Gute Gründe für sanften Tadel
Sanfter Tadel
aus Paris
Von Jan Schrader
Wieder einmal ist der EU-Wertpapierregulator mit den deutschen Regeln zur Aufsicht unzufrieden – doch sind die Mängel aus Sicht der ESMA mit Sitz in Paris diesmal überschaubar. Die Regulierungsbehörde hält fest, dass die Unabhängigkeit der BaFin gegenüber Berlin stärker hervorgehoben werden könnte. Auch sollten die Offenlegungsregeln für Wertpapiergeschäfte von BaFin-Beschäftigten noch strenger sein. Diese zwei Kritikpunkte notiert die European Securities and Markets Authority in einem „Follow-up Report“, der insgesamt aber weitreichende Fortschritte attestiert.
Konsequenzen? Mutmaßlich keine. Denn anders als im November 2020, als die ESMA die Regeln zur Bilanzkontrolle in Deutschland als unzureichend tadelte, vermeidet die Behörde diesmal eine öffentliche Schelte. Weder gibt es eine Pressekonferenz, noch lässt sich ESMA-Chefin Verena Ross mit mahnenden Worten zitieren, noch hebt der zugehörige Bericht die Kritik deutlich hervor. Ohnehin kommt das Resümee vier Jahre nach dem Wirecard-Kollaps reichlich spät. Die ESMA will mit ihrer Kritik offensichtlich nicht gehört werden.
Zwischen den Zeilen
Dafür gibt es gute Gründe: Denn nach dem Tadel im Jahr 2020, als vor allem die BaFin, aber auch die ESMA nach dem Wirecard-Kollaps unter Druck stand, geht es nun auch um Gesichtswahrung. EU-Behörden und Nationalstaaten sind nicht immer einer Auffassung. Und so geht es der ESMA darum, einerseits ihre Rolle als Standardsetzerin zu verdeutlichen, andererseits aber auch den Ermessensspielraum der deutschen Politik und Finanzaufsicht zu achten. Das Ergebnis ist ein sanfter Tadel, der nicht wehtut. Regulierungsberichte sind trotz allem Kauderwelsch immer politisch interpretierbar. Vieles steht dabei zwischen den Zeilen.
Die ESMA ginge in der Tat zu weit, würde sie die Regeln in Deutschland akribisch vorschreiben wollen, solange die Mängel nicht eklatant sind. Das aber ist heute nach Maßstäben der ESMA nicht mehr der Fall. Kritik kann in vielen Lautstärken geäußert werden. Aus gutem Grund wählt die ESMA eine leise Variante.