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Heimbetreiber als Pflegefall

Bundesweit rutschen große Pflegeheimbetreiber in die Insolvenz. Scheitert die Neuausrichtung, verlieren die hochbetagten Bewohner ihr Zuhause. Der Druck ist in diesen Fällen auch für die Restrukturierer groß.

Heimbetreiber als Pflegefall

Heimbetreiber als Pflegefall

Bundesweit rutschen große Pflegeheimbetreiber in die Insolvenz. Scheitert die Neuausrichtung, verlieren die hochbetagten Bewohner ihr Zuhause. Der Druck ist in diesen Fällen auch für die Restrukturierer groß.

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Pflegebedürftige Senioren, die Knall auf Fall nicht mehr in ihrer gewohnten Umgebung betreut werden können. Hochbetagte Menschen, die in weiter entfernte Regionen umziehen und ihre sozialen Netzwerke zurücklassen müssen. Oder im Worst Case: Eine Turnhalle voller Betten, in der Senioren in provisorischen Strukturen versorgt werden. Diese Horrorvorstellungen stehen im Raum, wenn es um Insolvenzen von Pflegeheimbetreibern geht. Findet sich keine Lösung, droht den Heimen die Schließung.

Das Risiko ist real: Convivo, die Hansa-Gruppe, Teile der Dorea-Gruppe, Novent und Curata: Sie alle haben im ersten Halbjahr Insolvenzverfahren angestoßen, teils in Eigen- und teils in Fremdverwaltung. Die Anbieter zählen zu den größten privaten Trägern in Deutschland, allein bei Convivo waren 77 laufende Pflegebetriebe betroffen. Hinzu kommen Insolvenzen einzelner Häuser oder kleinerer, regional tätiger Betreiber. „Dass nun auch große Ketten mit Dutzenden Häusern in die Insolvenz rutschen, ist eine neue Dimension“, sagt Malte Köster, Partner der Kanzlei Willmer Köster, der seit 15 Jahren Insolvenzen in dem Sektor betreut und aktuell gemeinsam mit Christoph Morgen, Partner der Kanzlei Brinkmann & Partner, als Insolvenzverwalter bei Convivo sowie als bestellter Sachwalter im Schutzschirmverfahren der Hansa-Gruppe aktiv ist.

Erschwerte Käufersuche

Um Schließungen zu verhindern, müssen verschiedene Parteien zusammenarbeiten. Im Fall von Convivo, das dem Portal „Pflegemarkt.com“ zufolge allein 4.600 vollstationäre Pflegeplätze sowie fast 2.000 betreute Wohneinheiten unterhalten hat, werden alle Standorte bis auf fünf Häuser weitergeführt, berichtet Köster, der bei Convivo den Bereich der stationären Heime verantwortet. Doch die Lösungen waren kleinteilig. „Es reichte von der Heimleiterin, die ihren Standort weiterführt, bis zu regionalen Betreibern, die zehn Häuser im Paket übernommen haben.“

Investoren, die große Pflegeketten im Paket übernehmen, sind derzeit rar gesät. Laut dem PwC-Transaktionsmonitor Gesundheitswesen 2022/2023 ist die Zahl der Transaktionen im Bereich Pflege bereits 2022 im Vergleich zum Vorjahr von 51 auf 45 Transaktionen gesunken.

Deals mit Beteiligung von Private-Equity-Investoren sind sogar um rund ein Drittel zurückgegangen. Die prominenteste Heimkette in Private-Equity-Hand ist hierzulande Alloheim, die im Besitz von Nordic Capital liegt. Sie hat im Frühjahr Interesse an der Übernahme von drei Heimen der Novent Holding bekundet, die eine Insolvenz in Eigenverwaltung durchläuft.

Auch bei Investments in Pflegeimmobilien, die in den zurückliegenden Jahren bei institutionellen Investoren beliebt waren, wächst die Zurückhaltung. Insgesamt sanken die Transaktionen 2022 im Vergleich zum Vorjahr um sechs auf 36 Deals.

Dass Käufer sich zurückhalten, ist kein Wunder, denn über Betreibern von Pflegeheimen scheint der perfekte Sturm zu toben: Fachkräftemangel, komplexe Bürokratie, Preissteigerungen: All diese Themen treffen eine ganze Reihe von Branchen, die Folgen für die Heimbetreiber sind allerdings besonders stark.

Strikte Vorgaben

Das liegt auch an den finanziellen Strukturen. Pflegeheimbetreiber können im Gegensatz zu Betrieben anderer Branchen nicht frei kalkulieren. Die Kostenerstattungen der Pflegekassen gehen davon aus, dass die Heime zu rund 95% belegt sind, für diesen Fall sind sie auskömmlich. Liegt die Belegung niedriger, verdient der Betreiber weniger.

Eine Leihkraft kostet etwa dreimal so viel wie eine festangestellte Vollzeitkraft.

Malte Köster

Um zu verhindern, dass Heimbetreiber ihre Zimmer voll belegen, ohne das nötige Pflegepersonal an Bord zu haben, ist allerdings auch der Personalschlüssel vorgegeben. Der Fachkräftemangel hat also direkten Einfluss darauf, wie stark ein Betreiber sein Heim belegen kann – und damit auch auf die Einnahmen. Wer in der Pflege nicht genügend Personal findet, kann sich zwar mit Leihpersonal behelfen, doch das ist teuer. „Als Faustregel gilt: Eine Leihkraft kostet etwa dreimal so viel wie eine festangestellte Vollzeitkraft“, erklärt Köster. Der Refinanzierungssatz der Pflegekassen kalkuliere aber mit dem Gehalt einer festangestellten Kraft.

„Pflegeheime müssen sehr effizient betrieben werden, sonst kommt man mit dem Kostenschlüssel nicht klar“, sagt Dirk Andres, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Partner der Kanzlei Andres Partner. Die organisatorische Komplexität sei hoch, gerade bei bundesweit tätigen Häusern. „Nicht alle Heime sind administrativ ideal aufgestellt.“

Die durch die Inflation stark gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel belasten die Heimbetreiber seit einigen Monaten zusätzlich. Und auch die Mieten sind ein Thema: „Bei privaten Betreibern residiert der Großteil in gemieteten Räumen, die oft eine Indexmiete haben“, sagt Köster.

Die steigenden Kosten für Miete oder Energie können die Pflegeheime sich zwar über die Refinanzierung zurückholen – bis die entsprechenden Sätze bei den Pflegekassen angehoben sind, dauert es jedoch. „Es können bis zu anderthalb Jahre vergehen, bis eine Erhöhung genehmigt wird. Diese Zeit hat ein Pflegeheim in der Krise nicht“, sagt Köster. Der allgemeine Beitragssatz für die Pflegekassen wurde gerade erst zum 1. Juli erhöht, was Mehreinnahmen von insgesamt rund 6,6 Mrd. Euro im Jahr bringen soll.

Gut kalkulierbar

Ist die Insolvenz angemeldet, ist die Zeitschiene für einen Erhalt eng. Die Beschäftigten erhalten bis zu drei Monate lang Insolvenzgeld, während dieser Phase ist der große Kostenblock der Personalkosten vom Tisch. Doch danach muss eine Fortführungslösung in Aussicht sein. Gelingt dies nicht, müssten Häuser schlimmstenfalls schließen. „Die Gemeinden versuchen in solchen Fällen, für die Senioren Plätze in anderen Einrichtungen zu finden. Aber die Kapazitäten sind begrenzt“, sagt Andres.

Die kalkulatorischen Themen lassen sich in den Griff bekommen.

Dirk Andres

Manche Pflegeheime würden von einer Professionalisierung der Strukturen profitieren, glaubt er. „Viele Leitungspositionen sind mit Quereinsteigern besetzt, bei denen BWL-Wissen nicht im Kern der beruflichen Ausbildung stand“, beobachtet er. Klassische BWL-Absolventen übernehmen dagegen eher Jobs in Branchen mit höherem Lohnniveau. Wer sich früh mit den Zahlen auseinandersetze, hat aus seiner Sicht dennoch eine reelle Chance, auch Durststrecken zu überstehen, ist der Jurist überzeugt. „Man kennt die Aufwendungen je Bewohner und die Sätze der Pflegekassen“, sagt Andres. „Die kalkulatorischen Themen lassen sich in den Griff bekommen.“

Andres hat den Eindruck, dass der Einigungswille bei Pflegeheiminsolvenzen groß ist: „Auch Vermieter oder Kostenträger sind in der großen Mehrheit bereit, zunächst die Bewohner in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt er. Auch Köster hat schon erlebt, dass die Gläubiger bei Pflegeheiminsolvenzen nicht nur auf ihre Quote schauen – insbesondere wenn eine Nachfolgelösung in Sicht, aber noch nicht rechtskräftig zu Ende verhandelt ist. Ein Grund dafür ist sicherlich auch das Horrorszenario, im Falle einer Schließung kurzfristig Betreuungsplätze für Dutzende Senioren finden zu müssen. „Da ist es in der Regel günstiger, sich bis zu einer Übernahme noch ein paar Wochen Zeit zu kaufen.“

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