LEITARTIKEL

Geldverwesung

Hält man das Streichholz an die Geldscheine, so züngeln die Flammen bald daran empor. Es raucht, es stinkt, es knistert, es wird ein wenig licht und warm. Schnell ist's vorbei. Es bleibt ein Häuflein Asche. Wer Banknoten verbrennt, bricht ein Tabu....

Geldverwesung

Hält man das Streichholz an die Geldscheine, so züngeln die Flammen bald daran empor. Es raucht, es stinkt, es knistert, es wird ein wenig licht und warm. Schnell ist’s vorbei. Es bleibt ein Häuflein Asche. Wer Banknoten verbrennt, bricht ein Tabu. Reale Werte vernichtet der Cash-burn nicht, im Gegenteil. Indem der Schein aus dem System genommen wird, macht er die Währung, die er symbolisiert, sogar ein Quäntchen stärker.Mit Geld zu kokeln ist dennoch kein Königsweg, um überschüssige Liquidität aus dem Finanzsystem zu nehmen. Doch wohin? Trägt man’s zur Bank, so signalisiert sie durch “Strafzinsen”: Bleib mir fort damit. Auch offene Immobilienfonds winken klugerweise ab. Es gibt keine Häuser mehr, die sie damit kaufen könnten, ohne eine Preisblase zu befeuern.Es gab Zeiten, in denen war Geld knapp. Sie wurden von der Geldpolitik abgeschafft. Die Empörung über den verordneten Wertewandel ist spürbar: Da will man “Geld leihen und wird bestraft”. Negative Zinsen seien “absurd” oder gar “pervers”, sie läuteten das “Ende der Sparkultur” oder gar das “Ende des Kapitalismus” ein. Ist das wahr?Eher nicht. Pervers im Wortsinne ist es vielmehr, jemandem Geld aufzudrängen und dann von Leihe zu sprechen. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen, und eine Sanktion für aufgedrängte Bereicherung ist auch in unserem Rechtsempfinden gut verankert. Und wenn ein Bankvorstand in Zeiten von Überschussliquidität den Verlust von “Sparkultur” beklagt, so ist das kaum weniger komisch, als würde ein Hausherr, dessen Keller nach einem Wolkenbruch unter Wasser steht, eine Predigt übers Wassersparen halten, statt still den Eimer zu nehmen und zu schöpfen.Wer hat gesagt, zu Kapitalismus und Marktwirtschaft gehöre ein Recht auf Zins und Zinseszins? Wer maßt sich an zu behaupten, Sparen sei per se eine Tugend? Sparen ist Belohnung für Konsumverzicht, doch Verzicht ist nur sinnhaft, wenn gefragte Güter knapp sind. Der Markt sagt: Wo keine Knappheit, sondern potenziell schädlicher Überfluss ist, da ist Verwendung, ja sogar Verschwendung die größere Tugend als der Versuch zu horten. Der Markt zeigt es durch negative Preise. Es gibt sie nicht nur beim Geld, sondern auch bei elektrischem Strom, wenn er im Überfluss abfällt. Güter vernichten? So sind wir nicht erzogen, und so grenzt es an Gehirnwäsche, was uns die Protagonisten des Weltfinanzsystems zumuten. Mit ihrer Niedrigzinspolitik wollen sie uns das Horten und Knapsen aberziehen und ermuntern: Kauft, konsumiert, investiert! Wer meint, er höre darin die Aufforderung: Lebt auf Pump, prasst, treibt die Preise!, der hat sich allerdings verhört. Nach wie vor will Geld verdient sein, und zum Konsum gezwungen wird keiner. Für Unternehmensbeteiligungen und Infrastrukturinvestments zeigt der Markt noch auskömmliche reale Renditen an, weil er unterstellt, dass sie Werte schaffen.Solange sie das tun, bilden sich auch keine Preisblasen. Risikofreudiges Smart Money kann in sinnvolle Start-ups fließen, risikoscheues etwa in Straßen-, Strom- und Datennetze. Probleme im Weltfinanzsystem schafft Silly Money: Häuser an Orten, in denen man nichts erwirtschaften kann, und in die Menschen einziehen, die sie nicht abbezahlen; Straßen, auf denen niemand fährt; Apps, die keiner braucht.Und Dull Money, die dritte Kategorie, bekommt ihren Platz im System zugewiesen: Es ist das stumpfsinnige Geld jener Sparer, die es einfach bei der Bank liegen lassen oder dem Staat antragen und sich jetzt lauthals beschweren, sie würden “enteignet”. Das werden sie faktisch auch, aber es ist ihre Entscheidung, das Geld nicht anderweitig zu verwenden. Der Staat kann die Mittel in Bildung, Armutsbekämpfung und Infrastruktur stecken, und die Renditen, die die Gesellschaft so vereinnahmt, können astronomisch sein.Den Sparern tun Negativzinsen weh, aber sie sind Speicherungs- und Entsorgungsgebühr für Kapital, das sie keiner produktiveren Verwendung zuführen. Asche zu Asche. Es ist keine Kremierung, eher Verwesung, die auf den Geldfriedhöfen stattfindet: Bei einem Negativzins von 1 % sind nach 100 Jahren von 1 000 Euro noch 366 da. Geld stinkt nicht.Auch diese langsame Buchgeldverbrennung kann eine sinnliche Seite haben: Damit die hierfür nötigen Datenspeicherungs- und Kalkulationsvorgänge bei den Banken in Großrechnern ausgeführt werden können, verbrennt dafür möglicherweise in irgendeinem Großkraftwerk tatsächlich ein wenig Kohle.——–Von Daniel SchauberSmart Money vermehrt sich, Silly Money verbrennt, Dull Money verwest. Geld stinkt nicht. Der Prozess hilft, gefährliche Asset-Preisblasen zu verhindern.——-