Für Containerreedereien ist die See wieder unruhig
Für Containerreedereien ist die See wieder unruhig
Die Sonderkonjunktur ist passé, die Linienschifffahrt fährt Betriebsverluste ein. 2024 wird sich die Ertragslage wohl verbessern – das aber nur vorübergehend.
Von Carsten Steevens, Hamburg
Für die Containerschifffahrt ist der Boom aus der Corona-Pandemie vorbei. Ließ die große Nachfrage nach Gütertransporten auf dem Seeweg bei knappen Kapazitäten und gestörten Lieferketten die Transportpreise und Gewinne der Reedereien in den beiden vorangegangenen Jahren in die Höhe schießen, wird nach dem Ende der pandemiebedingten Sonderkonjunktur der markante Ergebniseinbruch, der sich 2023 unterjährig manifestierte, nun auch auf Jahresebene sichtbar.
So fiel der Betriebsgewinn (Ebit) bei Deutschlands größter Containerreederei Hapag-Lloyd 2022 mit 17,5 Mrd. Euro siebenmal höher aus als im abgelaufenen Geschäftsjahr. Das in dieser Woche auf Basis vorläufiger Zahlen vermeldete operative Ergebnis von 2,5 Mrd. Euro ragt immer noch hervor, ist es doch das drittbeste der Unternehmensgeschichte. Gleichwohl ist auch ein Trend unverkennbar: Die Ergebnisse haben sich 2023 stetig verschlechtert. Stand im ersten Quartal ein Gewinn von 1,7 Mrd. Euro zu Buche, fuhr die Reederei im vierten einen operativen Verlust von rund 200 Mill. Euro ein. Für die Hamburger, weltweit die Nummer fünf der Containerschifffahrt, hat sich das Geschäftsklima wie für die Branche insgesamt spürbar eingetrübt. Nicht zuletzt die schwachen Raten für den Warentransport im Herbst sprechen dafür.
Aktienkurse im Aufwind
Dass das Fahrwasser für die Schifffahrtsgesellschaften wieder unruhiger geworden ist, spiegelt sich auch in der Anlegerstimmung. Die Aktien der beiden börsennotierten Reedereikonzerne Mærsk und Hapag-Lloyd gaben 2023 um 22% bzw. 24% nach. Die jeweiligen Jahrestiefstände notierten auf einem Niveau wie zuletzt im Herbst 2020 bzw. im Februar 2021. Frachtraten, die infolge von Attacken jemenitischer Huthi-Rebellen auf Frachter in der Meerenge Bab al Mandab seit Dezember deutlich gestiegen sind, haben den Kursen in den vergangenen Wochen allerdings Auftrieb gegeben.
Dabei ist unklar, wie lange die Beeinträchtigungen der Schifffahrt in der Region, die im Kontext des Gaza-Konflikts stehen, andauern und wie nachhaltig die positiven Auswirkungen auf Transportpreise und Ertragslage sein werden. Reedereien, die ihre Schiffe auf den Fernost-Europa-Strecken derzeit nicht mehr den kürzesten Seeweg durch das Rote Meer und den Suezkanal fahren lassen, sondern aus Sicherheitsgründen einen Umweg um die Südspitze Afrikas nehmen, gehen davon aus, dass die Lage noch einige Monate angespannt bleiben könnte.
Warenverkehr halbiert
Der Warenverkehr durch den Suezkanal, eine der wichtigsten Wasserstraßen, hat sich UN-Angaben zufolge seit Beginn der Angriffe der Huthi-Miliz am 19. November nahezu halbiert. Die Frachtmenge sei um 45% eingebrochen, so die Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad) Ende voriger Woche. Über den Suezkanal, den 2023 mehr als 21.000 Schiffe passierten, werden 12 bis 15% des Welthandels und 30 bis 40% des Containerverkehrs abgewickelt. Ein ungehinderter Verkehr auf dem 193 Kilometer langen Wasserweg ist für die deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung, nutzen auf der Strecke zwischen China und Deutschland doch rund 90% der Containerschiffe den Suezkanal. Eine Wiederaufnahme des regulären Transits wäre nicht zuletzt auch im Interesse Ägyptens: Das nordafrikanische Land kassiert mehrere Milliarden an Mautgebühren pro Jahr.
Anleger bewegt, dass sich die Ertragslage der Containerreedereien infolge der aktuellen Turbulenzen in der Region - zumindest vorübergehend - wieder verbessern sollte. Die Umleitung der Schiffe hat eine Verlängerung der Fahrtdauer wie von Asien nach Nordeuropa um sieben bis zehn Tage zur Folge und mithin einen größeren Bedarf an Tonnage. Damit werde ein Teil der Überkapazitäten in der Containerschifffahrt aufgefangen, so die Einschätzung bei Warburg Research.
Sorge vor Überkapazitäten
Positiv auf die Frachtraten wirkt sich aus, wenn weniger Schiffe der Reedereien beschäftigungslos und Transportkapazitäten besser ausgelastet sind. Doch ein nachhaltig höheres Frachtratenniveau ist unwahrscheinlich. Die Debatte über die Folgen eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage dürfte nach einem Ende der aktuellen Beeinträchtigungen am Roten Meer jedoch schnell wieder intensiver werden. Die deutlich gestiegene Zahl an Schiffsneubestellungen, die Reedereien im Zuge der Pandemie aufgaben, hat die Sorge vor einer Rückkehr chronischer Überkapazitäten verstärkt, mit der die Containerschifffahrt in den Jahren nach der Finanzmarktkrise 2008/2009 zu kämpfen hatte und die zu einer weitreichenden Branchenkonsolidierung zwischen 2014 und 2018 führte.
Der Branchendienst Alphaliner geht davon aus, dass die weltweite Flotte 2024 um rund 3 Mill. Standardcontainer (TEU) an neuer Kapazität wachsen wird - was ein neuer Rekordwert wäre. In den ersten drei Wochen dieses Jahres 2024 hätten die Reedereien bereits rund 204.000 TEU aus den Werften erhalten, der Löwenanteil entfalle weiterhin auf den Branchenführer MSC aus Genf. Neben den aktuellen Schiffsumleitungen um die Südspitze Südafrikas halfen der Schifffahrt zuletzt eine weitere Drosselung der Fahrtgeschwindigkeiten infolge der sukzessiven Aufnahme des Sektors in den EU-Emissionshandel ab diesem Jahr sowie Beschränkungen der Durchfahrten durch den Panamakanal wegen Wassermangels dabei, neue Kapazitäten zu absorbieren.
Fusionen unwahrscheinlich
Fusionen unter den großen Containerreedereien dürften unwahrscheinlich bleiben, die Unternehmen sitzen nach den Gewinnsprüngen während der Pandemie weithin auf gut gefüllten Geldkoffern. Allerdings kommt Anfang kommenden Jahres Bewegung in die Allianzen, die für eine bessere Auslastung der Schiffe und ein umfassenderes Angebot an Diensten sorgen sollen. Nach dem vor gut einem Jahr avisierten Ende des seit 2015 bestehenden Bündnisses "2M" der weltgrößten Reedereikonzerne MSC und Mærsk per Januar 2025 wollen nun Mærsk und Hapag-Lloyd im Februar kommenden Jahres eine langfristige Zusammenarbeit beginnen mit dem Ziel, ein Servicenetzwerk "mit einer branchenweit führenden Zuverlässigkeit zu schaffen". Beide streben demnach bei der Fahrplanpünktlichkeit eine Zuverlässigkeit von über 90% an. Zuletzt kamen Mærsk und Hapag-Lloyd Daten des Branchendiensts Sea Intelligence zufolge auf Quoten von 65 bzw. 54%. Dem Pünktlichkeitsziel wollen die künftigen Partner der "Gemini Cooperation" nach Angaben von Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen 2026 bereits nahe kommen.
Allianzen in Bewegung
Für die Zusammenarbeit mit Mærsk verlassen die Hamburger "The Alliance", der ferner Ocean Network Express (One) aus Japan, Yang Ming aus Taiwan und HMM aus Südkorea angehören. Das 2017 gebildete Bündnis ist nach "2M" und der ebenfalls 2017 entstandenen "Ocean Alliance", zu der die französische CMA CGM, die chinesische Staatsreederei Cosco und Evergreen aus Taiwan zählen, die kleinste der aktuell drei großen Schifffahrtsallianzen. Hapag-Lloyd ist bislang größter Akteur im aktuellen Vierer-Bündnis, sieht aber als Juniorpartner in einer Zweier-Kooperation mit Mærsk im Ost-West-Verkehr mehr Vorteile: mehr Fortschritte bei der Zuverlässigkeit, einen effizienteren und nachhaltigeren Einsatz von weniger Schiffen mit mehr Containern, die zugleich langsamer fahren und damit Emissionen schneller senken können. Ob die bisherigen Hapag-Lloyd-Partner ihr Bündnis fortsetzen und welche Auswirkungen sich für "Ocean Alliance" ergeben, ist offen. Möglich erscheint, dass nur der in den vergangenen Jahren stark gewachsene Branchenführer MSC künftig keiner Allianz mehr angehört.