LEITARTIKEL

Hat Fiat fertig?

Einst wurde er als Retter gefeiert. Heute ist Fiat-Chef Sergio Marchionne in Italien bei nahezu allen Interessengruppen unten durch, wird als Verräter Italiens beschimpft, seitdem er eine mögliche Verlagerung des Konzernsitzes in die USA andeutete....

Hat Fiat fertig?

Einst wurde er als Retter gefeiert. Heute ist Fiat-Chef Sergio Marchionne in Italien bei nahezu allen Interessengruppen unten durch, wird als Verräter Italiens beschimpft, seitdem er eine mögliche Verlagerung des Konzernsitzes in die USA andeutete. “In den USA wird gehandelt, in Italien nur gesprochen”, lautet sein Mantra. Ob Gewerkschaften, Arbeitgeber oder Politiker, der Lenker des größten italienischen Unternehmens in privater Hand sorgt nur noch für Kopfschütteln. Regelmäßig muss der 60-jährige Pulloverträger mit seinen (über)pointierten Aussagen zurückrudern.Dabei ist positiv festzuhalten, dass er sich seit nunmehr acht Jahren an der Fiat-Spitze hält und damit für Kontinuität steht. Und mit seiner hemdsärmeligen Art war ihm in der Frühphase auch eine Ergebniswende gelungen, ohne dass er aber die grundlegenden Probleme zu lösen vermochte: Die übergroße Abhängigkeit von Heimatmarkt Italien, von Europa und von den Kleinwagen. Und nur die schrittchenweise Mehrheitsübernahme seit 2009 des wieder gut profitablen US-Autobauers Chrysler hat Fiat bisher bilanziell über Wasser gehalten. Am Markt ist Fiat Auto weniger als 5 Mrd. Euro wert.Aber ähnlich wie Fiat mangelt es auch Chrysler an einem globalen Fußabdruck. Die US-Beteiligung ist stark in Nordamerika und profitiert deshalb nach überstandener Blitzinsolvenz von der allmählichen Erholung des Marktes dort. Aber um auf die von Marchionne als überlebenswichtig genannten 6 Millionen Pkw jährlich zu kommen, reicht das Zusammengehen mit Chrysler nicht aus, zumal Fiat außerhalb Europas allein mit der knappen Marktführung in Brasilien etwas Nennenswertes vorzuweisen hat. China? Fehlanzeige. Russland? Hier steckt die Marktbearbeitung in den Kinderschuhen, dabei verhalf Fiat dem Land einst zu einer annähernd wettbewerbsfähigen Autoindustrie.Bei Vorlage der Geschäftszahlen für die ersten neun Monate musste Fiat die Planungen für 2014 kassieren. Man werde bis dahin nicht auf die Zielgröße 6 Millionen Fahrzeuge kommen, sondern auf allenfalls 4,6 bis 4,8 Millionen. Das Umsatzziel wurde um 15 Mrd. auf 89 Mrd. Euro gestutzt. Der Handelsgewinn werde wohl nur bei 4,7 bis 5,2 Mrd. Euro landen. Vor zwei Jahren waren noch 7,5 Mrd. Euro vorhergesagt worden. Mit Recht hatte Marchionne in der jüngeren Vergangenheit die erheblichen Überkapazitäten in Europa als Grund für Preis- und Margendruck gegeißelt, VW wegen deren Preispolitik als Ursache eines “Blutbades” gescholten. Ford hat die Schließung dreier Werke angekündigt, Opel dürfte bis 2016 das Werk Bochum dichtmachen, PSA Peugeot Citroën steht gleichfalls vor einem solchen Schritt. Und Fiat?Obwohl der italienische Autobauer seine fünf Inlandswerke gerade einmal zu 45 % auslasten kann, ist eine Schließung offenbar wieder vom Tisch. Nun soll die Auslastung über eine Exportoffensive nach USA und Asien nach oben gebracht werden. Wenn das mal so einfachwäre . . . Denn für eine solche Exportoffensive benötigt Fiat auch Produkte, um die sich die Kunden reißen. In neue Modelle hat der Konzern wegen der anhaltenden Absatzkrise aber wenig investiert, ein neuer Punto ist nicht in Sicht: “Wenn wir nach den ursprünglichen Plänen investieren würden, wären wir pleite”, so Marchionne. Jetzt soll investiert werden, Fiat bleibt damit ein Cashburner.Ob die Strategie, sich unter der eigenen Marke allein auf 500er-Derivate und den Kleinwagen Panda zu konzentrieren, reicht, darf bezweifelt werden. Und ob es dem Konzern gelingt, die Edelmarken Alfa Romeo sowie Maserati durch den Einsatz von Chrysler-Baugruppen und -Plattformen zu ernsthaften exportfähigen Premiumangeboten in Konkurrenz zu Audi, BMW und Mercedes aufzupeppen, muss sich zeigen. Zu Lancia, der ebenfalls zu Fiat gehörenden Traditionsmarke, fällt Marchionne strategisch nichts mehr ein.Fiat braucht weitere Partner und hat bei den japanischen Herstellern Suzuki und Mazda angeklopft, ohne Vollzug melden zu können. Vor Jahren wäre man gerne mit PSA Peugeot Citroën zusammengegangen – da ist jetzt General Motors zum Zuge gekommen. Vor drei Jahren schielte Marchionne nach Opel. Auch jetzt wurde kolportiert, für ein Handgeld von 5 bis 7 Mrd. Dollar würde Fiat GM gerne von der Bürde Opel befreien. Marchionne dementierte dies energisch. GM hatte seit 2000 die Möglichkeit, Fiat zu übernehmen und war 2005 heilfroh, die Put-Option der Italiener mit Zahlung von 2 Mrd. Dollar abzuwenden. Ohne dieses Geld hätte Marchionne für Fiat möglicherweise schon längst verkünden müssen: “Ich habe fertig.”——–Von Peter Olsen ——-Mit einer Exportoffensive will Fiat Werksschließungen in Italien vermeiden. Die Partnersuche nach der mehrheitlichen Übernahme von Chrysler stockt.