LEITARTIKEL

Hangover in Hannover

Big Data, Social Business, Mobile, Cloud und mehr." So wirbt der Veranstalter Deutsche Messe für die am Montag in Hannover startende Cebit mit dem Gastland Schweiz. Das klingt ungefähr so aufregend wie das 1970 auf dem Messegelände eingeweihte...

Hangover in Hannover

Big Data, Social Business, Mobile, Cloud und mehr.” So wirbt der Veranstalter Deutsche Messe für die am Montag in Hannover startende Cebit mit dem Gastland Schweiz. Das klingt ungefähr so aufregend wie das 1970 auf dem Messegelände eingeweihte “Centrum der Büro- und Informationstechnik”, das zunächst Teil der Hannover Messe war und 1986 Pate stand für die seither eigenständig ausgetragene Leistungsschau der Informationstechnologie. Es klingt auch ein bisschen nach Katerstimmung in Hannover, nachdem die Cebit in den vergangenen Jahren die ganz großen Themen Cloud Computing, Vertrauen im digitalen Zeitalter, die sogenannte Sharing Economy und die digitale Wirtschaft im Ganzen in den Fokus nahm und dazu Delegationen aus der Türkei, aus Brasilien, Polen, Großbritannien und China begrüßte.Hat sich das Format der Cebit nach 30 Jahren erschöpft, weil es heute auf fast jeder beliebigen Branchenmesse ein eigenes “Centrum der Büro- und Informationstechnik” gibt? Seit dem Schisma mit der Hannover Messe ist jedenfalls eine Menge passiert. Das Büro ist längst nicht mehr der erste Einsatzort für Informationstechnologie. Vom kleinen Mittelständler bis zum Blue Chip sind heute viele Kernprozesse in den meisten Branchen oft vollständig automatisiert. Vor allem hat die digitale Revolution die Wertschöpfungsketten der Firmen, die knapp zwei Monate nach der Cebit auf der Hannover Messe Industrie ihre Stände aufbauen, voll erfasst. Industrie 4.0 lautet der Begriff, auf den diese vierte industrielle Revolution hierzulande gerne gebracht wird.Die Revolution frisst bekanntlich besonders gerne die eigenen Kinder. So könnte es bald auch der Cebit ergehen, ist in diesem Jahr in den Tagen vor der Messe nicht zum ersten Mal zu hören. Denn wenn vom Branchentreffen der verarbeitenden Industrie am gleichen Ort angefangen über die Teilnehmer der Konsumelektronikmessen von Las Vegas bis Schanghai, am Mobile World Congress in Barcelona ebenso wie an der iPharma der Life-Sciences in New York alle nur noch von Big Data, Social Business, Mobile, Cloud und mehr – pardon: and more – reden, sobald es um die Zukunft ihres Geschäfts geht, wer soll dann eigentlich noch zur Cebit, dem “Global Event for Digital Business” anreisen?Die Licht- und Elektronikmesse Light & Building, die parallel zur Cebit in Frankfurt ihre Tore öffnet und ebenfalls mit knapp 3 000 Ausstellern und gut 200 000 Besuchern rechnet, steht in diesem Jahr unter dem Motto “Digital – individuell – vernetzt”. Wer der digitalen Wirtschaft in diesen Tagen entkommen möchte, kann es von Mittwoch bis Samstag auf der Holz-Handwerk 2016 in Nürnberg versuchen – und wird sich wahrscheinlich in Gesellschaft von vernetzten Holzbearbeitungsmaschinen wiederfinden, die schon bald ein Teil des Internets der Dinge sein sollen.Die Deutsche Messe selbst hat bereits eingesehen, dass die Cebit als Aussteller neuer Digitalisierungstrends kaum Überlebenschancen hat. Spätestens seit 2014 steht deshalb das Fachpublikum im Fokus des Veranstalters. Die IT-Messe betont seither ihre Funktion als Plattform für den Dialog über den digitalen Wandel. Dass dieser Dialog gerade in Deutschland durchaus noch den einen oder anderen Impuls verträgt, legen Studien der ersten Berateradressen nahe. Da heißt es zum Beispiel, dass neun von zehn Entscheidern hierzulande die Industrie 4.0 als Chance verstehen, aber nur jeder Fünfte auch einen Fahrplan, geschweige denn eine Strategie in der Schublade hat, wie diese Chance ergriffen werden soll.Das Thema Digitalisierung sei mittlerweile zur Chefsache geworden, meldeten die Veranstalter der Cebit kurz vor dem Beginn der Messe triumphierend: Noch nie habe man so viele Top-Entscheider zu der Veranstaltung erwartet wie in diesem Jahr. Allein, nur ein Drittel der Unternehmen in Deutschland hat laut aktueller Umfragen überhaupt geklärt, wer innerhalb der Organisation die Verantwortung für den digitalen Wandel trägt. Das muss kein schlechtes Zeichen sein, schließlich haben auch Unternehmen wie Amazon oder Google keinen Chief Digital Officer. Das wäre in einer datengetriebenen Firma so, also würde eine Zeitung einen Chief Paper Officer ernennen, war vor kurzem aus einer Diskussion unter Chief Digital Officers zu hören, die das “Digital” auf ihren Visitenkarten so schnell wie möglich wieder loswerden wollten. In einem digitalen Unternehmen könne kein Einzelner für den digitalen Wandel verantwortlich sein, hieß es da. In einer digitalen Wirtschaft gilt das sinngemäß wohl auch für Messeformate.——–Von Stefan ParaviciniVor 30 Jahren hat sich die Cebit von der Hannover Messe abgespalten. Das Format hat sich erschöpft und muss in der digitalen Wirtschaft eine neue Rolle finden.——-