Im Blickfeld Fußball-EM

Sehnsucht nach einem zweiten Sommermärchen

Von der Fußball-Europameisterschaft erhofft sich nicht nur Adidas eine Aufhellung der Stimmung in Deutschland. Auch Ökonomen erkennen einen emotionalen Aspekt.

Sehnsucht nach einem zweiten Sommermärchen

Im Blickfeld

Sehnsucht nach einem
zweiten Sommermärchen

Von der Fußball-Europameisterschaft erhofft sich nicht nur Ausrüster Adidas eine Aufhellung der Stimmung in Deutschland.

Von Joachim Herr, München

Die Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft sind lang, sehr lang. Auch noch nach 18 Jahren. „Ich bitte Euch alle, dass wir die Euro hier zu einem Volksfest machen – so wie 2006“, appellierte Bjørn Gulden vor kurzem auf der Hauptversammlung von Adidas an seine Zuhörer. Der norwegische Vorstandsvorsitzende sorgte in freier Rede mit seiner unnachahmlich lockeren Art wieder einmal für beste Unterhaltung.

Die Aufzeichnung mit Sprüchen wie „Das Geschäft ist besser geworden, aber nicht mein Deutsch“ und „Ich habe Bayern München auch abgesagt“ (zum Thema Trainersuche) lässt sich auf der Internetseite des Sportartikelkonzerns, den Gulden gern liebevoll „Adi“ nennt, anschauen und anhören. Guldens Aufforderung in weißer Trainingsjacke mit blauen Streifen folgt freilich auch seinen Geschäftsinteressen: Für Adidas sind große Fußballturniere dank Verkäufen von Trikots der teilnehmenden Nationalmannschaften und von Fußbällen eine lukrative Sache – mehr als Olympische Spiele.

Vier Wochen Partylaune

Der Konzernchef ist nicht der Einzige hierzulande, der sich für die Europameisterschaft, die am 14. Juni beginnt, eine Wiederholung der Stimmung des Sommermärchens von 2006 wünscht: Es war einmal ein überraschend fröhliches und gastfreundliches Land. Vier Wochen Partylaune, Deutschland-Fahnen an Autos und vor Großleinwänden, dazu Sonnenschein während des ganzen Turniers. Erst Jahre später kamen die Schatten des Korruptionsverdachts im Zusammenhang mit der Vergabe der WM zum Vorschein.

Gulden gibt sich davon überzeugt, dass sich die Freude und Leichtigkeit wiederholen lassen: um eine Stimmung zu schaffen, die niemand Deutschland zugetraut habe. Ökonomen analysieren das Thema weitaus weniger emotional, beschränken sich aber nicht auf Daten und Fakten.

Ablenkung senkt die Produktivität

„Eine mögliche Stimmungsaufhellung könnte das Konsumvertrauen unterstützen“, sagt zum Beispiel Jürgen Michels, der Chefvolkswirt der Bayerischen Landesbank. Allerdings weist er auf die Risiken wegen des Fußballkonsums am Bildschirm und wegen der Diskussionen vor und nach den Partien hin: „Die Produktivität an den Arbeitsplätzen könnte leiden.“ Alles in allem werden sich Stimmungs- und Ablenkungseffekt nach seiner Ansicht ausgleichen.

Nach Ansicht der Bundesbank könnte sich die Konsumstimmung dank des Fußballfests rascher aufhellen, als die Indikatoren derzeit erwarten ließen. Spürbare Umsatzimpulse für den Einzelhandel wird es nach Einschätzung des Münchner Ifo-Instituts jedoch nicht geben. Die EM könnte allenfalls das Geschäft von Super- und Getränkemärkten sowie des Sportfachhandels beleben. Das Ausmaß wird wohl davon abhängen, ob sich die deutsche Mannschaft in einen Erfolgsrausch spielt.

Grillwurst statt Restaurant

Ganz nüchtern betrachtet, stellt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln fest, dass im Sommer 2006 das deutsche Bruttoinlandsprodukt trotz der Fußballbegeisterung nur leicht gestiegen ist. Dies sei jedoch eher mit einem saisonalen Effekt zu erklären. Die Konsumausgaben hätten sich nicht signifikant erhöht, sondern allenfalls verschoben: etwa vom Restaurant zur Grillwurst und vom Kino- zum Fernsehabend. Und der Tourismus profitiere auch dieses Mal – wenn überhaupt – nur in den zehn Städten, die Spielorte sind.

Die Sportartikelkonzerne, die die Teams ausrüsten, rechnen mit einem mehr oder weniger bedeutenden wirtschaftlichen Erfolg der EM. Puma mit eher weniger. Das Unternehmen hat vier Mannschaften in den Stadien: Österreich, die Schweiz, Serbien und Tschechien. Vorstandschef Arne Freundt bezeichnet sie als „Underdogs“, die keine große Zahl von Fantrikots verkauften.

Nike schickt neun Teams ins Rennen

Mit mehr und größeren Ländern geht Nike ins Rennen um den Europameistertitel: unter anderem mit England, Frankreich, Portugal und den Niederlanden. Insgesamt sind es neun der 24 Teams, die das Logo mit dem Swoosh auf ihren Trikots tragen. Der Weltmarktführer steht damit an der Spitze der EM. Adidas schickt sechs Mannschaften ins Turnier, darunter Titelverteidiger Italien, Spanien, Belgien und selbstverständlich Deutschland.

Allerdings: So selbstverständlich ist die Partnerschaft des Drei-Streifen-Unternehmens mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB), die seit dem Jahr 1950 währt, mittlerweile nicht mehr. Im März hatte der DFB bekannt gegeben, dass von 2027 an Nike alle Nationalmannschaften des mitgliederstärksten nationalen Sportfachverbands der Welt ausrüsten wird. Dem Vernehmen nach zahlt Nike dem finanziell klammen DFB etwa 100 Mill. Euro im Jahr.

„Und dann lachen wir erstmal“

Sogar weniger am Fußball Interessierte sind entsetzt, dass künftig ein amerikanischer Konzern anstelle des hiesigen Drei-Streifen-Traditionsunternehmens den kickenden Nationalstolz einkleidet. Aus Guldens Sicht war es ökonomisch nicht sinnvoll, mehr als die bisher gezahlten etwa 50 Mill. Euro im Jahr dem DFB zu überweisen: „Ab und zu bezahlen vielleicht einige zu viel“, sagte er auf der Hauptversammlung, ohne den Namen des Konkurrenten zu erwähnen. „Und dann lachen wir erstmal.“ Dafür bekam er kräftigen Applaus von den Aktionären.

Die EM 2024 gab Adidas schon zum Jahresauftakt einen kleinen Schub: Der Umsatz mit Schuhen nahm auch dank der Dynamik in der Kategorie Fußball im ersten Quartal währungsbereinigt um 13% zu. Und das Geschäft mit Fußballbekleidung legte um eine zweistellige Rate zu. Adidas begründet dies nicht nur mit neuen Mannschaftstrikots für die EM, sondern auch für die Copa América. Das amerikanische Kontinentalturnier findet fast zeitgleich in den USA vom 20. Juni bis 14. Juli statt. Dann steigt auch das Finale der EM – vielleicht am Ende eines zweiten Sommermärchens.

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