LeitartikelGeldpolitik

Für Fed und EZB geht es jetzt um ihre Glaubwürdigkeit

Die globale Notenbankelite kommt in Jackson Hole zusammen. Für Entwarnung in Sachen Inflation ist es immer noch zu früh. Fed und EZB müssen wachsam bleiben – und bereit zum Handeln.

Für Fed und EZB geht es jetzt um ihre Glaubwürdigkeit

Geldpolitik

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Die globale Notenbankelite kommt in Jackson Hole zusammen. Für Entwarnung in Sachen Inflation ist es immer noch zu früh.

Von Mark Schrörs

Die Nervosität an den Finanzmärkten ist immens. Binnen weniger Stunden treten am Freitag Fed-Chef Jerome Powell und EZB-Präsidentin Christine Lagade beim alljährlichen Stelldichein der Notenbankelite in Jackson Hole an die Mikrofone. Mit großer Spannung wird erwartet, welche Signale sie nach der Sommerpause zur weiteren Geldpolitik geben werden. Klar ist, welche Signale sie geben sollten: dass die Inflation trotz erfreulicher Entwicklungen noch immer nicht besiegt ist und dass Federal Reserve und Europäische Zentralbank (EZB) trotz zunehmender Konjunkturrisiken vorerst am eher restriktiven Kurs festhalten. Das wäre wohl nicht unbedingt das, was die Märke hören wollen – es wäre aber die richtige Botschaft.

Keine Frage, der jüngste deutliche und teils überraschend schnelle Rückgang der Inflation ist eine gute Nachricht. In den USA ist die Verbraucherpreisinflation seit Juni 2022 von 9,1% auf zuletzt 3,2% zurückgegangen. In der Eurozone hat sich die Teuerung seit Oktober 2022 zumindest von 10,6% auf 5,3% halbiert. Die Teuerung liegt damit aber immer noch oberhalb des 2-Prozent-Ziels der Fed und der EZB und vor allem der zugrunde liegende Preisdruck hält sich hartnäckig. Die Rückkehr zur 2-Prozent-Marke ist also keineswegs ausgemacht und schon gar kein Selbstläufer. Auch wenn die letzte Meile die schwerste ist – 2% sind das Ziel und das Erreichen ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Fed und EZB dürfen sich nicht mit 3% oder 4% zufriedengeben.

Für die Fed bedeutet das, dass es noch zu früh ist, ein definitives Ende der Zinserhöhungen zu proklamieren – zumal die US-Wirtschaft weiter positiv überrascht. Womöglich hat sie mit den 525 Basispunkten Zinserhöhungen seit März 2022 bereits genug getan. Der aggressivste Straffungskurs seit Jahrzehnten kommt erst allmählich in der Wirtschaft an und entfaltet seine volle Wirkung vielleicht auch mit größerer Verzögerung als sonst. Es kann aber eben genauso gut sein, dass der US-Leitzins noch weiter steigen muss, um die Inflation nachhaltig zu überwinden. Powell darf diese Option nicht voreilig vom Tisch nehmen. Daran ändern auch die jüngsten Turbulenzen auf dem US-Staatsanleihemarkt nichts.

Das heißt auch, dass Zinssenkungen auf absehbare Zeit nicht infrage kommen. Deswegen ist es irritierend und letztlich auch kontraproduktiv, wenn selbst US-Notenbanker schon öffentlich über diese Möglichkeit fabulieren. Sicher hat etwa Fed-New-York-Chef John Williams recht, wenn er argumentiert, dass bei sinkender Inflation und unverändertem nominalen Leitzins der reale Zins steigt. Fakt ist aber auch, dass die Wirtschaftsaussichten besser sind als etwa noch in den Juni-Prognosen der Fed gedacht. In jedem Fall sollte es allenfalls um ein Feintuning gehen. Mit raschen starken Zinssenkungen würde die Fed nur Fehler der 1980er wiederholen, als sie das Inflationsproblem mit einer völlig verfrühten Zinswende erst noch so richtig verschärfte.

Noch ungemütlicher ist die Lage für die Europäische Zentralbank. Eine Inflationsrate von 5,3% und eine Kernteuerung (ohne Energie und Lebensmittel) von 5,5% verbieten im Grunde jede Debatte über ein Ende des Zinserhöhungskurses. Andererseits steht die Euro-Wirtschaft sehr viel schlechter da als das US-Pendant; die am Mittwoch veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes signalisieren eine Wirtschaft auf Rezessionskurs. Bis zur Sitzung am 14. September sind es noch drei Wochen. Aber auch für die EZB erscheint derzeit als das größere Risiko ein zu frühes Ende der geldpolitischen Straffung. Die vielfach erhöhten Inflationserwartungen auf mittlere Frist und Signale für eine schwindende Bedeutung des 2-Prozent-Ziels für die Gewerkschaften in Deutschland sind klare Warnsignale.

Fed und EZB müssen jetzt äußerst wachsam bleiben. Wo nötig, müssen sie nachlegen. Vor allem aber sollten voreilige Zinssenkungen tabu sein. Und sie sollten sich nicht ablenken lassen von Scheindebatten. Das gilt für die irrsinnige wie gefährliche Diskussion über eine Anhebung der Inflationsziele. Und das gilt für erste, völlig überzogene Warnungen, dass nach der Inflation bald wieder eine Deflation drohen könnte. Deglobalisierung, Dekarbonisierung und Demografie sprechen mittelfristig eher für mehr Inflation. Das Niedriginflationsumfeld der Vor-Pandemie-Jahre scheint Geschichte zu sein.

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