Gegen die Entvölkerung
Notiert in Mailand
Gegen die Entvölkerung
Von Gerhard Bläske
Selbst jetzt sind die Café- und Restaurant-Terrassen in der wärmenden Sonne am Hafenbecken der apulischen Hafenstadt Trani voll. Nicht viel anders sieht es in in Gallipoli, Ostuni, in der Barockmetropole Lecce oder in der Höhlenstadt Matera in der nahen Basilicata aus.
Die Städte wirken wohlhabend. Vor einigen Lokalen stehen Ferrari, Lamborghini oder Porsche. Doch der ökonomische Abstand zwischen Süd- und Norditalien wächst nach Angaben des Instituts Associazione per lo Sviluppo dell`Industria nel Mezzogiorno (Svimez). In den letzten 20 Jahren sind mehr als eine Million Süditaliener in den Norden abgewandert, andere gleich ins Ausland gegangen. Nur in Großstädten wie Bari oder Neapel, wo vor allem die IT-Branche stark ist, gibt es tragfähige Wirtschaftsstrukturen.
Industrieruinen wie das ehemalige Stahlwerk von Bagnoli in Neapel oder das weitgehend verlassene Ex-Fiat-Werk im sizilianischen Termini Imerese zeugen von früheren Bemühungen, den Süden zu entwickeln. Nun wird mit Hilfe des Europäischen Wiederaufbauprogramms ein neuer Anlauf unternommen: 40% der knapp 200 Mrd. Euro, die Italien erhält, sollen in den Süden fließen.
Ein Projekt, das auch mit Mitteln aus Europa gefördert wird, ist „Roots“. Ziel ist es, das Potenzial der 80 Mill. Auslandsitaliener zu nutzen, die teilweise vor Jahrzehnten nach Argentinien, Brasilien, Australien, in die USA, nach Deutschland oder Frankreich ausgewandert sind, aber ihre Wurzeln in Italien haben. In Matera in der süditalienischen Region Basilicata wurde in einer zweitägigen Veranstaltung darüber diskutiert, wie dieses Potenzial genutzt werden kann. Die Hoffnung: Die Auswanderer bzw. ihre Abkömmlinge mögen die oft verlassenen Dörfer wiederbeleben oder gar wiederbevölkern. Ein Großteil der Emigranten stammt aus ländlichen Zonen.
In Matera waren sich die Teilnehmer einig, dass viele der Dörfer „unschätzbare Schätze“ bergen, wie der Fernsehmoderator Beppe Convertini sagte. Doch viele Dörfer sind „Museen der geschlossenen Türen“, so der Schriftsteller Franco Arminio. Viele Häuser sind verlassen, verfallen. Es fehlen Unterkünfte, Einzelhandel, Einwohner. Der Traum, hier digitale Nomaden anzusiedeln, ist deshalb oft unrealistisch – unabhängig davon, dass viele Dörfer schlecht an das Verkehrsnetz angebunden sind, schlechte Internetverbindungen haben und es keine Schulen gibt. Allein das gute Essen und ein mildes Klima reichen nicht aus. Und im Winter ist es trist in den oft einsam liegenden Orten.
„Wir müssen die richtigen Bedingungen schaffen“, sagt Alberto Mattei, Präsident der Vereinigung der digitalen Nomaden Italiens, der selbst in einem kleinen Küstenort im Süden Siziliens lebt. Im Mietrecht seien, mit Ausnahme von Urlaubswohnungen, keine temporären Verträge vorgesehen. Und an der Küste konkurrierten die digitalen Nomaden mit den Touristen. Er selbst müsse im Sommer aus seiner Wohnung ausziehen, weil die Touristen dann das zigfache seiner Miete bezahlten.
Der Tourismus mit oft schlecht bezahlten und wenig qualifizierten Jobs allein kann keine Lösung sein. Viele Orte sind von September bis Juni verödet. Die einheimische Bevölkerung muss sich dann mit Sozialhilfe oder Gelegenheitsjobs über Wasser halten. An Touristen-Hotspots wie Venedig, wo 47.000 Gästebetten 46.000 Einwohnern gegenüberstehen, zeigen sich andere negative Begleiterscheinungen. Immer mehr Einheimische verlassen ihre Stadt, weil die Kosten zu hoch sind. Sie vermieten oder verkaufen ihre Wohnungen an Touristen.
Es gibt positive Beispiele wie die Langhe in Piemonte, wo durch Weinanbau, den Süßwarenhersteller Ferrero, Kleingewerbe und Tourismus Wohlstand eingekehrt ist. Gleiches gilt für Venetien, lange Zeit Auswandererregion und heute eine der wirtschaftlich stärksten Regionen Italiens. In Vasanello in der Provinz Viterbo (Latium) hat sich aufgrund der Privatinitiative einiger Norweger, die den Ort entdeckt hatten, ein sanfter Tourismus entwickelt, der die lokale Bevölkerung aktiv mit einbezieht.