Frankreich und Italien – eine Hassliebe
Mit dem Triumph bei der Fußball-EM hat Italien dem ganzen Kontinent gezeigt, wozu es in der Lage ist. Ganz besonders süß schmeckte, dass die Franzosen bereits im Achtelfinale ausschieden. Schon beim WM-Finale vor drei Jahren fieberten die Italiener mit den Kroaten mit. Und warum? Franzosen und Italiener werden oft als Cousins bezeichnet, haben eigentlich eine besondere Nähe zueinander. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten ist aber schwierig, denn die Italiener habe immer das Gefühl, dass der westliche Nachbar auf sie herunterschaut. Frankreich betrachte sich als etwas Besseres, politisch, kulturell und wirtschaftlich überlegen. Mit Missfallen sehen es viele Italiener, dass französische Unternehmen seit Jahren italienische Banken, Luxusgüter- oder Lebensmittelkonzerne aufkaufen, zuletzt die Borsa Italiana oder Fiat Chrysler. Der neue Autokonzern Stellantis wird aus Paris gesteuert. Umgekehrt werden Italiener in Frankreich häufig ausgebremst, wie etwa der Werftenkonzern Fincantieri.
Die Wurzeln reichen weit zurück: Schon Dante verabscheute das französische Königshaus. Seit jeher versuchte Frankreich, sich Teile Italiens einzuverleiben. Napoleon I. „verriet“ aus italienischer Sicht das Bel Paese und schlug Venedig den Österreichern zu. Außerdem plünderte er die Kunstschätze des Landes und verfrachtete große Teile davon in den Louvre. Dabei sprach der Korse, dessen Heimatinsel über Jahrhunderte genuesisch war, Französisch mit italienischem Akzent.
Andererseits übte die Französische Revolution Faszination auf Italien aus und förderte die Bildung eines Einheitsstaates. Zwar half Kaiser Napoleon III. den Italienern dabei gegen die Österreicher, verlangte dafür jedoch einen hohen Preis und verleibte Frankreich Savoyen und Nizza ein. In jüngeren Jahren kam es zu einer Krise, weil die Populistenregierung aus den 5 Sternen und Matteo Salvinis Lega Paris Kolonialismus in Afrika vorwarf und der damalige 5-Sterne-Chef Luigi Di Maio sich demonstrativ in Paris mit den Gelbwesten traf.
Historisch gesehen wanderten bis in die Neuzeit viele Italiener nach Frankreich aus – nicht nur Arbeiter. Kardinal Mazarin (italienisch: Mazzarino), Minister, Erzieher und Berater des absolutistischen Herrschers Ludwig XIV., war gebürtiger Italiener. Mit Caterina sowie Maria von Medici stellte Italien zwei französische Königinnen, die aus italienischer Sicht Frankreich erst einmal zeigten, was gute Küche ist. Der französische Staatspräsident Léon Gambetta war Sohn eines genuesischen Apothekers, der Schriftsteller Emile Zola Sohn eines venezianischen Ingenieurs, der Fußballer Michel Platini, der Sänger Yves Montand (eigentlich: Ivo Livi) der Modeschöpfer Pierre Cardin (Pietro Cardin), der Schauspieler Jean-Pierre Belmondo – alles Italiener, ebenso wie die in Paris beerdigte Sängerin Dalida.
Aber dass die Franzosen ausgerechnet das Genie Leonardo da Vinci, das seine letzten Lebensjahre in Amboise an der Loire verbrachte, 2019 bei den Feierlichkeiten zu dessen 500. Todestag zum Franzosen machen wollten, das verzeihen ihnen viele Italiener nicht. Schlimm genug, dass seine Mona Lisa im Louvre hängt. Und dass unter Staatspräsident François Mitterrand Terroristen der Roten Brigaden unbehelligt in Frankreich leben durften und erst jetzt, Jahrzehnte nach ihren Morden, womöglich ausgeliefert werden, das sorgte in Italien Jahrzehnte für Aufregung und Ärger.
Umgekehrt gibt es weniger Animositäten. Die Franzosen gehörten zu den ersten Touristen, die mit den ersten Lockerungen nach Turin, Mailand, Genua, Venedig und Rom strömten – Städte, die für gebildete Franzosen immer ganz oben auf der Prioritätenliste standen. Der Schriftsteller Gustave Flaubert schwärmte von Genua, „eine Schönheit, die das Herz zerreißt“. Stendhal, ebenfalls großer Schriftsteller, vergötterte die italienische Musik, Kunst und Lebensart und liebte Mailand. Der Kunstsammler, Unternehmer und Multimilliardär François Pinault zeigt in seinem 2006 erworbenen Palazzo Grassi und im 2009 umgebauten Punta della Dogana (beide in Venedig) zeitgenössische Kunst. Als Unternehmer hat er sich, wie sein Konkurrent Bernard Arnault (LVMH), eine ganze Sammlung italienischer Modeunternehmen zugelegt.