LeitartikelImmobilienkrise

Halloween auf chinesische Art

Peking hat für akute wirtschaftliche Probleme keine überzeugenden Lösungen parat. Das wird dieser Tage zum Gruselfaktor.

Halloween auf chinesische Art

Krisensymptome

Halloween auf chinesische Art

Peking hat für akute wirtschaftliche Probleme keine überzeugenden Lösungen parat. Das wird dieser Tage zum Gruselfaktor.

Von Norbert Hellmann

China kannte bislang eigentlich keine ausschweifenden Halloween-Festivitäten. Nun staunt das ganze Land über gigantische bunte Aufmärsche, die in den letzten Tagen das Stadtbild der Wirtschaftskapitale mit Menschenmassen förmlich überschwappt haben. In den Staatsmedien wird das Defilee tapfer als Beweis für Lebenslust und wachsendes Konsumvertrauen einer optimistischen jungen Bevölkerung gewertet. Jeder weiß aber, dass der überraschende Massenauflauf in der von Chinas horrender Null-Covid-Politik am härtesten getroffenen Stadt eine unterschwellige Protestnote mitgebracht hat.

Zahlreiche Kostümierte haben den Halloween-Gruselcharakter mit sehr subtilen Methoden in von jungen Chinesen wohlverstandene sozialkritische Botschaften umfunktioniert. Neben Wut über die von Peking angeordnete Lockdown-Zeit, drücken sie Spott und Enttäuschung über drei Phänomene aus, die sinnbildlich für Chinas wirtschaftliche und soziale Herausforderungen seit Abschaffung der Corona-Restriktionen stehen. Es geht um Konjunkturpessimismus mit dem schwachen Aktienmarkt als Leitmotiv, eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, die das Statistikbüro nicht mehr abzubilden bereit ist und die Verschuldungskrise der chinesischen Bauträger, die den Wohnimmobilienmarkt zerzaust.

Während der tollen Tage in Schanghai hat die Pekinger Parteiführung eine nur alle paar Jahre abgehaltene Central Financial Work Conference absolviert, aus der sich Leitlinien für den Finanzsektor in den kommenden Jahren ergeben sollen. Die offiziellen Verlautbarungen nach der Sitzung beziehen sich mit gewohnt kryptischen Formulierungen auf offensichtliche Schmerzpunkte. Zu den von der Pandemie wesentlich verschärften budgetären Missständen auf Lokalregierungsebene heißt es, man werde die Verschuldungsstruktur zwischen Zentral- und Lokalregierungen mit langfristigen Mechanismen „optimieren“ und damit Finanzstabilitätsrisiken angehen. Zur Immobilienproblematik verkündet Peking, dass die Regulierung und Überwachung der Bauträger sowie ihr Zugang zu Finanzierungsquellen verbessert wird. Dabei sollen die Gebietskörperschaften nach lokalen Gegebenheiten auf eine Anregung der Wohnimmobiliennachfrage hinarbeiten.

Aus diesen Formulierungen destillieren die Marktteilnehmer keine sonderlich optimistischen Botschaften, geschweige denn Anzeichen für Lösungen der Chinas Konjunktur erheblich abbremsenden Immobilienproblematik heraus. Dazu passend weist eine neue Statistik der Zentralbank aus, dass der Bestand an Immobilienkrediten in China zum Stichtag 30. September gegenüber Vorjahr zum ersten Mal überhaupt abgeschmolzen ist. Das riecht nicht nach Aufwind im Sektor.

Wie es der Zufall will, hat die geradezu symbolhaft für die Verschuldungskrise der Immobilienentwickler stehende Evergrande Group dieser Tage eine weitere und offiziell letzte Chance erhalten, einen über das Jahr hinweg immer wieder verschobenen Restrukturierungsplan vorzulegen. Auf dessen Basis soll es gelingen, doch noch eine Umschuldungslösung für die zwei Jahre nicht mehr bedienten Dollaranleihen im Nominalwert von über 20 Mrd. Dollar zu finden. Andernfalls droht ein Hongkonger Gericht einem Antrag auf Liquidation der Gesellschaft stattzugeben. Der Showdown bei Evergrande ist vom 30. Oktober auf den 4. Dezember verschoben worden. So wurde zumindest verhindert, dass die Financial Work Conference von einem Konkursknall bei Evergrande überschattet wird.

Das schon seit zwei Jahren währende Schweigen Pekings zu Auffanglösungen bei Evergrande wirkt dennoch ohrenbetäubend. Dass der an allen Ecken und Enden in der Privatwirtschaft und im Kapitalmarktwesen intervenierende chinesische Staat sich so vornehm zurückhält, hat nichts mit marktwirtschaftlicher Einstellung, sondern Hilflosigkeit zu tun. In der Hoffnung, dass Konjunktur und Immobilienmarkt nach Abschaffung der Corona-Politik von alleine in Schwung kommen würden, hat Peking wohl darauf gesetzt, dass die Causa Evergrande als trauriger Einzelfall ohne Ansteckungswirkung ausgesessen und still bereinigt werden kann. Dem ist aber nicht so.

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