Hier is dat feestje!
Notiert in Brüssel
Hier is dat feestje!
Von Detlef Fechtner
Vor allem anderen eine aufrichtige Entschuldigung: Ich verstoße im Folgenden gegen eine grundsätzliche Regel des Tageszeitungs-Journalismus, nämlich über Dinge zu schreiben, denen bereits am nächsten Tag die Grundlage entzogen sein könnte. Weil: Nicht auszuschließen, dass das „Feestje“ der Belgier bereits vorüber ist, wenn Sie diesen Artikel lesen, falls Belgien gegen die Ukraine verliert. Allein: Hier in Brüssel kann sich niemand vorstellen und mag sich auch niemand vorstellen, dass die Euro 2024 schon in wenigen Stunden für die „Diables Rouges“, für die „Rode Duivels“, für die „Roten Teufel“ vorbei sein könnte – danke drum, liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie mir, falls es denn doch passiert, mildernde Umstände zugestehen.
Na klar, Belgien ist längst nicht das einzige Land, in dem die Fußball-Europameisterschaft als großes Volksfest zelebriert wird. Aber dennoch ist die belgische Fußballbegeisterung in dreifacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens gibt es sicherlich kein anderes Land, in dem sich während der Euro sogar die Friterien umstellen. Am Place Dumon gab es gestern gleich drei Saucen nebeneinander auf die Pommes, die die Trikolore Schwarz – Gelb – Rot nachbildeten (wobei nicht wirklich rauszuschmecken war, was sich hinter der dunklen Sauce versteckte). Zweitens sind die belgischen Fans noch viel schmerzfreier und schamloser, wenn es um ihre Kostümierung geht. Jedes Public Viewing in Brüssel erinnert an eine Mischung aus Rosenmontagszug und Loveparade.
Drittens ist die Nationalmannschaft das wichtigste Element der staatlichen Einheit Belgiens. Flandern und Wallonien sind in den vergangenen Jahren auseinandergerückt, der Hauptnenner belgischer Politik ist geschrumpft. Selbst König Philippe und Königin Mathilde fehlt es an Kraft und Einfluss, die nationale Identität der Bürger spürbar zu stärken. Romelu Lukaku, Jan Vertonghen und Kevin De Bruyne gelingt das auf jeden Fall deutlich besser. So viele belgische Fahnen wie in diesen Tagen sind im Rest des Jahres nicht zu entdecken, schon gar nicht in Flandern.
Dabei spielt die Frage, wer im Team Flame, wer Wallone ist und wer aus dem zweisprachigen Brüssel stammt oder gar ganz woanders geboren ist, in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle. Arthur Theate kommt aus Lüttich und Timothy Castagne aus Arlon, also aus dem frankophonen Teil, während Dodi Lukébakio aus Asse und Youri Tielemans aus Sint-Pieters Leuww stammen, also aus flämischsprachigen Orten. Den Anhängern ist das ziemlich schnuppe. Sie wechseln sogar in ihren Fangesängen ständig zwischen den Sprachen ab. Erst „Tous ensemble!“ (Alle zusammen!), später dann „Hier is dat feestje!“ (Hier ist die Party!). Und für den aktuellen Top-Hit auf den Rängen haben sich die Belgier ohnehin einen englischen Song ausgesucht: „Freed from desire“. Um den mitzusingen, muss man übrigens nicht wirklich Englisch können. Denn er besteht zu sieben Achteln aus dem Refrain: „Na, na, na , na, na, naaa, na, na, naaa, na, na, naaaa.“