Im Blickfeld Chinas Chip-Industrie rüstet auf

Für China gilt jetzt: Hauptsache hausgemachte Halbleiter

Chinas setzt unter dem Druck von US-Restriktionen auf ein konsequentes Autarkie-Konzept in Sachen Chipproduktion. Ein neues riesiges Investitionsvehikel für die Chipbranche unterstreicht die Ambitionen.

Für China gilt jetzt: Hauptsache hausgemachte Halbleiter

Hauptsache hausgemachte Halbleiter

China setzt unter dem Druck von US-Restriktionen auf ein konsequentes Autarkie-Konzept in Sachen Chipproduktion. Ein neues riesiges Investitionsvehikel für die Chipbranche unterstreicht die Ambitionen.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Auf der Glanzveranstaltung für Chinas Halbleiterszene, der World Semiconductor Conference (WSC) in Nanjing, geht es eindeutig beschaulicher zu als im vergangenen Jahr. Etwa 200 Aussteller nach mehr als 300 bei der letztjährigen Auflage haben sich auf der am Mittwoch begonnenen Messe eingefunden. Auch was die Besucherzahlen angeht, macht sich eine für chinesische Tech-Events ungewohnte Leere bemerkbar.

Dürftige Messepräsenz

Die verringerte Präsenz hängt zum einen damit zusammen, dass zahlreiche chinesische Adressen unter dem Eindruck verschärfter Restriktionen und Exportkontrollen der US-Regierung es vorziehen, sich bedeckter zu halten. Dies findet eine Entsprechung in der auffallend dünnen Präsenz prominenter ausländischer Sektorunternehmen. Nur zwei Handvoll sind vertreten – darunter der koreanische Riese Samsung Electronics, der britische Mobilfunkchipdesigner Arm und STMicroelectronics. Der weltgrößte Chipauftragsfertiger Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) hat zwar einen Stand zu bieten, hält sich aber im Zuge der geopolitischen Spannungslage rund um Taiwan von jeglichen Präsentationen und Panel-Diskussionen fern.

Absatzdelle

Die Stimmungslage in der chinesischen Halbleiterbranche ist nicht nur wegen der Zerreißprobe um den Bezug von hochwertiger Chiptechnologie und der Gefahr neuer Sanktionen eher gedrückt. Die aktuelle Geschäftslage verleitet nicht zu Jubelszenarien. Im vergangenen Jahr sind die Halbleiterverkäufe um 14% gegenüber Vorjahr gesunken, damit wies der chinesische Markt global gar die schwächste Absatzperformance aus, geht aus den Daten des in den USA angesiedelten Branchenverbandes Semiconductor Industry Association (SIA) hervor. Die Situation scheint sich in diesem Jahr etwas zu stabilisieren, ist aber von zahlreichen Unwägbarkeiten geprägt.

Druck bei Autochips

Besonders unter Druck stehen derzeit die heimischen Hersteller von Autochips. Das Absatztempo bei Batterieautos hat sich mittlerweile abgekühlt und eine wilde Preissenkungsschlacht im Markt entfacht, die auch bei den Zulieferern auf die Margen drückt. Gerade auch bei Automobilchips steht die Branche unter schwierige Anpassungszwängen, die mit den Anforderungen der Pekinger Regierung zusammenhängen, Lieferketten zu „säubern“, um den Auslandsanteil immer weiter herunterzufahren.

Radikale Lokalisierung

Die sogenannte Lokalisierungsoffensive nimmt in diesem Jahr radikalere Züge an. Mittlerweile geht es nicht nur darum, von US-Restriktionen betroffene Chipauftragsfertiger wie den in Schanghai ansässigen Staatskonzern Semiconductor Manufacturing International Corp. (SMIC) zu befähigen, sich von ausländischen Komponenten zu isolieren. Auch Chang Xin Memory Technologies (CXMT), Chinas größter Hersteller von DRAM-Speicherchips für Computer, geht mit Verweis auf nationale Auflagen energisch ans Werk, um Lieferketten zu bereinigen und ausländische Komponenten durch heimische zu ersetzen. Dabei geht es längst nicht nur um Ausrüstungstechnik, sondern auch um Materialien und chemische Komponenten, die bei der Chipfabrikation zum Einsatz kommen. Die Bandbreite reicht von Silicon Wafers über Poliermittel, Nasschemikalien bis hin zu Industriegasen.

Härtere Restriktionen

China ringt um den Import von Spitzentechnologie und sieht sich von US-Restriktionen gebremst, die im besonders sensiblen Bereich der Chipauftragsfertigung greifen. Washington hat einige Erfolge bei der Durchgriffshaftung auf europäische und japanische Unternehmen erzielt, um zu erreichen, dass die Spezialausrüstung für die Herstellung besonders hochleistungsfähiger Chips in einer Spezifizierung von weniger als 10 Nanometern von China möglichst ferngehalten wird.

Im Zentrum stehen die sogenannten Lithografiemaschinen der niederländischen ASML zur Herstellung avancierter Chip-Wafer, die nun Gegenstand von Exportkontrollverfahren sind. Im Vorfeld der Restriktionen hatte sich China besonders eifrig mit noch zur Verfügung stehender Chip-Ausrüstungstechnik eingedeckt, was sich auch in der Importstatistik niedergeschlagen hat. Im vergangenen Jahr kletterten die Chip-Tech-Einfuhren um fast 15% auf rund 40 Mrd. Dollar.

Was die künftigen Fähigkeiten Chinas angeht, bei der Entwicklung und Produktion von Hochleistungschips mit geringstmöglichen Nanometer-Formaten im Wettlauf mit den USA mitzuhalten, siedeln Experten die Chancen eher gering an. In einer jüngsten Studie der SIA und der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG) heißt es, bis zum Jahr 2032 werde China nur etwa 2% der Weltproduktion der am meisten fortgeschrittenen Chips auf sich vereinigen können. Den USA hingegen traut man einen Anteil an der Produktionskapazität und Kontrolle des Halbleiter-Spitzensegments von fast 30% zu.

Die Voraussetzungen schuf der 2022 verabschiedete US Chips and Science Act als Gesetzesgrundlage für ein Subventions- und Anreizsystem zur Förderung der Chipfertigungsindustrie auf amerikanischem Boden. Firmen wie TSMC und Samsung Electronics sind nun in Großprojekten engagiert, um in Arizona und Texas Werke für die Produktion von 2-3-Nanometer-Chips aufzuziehen.

Ehrgeiz bei Legacy Chips

Pekings Schwierigkeiten, im Spitzenbereich mitzuhalten, steigern noch den industriepolitischen Ehrgeiz, bei sogenannten Legacy Chips im Format jenseits von 20 Nanometern und bei weniger komplexen technologischen Voraussetzungen weiter aufzudrehen. Hier findet ein gewaltiger Kapazitätsaufbau mit dem Ziel statt, kostengünstige Halbleiter mit breiter Verwendung bei Konsumelektronik, im Automobilbau, in der Medizintechnik und industriellen Automationstechnik zu produzieren.

Ende Mai hat die Regierung einen neuen, besonders protzigen Investitionsfonds auf die Beine gestellt. Er ist der dritte seiner Art binnen zehn Jahren und soll dem Autarkiekonzept noch mehr Schwung und Wucht verleihen. Das neue Vehikel mit der schwerfälligen offiziellen Bezeichnung China Integrated Circuit Industry Investment Fund kennt man unter dem Namen Big Fund III. Vom Umfang her gesehen in jedem Fall eine passende Bezeichnung. Diesmal ist ein registriertes Kapital von 345 Mrd. Yuan (47,5 Mrd. Dollar) aufgebracht worden. Das Vorgängervehikel war auf umgerechnet 28,7 Mrd. Dollar gekommen.

Großbanken füllen den Big Fund

Während die ersten beiden Fonds in der Hauptsache vom Finanzministerium und von Vehikeln auf lokalstaatlicher Ebene gespeist wurden, hat man diesmal zur Schonung des Budgets auch chinesische Geschäftsbanken angezapft. Besonders auffällig ist aber, dass erstmals die führenden Banken vor den Karren gespannt wurden. Die sechs größten Kreditinstitute des Landes stemmen jetzt ein Drittel des Fondsaufkommens. Dies ist ein beredtes Zeichen dafür, wie der Staat neue Kräfte für ein prioritäres industriepolitisches Unterfangen mobilisiert.

Die ersten beiden Fonds waren von Korruptionsproblemen, Managementmängeln und der Fehlallokation von Mitteln gekennzeichnet. Sie haben mit der Heranzüchtung nationaler Champions wie SMIC und dem Speicherchiphersteller Yangtze Memory Technologies Co. (YTMC) der Sache dennoch gedient. Beide Firmen sind ins Fadenkreuz der US-Regierung geraten und auf Sanktionslisten gelandet. Mit dem Big Fund III gilt es nun, neue, möglichst autarke Player zu fördern, denen Washington weniger anhaben kann.