Vergebene Chance
FINANZREGULIERUNG
Vergebene Chance
Von Andreas Hippin
Im Vergleich zur Tier- und Pflanzengesundheit hat die Finanzbranche in den Verhandlungen zwischen London und Brüssel über die künftigen Handelsbeziehungen eine geradezu nachrangige Rolle gespielt. Das ist bemerkenswert, befindet sich doch das Finanzzentrum Europas in London und damit jenseits der EU-Außengrenze. Erst im Juni diesen Jahres, sieben Jahre nach dem Austritt Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft, unterzeichneten beide Seiten eine unverbindliche Absichtserklärung über die Zusammenarbeit bei Finanzdienstleistungen.
Hauptwettbewerber ist New York
Teil der Übereinkunft war die Schaffung des Joint EU-UK Financial Regulatory Forum, das am Donnerstag erstmals zusammentrat. Die britische Finanzbranche hofft, dass daraus keine weitere Schwatzbude hochbezahlter Staatsdiener wird, sondern grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Kommunikation gefördert und zukunftsorientierte Diskussionen geführt werden. Denn in der City sieht man sich in erster Linie im Wettbewerb mit New York, nicht mit den Finanzplätzen der EU.
Niedrigere Kosten, größere Liquidität
Die Wall Street lockt nicht nur Börsenkandidaten wie den britischen Chipdesigner Arm Holdings oder den deutschen Schuhhersteller Birkenstock. Unternehmen wickeln auch andere Geschäfte lieber dort ab als an ihrem lokalen Finanzplatz. Entscheidend dafür ist nicht nur die größere Liquidität sondern auch die niedrigeren Kosten. Immerhin, was das Euro-Clearing betrifft, hat sich Brüssel der normativen Kraft des Faktischen gefügt und davon abgesehen, es um jeden Preis in der Eurozone stattfinden zu lassen.
Äquivalenz der Aufsichtsregime
Wenn nun über andere Dinge gesprochen werden könnte als darüber, in welchem Maße die britische Finanzregulierung von den EU-Vorgaben abweicht, wäre viel gewonnen. Sinnvoller, als den Wortlaut von Verordnungen zu vergleichen, wäre es, sich von den Ergebnissen leiten zu lassen. Dann wäre es vielleicht auch möglich, zu einer gegenseitigen Anerkennung der Äquivalenz der Aufsichtsregime zu kommen – nicht als Gunst, die gewährt, aber auch jederzeit zurückgenommen werden kann, sondern als Ausdruck des Vertrauens unter gleichberechtigten Partnern.
Bislang spricht nicht viel dafür, dass es dazu kommen wird. Es sieht vielmehr so aus, als würde eine weitere Chance vergeben, die Nachteile abzumildern, die sich für Europa aus dem Brexit ergeben. Aus britischer Sicht erinnert die Absichtserklärung vom Juni an eine Vereinbarung mit dem weit entfernten Singapur. So weit ist Großbritannien aber noch nicht vom europäischen Kontinent abgedriftet.