsam klar.
Die internationale Vernetzung der deutschen Industrie in aller Welt sei zudem „ein entscheidender Faktor für unseren Wohlstand und den Erfolg unserer Wirtschaft“. Und die AfD hat nach Einschätzung von Russwurm und Gönner „zu wesentlichen Teilen dieser Prinzipien und zu den Grundfesten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein unklares, teils ablehnendes bis feindliches Verhältnis“.
In der Finanzwirtschaft wird ähnlich argumentiert. „Kaum ein Sektor ist so international ausgerichtet wie der Finanzsektor“, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Heiner Herkenhoff. „Das sehen wir als Verpflichtung an, uns nachdrücklich gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine pluralistische Gesellschaft auszusprechen.“ Auch Herkenhoff warnt, dass eine Stärkung populistischer und extremistischer Parteien nicht nur das demokratische System untergrabe, sondern auch den Interessen von Arbeitnehmern und Wirtschaft zuwiderlaufe.
Der Unternehmer und Politiker Harald Christ sieht mit Genugtuung, dass sich mittlerweile auch namhafte Vertreter der deutschen Wirtschaft trauen, sich öffentlich gegen den Populismus der AfD zu positionieren und darauf hinzuweisen, dass die Partei den Standort und damit auch den Wohlstand in Deutschland gefährdet. „Da ist in jüngster Zeit einiges in Bewegung gekommen“, sagt Christ im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Und das sei auch gut so: Zuvor habe er zu oft registriert, dass ihm für sein Eintreten gegen rechte Extremisten zwar persönlich, aber nicht öffentlich Zustimmung gezeigt wurde – offenbar aus Angst, selbst in die Schusslinie zu geraten. „Das ist eine gefährliche Entwicklung in einer Demokratie“, warnt der 51-Jährige.
International im Fokus
Christ, Ex-Mitglied der Sozialdemokraten und später eine Zeitlang Bundesschatzmeister der FDP, der heute eine eigene Beratungsfirma führt und unter anderem im Aufsichtsrat der Commerzbank sitzt, bezieht in seinen Netzwerken schon lange sehr klar Stellung gegen rechts und musste daher auch schon den einen oder anderen Shitstorm überstehen. Vor kurzem machte er mit einer Spende von gut 250.000 Euro an die Union und die Ampel-Parteien von sich reden. Es ging ihm darum, ein Zeichen für die Parteiendemokratie zu setzen, wie er betont. Die Linke und die AfD erhielten kein Geld.
Die aktuelle öffentliche Positionierung gegen rechte Populisten reicht Christ noch längst nicht aus. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das Bild, das wir in Deutschland abgeben, entscheidend ist für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts und international sensibel verfolgt wird“, sagt er. Verbände, Zivilgesellschaft, Wissenschaftler, Familienunternehmer und Konzernchefs müssten daher der eigenen Vorbildfunktion gerecht werden, sich immer wieder zu Wort zu melden und Gesicht und Haltung zeigen. „Denn am Ende geht es auch um die Beschäftigten selbst und nicht zuletzt um den Wert der Unternehmen, der beeinträchtigt wird, wenn in Deutschland zu wenig investiert wird oder die notwendige qualifizierte Zuwanderung ausbleibt.“
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat in einer Befragung der Hauptgeschäftsführer der deutschen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände versucht, ein etwas genaueres empirisches Stimmungsbild zu den erwarteten Auswirkungen des AfD-Aufschwungs zu zeichnen. Die Kölner kamen dabei zu dem Schluss, dass mit Ausnahme der abschreckenden Wirkung auf ausländische Fachkräfte in AfD-Hochburgen die akuten Auswirkungen noch immer als relativ gering eingeschätzt werden. Da werden als Standortrisiken eher die unzureichende Digitalisierung, die Bürokratie oder die hohen Abgaben genannt.
Die Aufgaben der Ampel
Langfristig werden die Gefahren in den Verbänden deutlich höher gesehen – stärker allerdings noch hinsichtlich der politischen Kultur und der politischen Handlungsfähigkeit in Bund und Ländern als in wirtschaftlicher Sicht. In der im September veröffentlichten Umfrage sehen aber immerhin 68% der Befragten ein „hohes Risiko“ auf lange Sicht im Bereich der Fachkräftesicherung, 62% mit Blick auf den Bestand von Europäischer Union und Euro, 60% allgemein für den Wirtschaftsstandort. Und Freihandelsabkommen sehen immerhin noch 55% der Hauptgeschäftsführer durch den AfD-Höhenflug in Gefahr.
Bei der Frage, wie konkret diesen Risiken begegnet werden kann, verweisen Ökonomen und Verbandschefs als Erstes auf die Bundesregierung. „Die beste Antwort auf die Stärke der AfD ist eine zukunftsorientierte Politik, auch in Bezug auf Wirtschaft und Investitionen, um Menschen Perspektiven und Chancen zu eröffnen“, meint DIW-Präsident Fratzscher. Und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger verwies schon im Juli gegenüber dpa auf das Beispiel Klimaschutz: Hier müssten alle Bürger mitgenommen werden, denn aktuell fühlten sich viele überfordert oder bevormundet. „Wenn wir es schaffen, uns als Gesellschaft wieder näherzukommen, dann nehmen wir den Spaltern den Wind aus den Segeln.“ Das IW verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Landtagswahlen in Bayern und Hessen erneut gezeigt hätten, dass die AfD in Industrieregionen, die von der Transformation betroffen sind, am stärksten dastehe.
Das etwas passieren muss, davon ist auch Harald Christ überzeugt. Er verweist im Gespräch darauf, dass er von immer mehr Menschen – von Vermögenden oder Unternehmern – Überlegungen hört, das Land zu verlassen – nicht nur, aber auch aufgrund der derzeitigen politischen Lage. Christ ist deshalb aktuell dabei, eine Initiative zu organisieren, um zusammen mit Multiplikatoren, CEOs oder Aufsichtsräten die Gefahren von politischem Extremismus stärker auf die öffentliche Agenda zu bringen. „Ich will nicht einfach tatenlos am Schreibtisch sitzen und den Populisten das Feld überlassen“, sagt er. Denn seit den Landtagswahlen in Bayern und Hessen sei auch klar, dass es sich bei dem Zuspruch für die AfD um kein Spezifikum der ostdeutschen Länder, sondern um ein gesamtdeutsches Phänomen handele.