Unterm Strich

Für Kuwait verblasst der Stern

Kuwait nutzt die starke Performance der Mercedes-Aktie und macht Kasse. Mit dem Anteilsverkauf geht für den Autokonzern eine Ära im Aktionariat zu Ende.

Für Kuwait verblasst der Stern

Wenn es am schönsten ist, soll man gehen. Das haben sich offenkundig die Anlagestrategen des kuwaitischen Staatsfonds beim Blick auf den Mercedes-Aktienkurs gedacht und vor wenigen Tagen gut ein Viertel ihrer Mercedes-Benz-Beteiligung versilbert. Den meisten überregionalen Tageszeitungen war der Verkauf von 20 Millionen Mercedes-Aktien im Wert von 1,4 Mrd. Euro nur eine kleine Meldung wert – wenn überhaupt. Dabei war der Einstieg Kuwaits bei Daimler vor knapp fünf Jahrzehnten ein Politikum gewesen, das bei der damaligen Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt mehr als ein Stirnrunzeln ausgelöst hatte.

Den jüngsten Deal als reine Finanztransaktion zur besseren Diversifizierung einzuordnen, wie die offiziellen Verlautbarungen insinuieren, würde der Geschichte und Bedeutung der Beteiligung nicht gerecht werden. Noch keine zehn Jahre ist es her, das rollte Daimler dem kuwaitischen Großaktionär den roten Teppich aus und feierte mit einem Festakt im Mercedes-Museum in Stuttgart das 40-jährige Bestehen dieser Beteiligung, die einst 14% des Kapitals ausmachte.

Ob damals Daimler-Chef Dieter Zetsche, Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Bischoff und Kuwaits Premier Scheich Jaber Al-Mubarak Al-Hamad Al-Sabah auf die nächsten 40 Jahre angestoßen haben, ist nicht verbürgt. Doch fehlte es nicht an Bekenntnissen Kuwaits als strategischer Investor und Lobpreisungen Daimlers für die „visionäre Kraft“ dieses verlässlichsten Partners im Aktionariat seit Jahrzehnten.

In den Folgejahren dürfte den Kuwaitis die Vision beim Blick auf die Aktienperformance vergangen sein. Jedenfalls rutschte die Daimler-Aktie vom einstigen Kursband zwischen 70 und 80 Euro bis zum März 2020 unter die 20-Euro-Marke und sorgte für Ernüchterung im Portfoliomanagement der Kuwait Investment Authority (KIA). Und so konnte es nicht verwundern, dass bei der Überarbeitung der Investmentstrategie dieses ältesten Staatsfonds der Welt im Februar dieses Jahres die starke Kurserholung von Mercedes-Benz seit drei Jahren zum Kassemachen lockte. Zumindest mit einer ersten Tranche von 20 Millionen der bis dahin 73,2 Millionen Aktien, die 6,84 % des Grundkapitals repräsentierten und jetzt noch 4,95 % ausmachen. Denn ein Komplettverkauf wäre ein Affront gewesen angesichts der beinahe fünf Jahrzehnte währenden Beziehung, in der die Scheichs mit großem Langmut die vielen strategischen Volten und die „Hochzeit im Himmel“ mit Chrysler inklusive anschließender Scheidung ertragen haben.

Als die Kuwaitis im November 1974 bei Daimler einstiegen, war in Deutschland die Sorge über einen Ausverkauf dieser Industrie-Ikone ins Ausland groß. Denn parallel drohte seinerzeit kurz nach dem Einstieg Kuwaits die Gefahr, dass das knapp 40% ausmachende Aktienpaket des damaligen Daimler-Hauptaktionärs Friedrich Karl Flick an den Schah von Persien verkauft würde. Quasi im letzten Augenblick übernahm die Deutsche Bank knapp 30% der Daimler-Aktien zu den bereits mit dem Schah ausgehandelten Bedingungen und parkte sie in der eigens dafür gegründeten Mercedes Aktiengesellschaft Holding (MAH). Denn die Deutsche Bank war bereits mit 25% Minderheitsaktionär bei Daimler, und die politische Großwetterlage in Deutschland zeigte eher eine Verringerung der industriellen Beteiligungen der Banken und die allmähliche Auflösung der „Deutschland AG“ an. Doch die Pakete von Kuwait und potenziell Iran hätten bei Daimler-Benz mit 53% die Mehrheit der arabischen Großaktionäre be­deutet. Daran war weder dem Autobauer noch der Bundesregierung gelegen.

Für das Emirat war das einst aus dem Besitz des Industriellen Herbert Quandt für etwa 1 Mrd. D-Mark erworbene Aktienpaket von 14% des Daimler-Kapitals eine lohnende Investition. Denn heute ist es – wie schon zwischenzeitlich – mit gut 5 Mrd. Euro das Zehnfache wert, auch wenn sich der Kapitalanteil des Emirats durch Kapitalerhöhungen im Lauf der Zeit auf 6,84% verwässert hatte. Doch Kuwaits Wert als einst größter und loyaler Investor ging über diese Prozente hinaus. Denn anders als Volkswagen oder BMW hatte Daimler seit Jahrzehnten keinen familiären Ankeraktionär mehr, der eine feindliche Übernahme verhindern oder lästige aktivistische Investoren und Hedgefonds neutralisieren könnte.

Selbst wenn KIA nun zunächst noch im Aktionariat bleibt, geht mit dem teilweisen Anteilsverkauf eine Ära in den Aktionärsbeziehungen zu Ende. Dies hatte sich bereits im vergangenen Jahr angedeutet, als mit Bader M. Al Saad der Chairman des Arab Fund for Economic & Social Development aus dem Aufsichtsrat ausschied.

Mittlerweile haben die chinesischen Anteilseigner die Rolle Kuwaits als Ankeraktionär übernommen. Die BAIC Group mit 9,98% und Li Shufu/Geely mit 9,69 sind die größten Aktionäre des um die Nutzfahrzeuge abgespaltenen und von Daimler AG in Mercedes-Benz Group AG umfirmierten Automobilherstellers. Regional relativ ausgewogen zeigt sich seither die Aktionärsstruktur: Knapp 25% des Kapitals liegen in Europa, 22% in Asien, 21% in den USA, jetzt 5% in Kuwait und 27% im Rest der Welt.

Wann im Aufsichtsrat?

Wo die knapp 2% des von KIA über Nacht zum Preis von 69,27 Euro je Aktie verkauften Kapitals gelandet sind, ist nicht bekannt. Aus politischen Gründen sind die beiden chinesischen Großaktionäre bisher bewusst unter der 10-%-Marke geblieben. Vor dem Hintergrund der angespannten geopolitischen Lage dürfte es derzeit nicht opportun sein, daran etwas zu ändern. Das gilt vorerst auch für die Frage der Repräsentanz im Aufsichtsrat. Perspektivisch wird Mercedes aber nicht umhinkommen, der über eine Kreuzbeteiligung verbundenen und sich als strategischer Investor fühlenden BAIC Group auch im Kontrollgremium Sitz und Stimme zu geben.

c.doering@boersen-zeitung.de