Hält der Silizium-Schutzschild von Taiwan?
Hält Taiwans
Silizium-Schutzschild?
TSMC produziert die modernsten Chips nur in der Heimat, damit China die Insel nicht angreift. Aber diese wirtschaftliche Abschreckung hat ihre Grenzen.
Von Martin Fritz, Tokio
Die Lieferketten der Halbleiterindustrie, der weltweit wichtigsten Branche für den ökonomischen Fortschritt, bilden das Schlachtfeld für den Kampf zwischen USA und China um die strategische globale Vorherrschaft bei Prozessoren und Künstlicher Intelligenz. Im Zentrum dieses Wettbewerbs steht Taiwan. 65% aller Halbleiter und über 90% der High-End-Chips kommen von dort. Die rasant steigende Chipnachfrage durch den KI-Boom hat Taiwans Marktanteile noch einmal verfestigt. Allein im dritten Quartal wuchsen die Halbleiterumsätze weltweit um knapp ein Viertel gegenüber dem Vorjahr.
Made in Taiwan als Prinzip
Der weltgrößte Auftragsfertiger TSMC produziert die hochleistungsfähigsten Halbleiter der Welt, etwa die KI-Chips für Nvidia und die Smartphone-Prozessoren für Apple, ausschließlich in Taiwan. Neuerdings baut TSMC zwar Chipfabriken im Ausland. Aber sie verwenden nicht die neueste Fertigungstechnologie. Das Advanced Packaging, die moderne Endfertigung für High-End-Chips, findet ebenfalls nur in der TSMC-Heimat statt. Die Chips werden dafür künftig aus Arizona und Dresden extra nach Taiwan gebracht.
TSMC ist gesetzlich verpflichtet, seine fortschrittlichste Technologie nur auf der Insel selbst einzusetzen. Damit sichert der Staat seine wichtigste Einnahmequelle ab – Halbleiterprodukte machen 40% der taiwanesischen Exporte aus. Aber dahinter steckt auch das Kalkül, die Welt in Abhängigkeit zu halten, damit andere Länder Taiwan zu Hilfe kommen, falls China seine Besitzansprüche gewaltsam durchsetzt. Denn eine Attacke auf Taiwan würde die globale Versorgung mit Chips und damit die Stabilität der Weltwirtschaft gefährden. Diese Abhängigkeit erhöht auch die ökonomischen Folgekosten für den Angreifer China selbst, der ja auch auf taiwanesische Chips angewiesen ist.
Gewollte Abhängigkeit von Taiwan
Wegen dieser Zusammenhänge wird die zentrale Rolle von Taiwan in der globalen Halbleiterlieferkette oft als „Silizium-Schutzschild“ für die Insel bezeichnet. China muss damit rechnen, durch einen Angriff nicht nur selbst den Zugang zu TSMC-Chips zu verlieren, sondern auch die USA auf den Plan zu rufen, die verhindern wollen, dass die modernsten Waferfabriken der Welt samt ihren Ingenieuren in chinesische Hände fallen.
Dieses Kernargument ist schon etwas älter, aber die damalige taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen formulierte es vor drei Jahren zur politischen Maxime. „Unsere Halbleiterindustrie ist ein Siliziumschild, der es Taiwan ermöglicht, sich selbst und andere vor aggressiven Versuchen autoritärer Regime zu schützen, die globalen Lieferketten zu stören“, schrieb Tsai im Magazin „Foreign Affairs“.
Chip-Werk neben Militär-Flughafen
Es dürfte daher kaum ein Zufall sein, dass TSMC neue Werke in Taiwan nahe an militärische Anlagen baut. Ein neues Wafer-Werk in Kaohsiung entsteht direkt neben dem wichtigsten Militärhafen und der Marinekaserne. In Taichung stehen die Wafer- und Advanced-Packaging-Fabriken, die gerade ausgebaut werden, in unmittelbarer Nähe eines Militärflughafens. Offenbar will man das Risiko für China erhöhen, dass bei Angriffen auf militärische Ziele auch Chip-Anlagen von TSMC beschädigt werden.
Eine Schwachstelle der Strategie besteht darin, dass China das Ziel verfolgt, seine Abhängigkeit von Chips aus Taiwan zu verringern und selbst Prozessoren auf dem Spitzenniveau von TSMC herzustellen. Die USA beschleunigen diese Entwicklung, indem sie TSMC zwingen, bestimmte Chips nicht mehr nach China zu liefern. Je mehr China bei Halbleitern autark wird, desto weniger wirkt der Schutzschild. Mit einer Unterbrechung der taiwanesischen Chipversorgung könnte China dann den USA erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Der Experte Wu Jieh-min spricht von „asymmetrischen Schäden“, die die USA nur durch Re-Shoring und Friend-Shoring von Bausteinen der Lieferkette ausgleichen könnten – ein Ziel, das Donald Trump verfolgen wird.
Emotional-ideologischer Antrieb
Die eigentliche Achillesferse des Schildes liegt jedoch in der starken emotionalen und ideologischen Motivation in China, die Inselrepublik „zurück“ ins Reich der Mitte zu holen. Seit Mao Zedongs Zeiten hat Chinas Kommunistische Partei die Annexion Taiwans mit der Legitimität ihrer Herrschaft und der nationalen Würde verknüpft. „Halbleiter spielen eine geringe oder gar keine Rolle in den Überlegungen der chinesischen Führung zu Taiwan“, warnt der unabhängige Analyst Matthew Fulco.
Die KP betrachtet die Abtretung Taiwans und der Penghu-Inseln durch die Qing-Dynastie (1644–1911) an Japan nach der Niederlage Chinas im ersten Sino-Japanischen Krieg (1894–95) als nationale Demütigung. Den Vertrag über die Abtretung hält man für ungültig. Staatschef Xi Jinping beschreibt die „nationale Wiedervereinigung“ als „Wesen der nationalen Erneuerung“. Damit soll China zu seiner rechtmäßigen Größe verholfen werden. Zudem bekäme das Land ungehinderten Zugang zum Pazifik.
Militärische Abschreckung ein Muss
Auch TSMC-Chairman Mark Lieu überzeugt die Schutzschild-Idee nicht. China werde sich um die Folgen für die Halbleiterindustrie nicht kümmern: „China wird Taiwan nicht wegen Halbleitern angreifen. China wird Taiwan aber auch nicht nicht wegen Halbleitern angreifen“, sagte er doppeldeutig der New York Times.
Nicht die Wirtschaftsfolgen durch eine gestörte Halbleiterlieferkette halten Chinas Präsident Xi bisher von einer Invasion ab, sondern sein mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Streitkräfte. Auch eine Blockade verspricht keinen sicheren Weg, die Insel in Chinas Besitz zu bringen. Aber China bereitet sich darauf vor. Daher braucht Taiwan außer seinem Silizium-Schild auch noch einen militärischen Abwehrschild. Neben der ökonomischen muss es eine überzeugende militärische Abschreckung geben.