Notiert inNew York

Fischbrötchen Most Wanted

Die Küste Neuenglands hat eindrucksvolle Naturschauspiele und schmucke kleine Orte zu bieten. Doch Touristen mit Heißhunger suchen in Ufernähe häufig vergeblich nach Fischbrötchen – ein überraschendes Zeichen für mangelnden Geschäftssinn im Land der Autoverkäufer.

Fischbrötchen Most Wanted

Notiert in New York

Fischbrötchen Most Wanted

Von Alex Wehnert

Dicht wie ein Bühnenvorhang geht der Regen auf die Autos nieder, die sich in der von regelmäßigen Blitzen durchzogenen Dunkelheit des späten New Yorker Abends auf der George Washington Bridge stauen. Wer sich durch die Wassermassen und den dichten Verkehr nach Manhattan hineinquält, der ist sofort wieder im Stress der Metropole angekommen – und kann kaum glauben, erst vor wenigen Stunden in der trägen Ruhe von Small Town America beobachtet zu haben, wie sonntags um 17 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden.

Vorausgegangen sind der Eingangsszene auf der meistbefahrenen Autobrücke der Welt 2.756 Kilometer Road Trip durch acht US-Bundesstaaten und zwei kanadische Provinzen. Von den malerischen Küstenabschnitten Neuenglands über die Weltläufigkeit Montreals bis hin zur Naturgewalt der Niagarafälle hat die Tour Eindrucksvolles zu bieten. Doch eins sucht der rastlose Wanderer gerade in den Kleinstädten Connecticuts oder Maines häufig vergeblich: einen Bretterverschlag, aus dem schnell mal ein Fisch- oder Krabbenbrötchen herüberwächst.

Lobster Rolls zu Erpresserpreisen

Sicher, wer zum Portland Head Light, dem ältesten Leuchtturm in Maine, hinausfährt, bekommt neben atemberaubenden Blicken über zerklüftete Klippen und die schäumende Gischt der Casco Bay auch eine der berühmten Lobster Rolls geboten – fein angerichtet mit auf den Hummer geträufelter Zitronenbutter. Abgesehen davon, dass sich mit dem als Grundlage dienenden Brötchen aber gefühlt sämtliche quietschenden Türangeln der westlichen Hemisphäre ölen ließen und der Ausflügler für das Vergnügen 23 Dollar blechen muss: Dass es an diesem idyllischen Uferplatz überhaupt eine Fischbude in Laufweite zum Meer gibt, bildet eine große Ausnahme. Im Fischernest Mystic in Connecticut müssen Besucher beispielsweise zu einem seelenlosen Parkplatz am Ortsausgang gurken, um dort für 27 Dollar in drei bis vier Happen eine Lobster Roll zu verputzen.

Im Land der halbseidenen Autoverkäufer und auf Sammelklagen spezialisierten Anwaltskanzleien zeigt sich daran ein überraschender Mangel an Geschäftssinn. Denn die Preise für die Hummerbrötchen mögen hoch sein, die Einkaufskosten sind es inflationsbedingt aber ebenfalls. Zugleich ist die Visibilität der Anbieter gering. Während viele US-Gemeinden jeden noch so spezifischen Rekord (die höchstgelegene Straße, auf der an Dienstagen mit Halbmond Lastwagen verkehren oder im Falle Mystics das größte maritime Freilichtmuseum mit integriertem Hafen) touristisch ausschlachten, lassen die örtlichen Fischer und Wirte durch den Mangel an gut gelegenen saisonalen Imbiss-Lokationen mit simplem Menü-Angebot bares Geld liegen. Denn die Nachfrage nach Fischbrötchen durch die Touristen, die über den Sommer in die Küstendörfer Neuenglands strömen, dürfte weitaus weniger elastisch ausfallen als jene nach dem Einheitsbrei der großen Fast-Food-Ketten, die inzwischen eine Eintrübung der Konsumlaune zu spüren bekommen.

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