Im BlickfeldM&A

Hoher Flirtfaktor in der Versicherungsbranche

Die M&A-Aktivitäten in der Assekuranz nehmen zu. Makler, Insurtechs, aber auch etablierte Versicherer schließen sich zusammen. Die Gründe sind vielfältig.

Hoher Flirtfaktor in der Versicherungsbranche

Im Blickfeld

Hoher Flirtfaktor in der Versicherungsbranche

Die M&A-Aktivitäten in der Assekuranz nehmen zu. Die Gründe sind vielfältig.

Von Antje Kullrich, Düsseldorf

Im noch immer stark fragmentierten deutschen Versicherungsmarkt wird schon bald seit Jahrzehnten über Konsolidierung geredet. Die Realität sah aber so aus, dass sich über weite Strecken wenig bis gar nichts tat. In jüngster Zeit jedoch kommt Bewegung in den Markt. Die M&A-Aktivitäten nehmen zu. Vorläufiger Höhepunkt war vor drei Wochen die Ankündigung von Gothaer und Barmenia, einen Zusammenschluss zu planen. Es wäre die größte Fusion zweier Versicherer in Deutschland seit der mehrfach gescheiterten, aber letztendlich 2020 geglückten Ehe der beiden öffentlichen Versicherer in Nordrhein-Westfalen, Provinzial Rheinland und Provinzial Nordwest.

Doch auch in anderen Ecken der Assekuranz wird derzeit fröhlich übernommen. In der Insurtech-Szene gab im September Getsafe bekannt, sich den deutschen Vertragsbestand von Luko einzuverleiben. Das französische Start-up hatte erst Anfang 2022 den Berliner Digitalversicherer Coya geschluckt.

In der Insurtech-Szene treiben knappere Investorenbudgets die Konsolidierung, aber auch der mancherorts ausbleibende Erfolg von Start-ups, die sich mit ihrem Geschäftsmodell am Markt nicht so richtig durchsetzen können. Die Spreu trennt sich dort langsam vom Weizen.

Unter den etablierten Versicherungsunternehmen hat sich die Motivlage geändert. Die Sorgen im Hinblick auf zu knappe Solvenzkapitalausstattungen haben sich mit der Zinswende verflüchtigt. Als einen potenziellen Treiber von M&A macht Reiner Will, Chef der Ratingagentur Assekurata, mittlerweile etwas anderes aus: „Alle Unternehmen haben Kostendruck, insbesondere, was die IT-Systeme angeht.“ Es gehe einerseits um Altsysteme vor allem in der Lebensversicherung, aber auch um die anstehenden hohen Investitionen in Sachen Digitalisierung, KI und Automatisierung. Das lasse sich in einem größeren Unternehmen mitunter besser stemmen.

Run-off-Verkäufe haken

Viele Beobachter der Branche rechnen damit, dass die Problematik der Altsysteme in der Lebensversicherung Verkäufen von Beständen oder ganzen Gesellschaften an externe Run-off-Plattformen neuen Schwung verleihen könnte. Derzeit hakt es in dieser Marktnische jedoch angesichts aufsichtsrechtlicher Bedenken. Denn der aktuelle Flaggschiff-Deal – der Verkauf von rund 700.000 Policen von Zurich Deutschland an den Abwickler Viridium – hängt in Schwebe. Nach Medienberichten im September steht er vor dem Scheitern, weil Viridium-Mehrheitsaktionär Cinven bei der Rettung des von ihm kontrollierten italienischen Lebensversicherers Eurovita eine unrühmliche Figur abgegeben hatte. Die BaFin hat dem Vernehmen nach deshalb Bedenken. Berichten zufolge will Cinven jetzt die Mehrheit an Viridium verkaufen. Goldman Sachs und Fenchurch sollen laut Reuters nach möglichen Käufern suchen.

Auch die fortschreitenden Anforderungen von Aufsichtsbehörden können die Konsolidierung befeuern. „Regulatorische Anforderungen lassen sich in größeren Einheiten besser bewältigen“, sagt Assekurata-Chef Will. Der regulatorische Druck dürfe nicht unterschätzt werden. Denn allein der ESG-Bereich bedeute seit einigen Jahren einen hohen zusätzlichen Aufwand. Dazu komme ganz frisch noch die EU-Verordnung DORA (Digital Operational Resilience Act), die einen Rahmen setze, wie sich der Finanzsektor gegen Cyberrisiken wappnen solle. „Das ist ein Mammutwerk“, konstatiert Will.

Auch bei dem aktuellsten und größten Fusionsvorhaben in der Branche stehen derartige Überlegungen, in einer größeren Einheit besser aufgestellt zu sein, im Vordergrund. „Wir steigern unsere Investitionskraft und Risikotragfähigkeit“, hatte Barmenia-Chef Andreas Eurich bei der Bekanntgabe der geplanten gemeinsamen Zukunft mit der Gothaer gesagt.

Barmenia-Chef Andreas Eurich (li.) und Gothaer-Lenker Oliver Schoeller

Auch wenn die Vorteile auf der Hand liegen, stellen Zusammenschlüsse die beteiligten Unternehmen immer auf eine harte Probe. Die Herausforderungen sind vielfältig – und die Beschäftigung mit einer großen Integration hält bekanntlich vom operativen Geschäft ab. Im Fall von Gothaer und Barmenia ist es auch rechtlich interessant. Zwei Versicherungsvereine wollen fusionieren, das hat hierzulande Seltenheitswert. Ein nach Größenordnung noch ambitioniertes Unterfangen – der Zusammenschluss von HUK-Coburg und HDI – war vor vielen Jahren gescheitert.

Im Fall von Gothaer und Barmenia jedoch sehen die Chancen auf dem Papier recht gut aus. Zur räumlichen Nähe von Wuppertal und Köln kommen komplementäre Geschäftsschwerpunkte sowie Werte wie Nachhaltigkeit, die in beiden Häusern stark betont werden.

Auch die rechtliche Komplexität bei Gothaer und Barmenia sei überschaubar, meint Gunbritt Kammerer-Galahn, Partnerin und Leiterin des Versicherungsteams bei Taylor Wessing. „Während M&A-Transaktionen im VVaG-Sektor sonst schwierig sein können und zum Beispiel Demutualisierungen – also die Umwandlung von Vereinen in Aktiengesellschaften – enorm aufwendig sind, ist es hier einfacher.“ Denn die Gothaer habe sich schon vor Jahren für mögliche Zusammenschlüsse organisatorisch gewappnet und unter den VVaG eine Finanzholding in AG-Form etabliert, die die Anteile an den operativ tätigen Einzelgesellschaften hält. Die beiden Versicherungsvereine der Barmenia sollen nach Angaben der Unternehmen künftig neben dem VVaG der Gothaer die Anteile an der Barmenia Gothaer Finanzholding halten.

Mit Beitragseinnahmen von zusammen rund 8 Mrd. Euro in diesem Jahr will die kombinierte Versicherungsgruppe unter die Top Ten am deutschen Markt vorstoßen. Im dritten Quartal 2024, so lautet die Planung, soll das Closing geschafft werden.

Nicht nur in Deutschland steigt die Fusionsfreude in der Versicherungsbranche. Die US-Beratungsfirma FTI Consulting konstatiert in einer aktuellen Studie ein reges M&A-Geschehen in ganz Europa in der ersten Jahreshälfte 2023. Insgesamt 267 Transaktionen haben die Analysten gezählt, deutlich mehr als in den ersten Jahreshälften der vergangenen Jahre. Größter Deal war die Übernahme des Geschäfts auf der Iberischen Halbinsel von Liberty Mutual durch die italienische Branchengröße Generali für 2,3 Mrd. Euro.

Die große Mehrzahl jedoch entfällt auf Übernahmen von Maklerfirmen. Dort ist seit einigen Jahren eine Welle von Unternehmenskäufen und Fusionen zu beobachten. So auch im deutschsprachigen Raum: Von den 26 Transaktionen, die FTI Consulting im DACH-Raum in der ersten Hälfte 2023 gezählt hatte, betrafen 23 Makler und andere Service Provider. Denn auch wenn der Markt der Versicherungsunternehmen mit gut 500 von der BaFin beaufsichtigten Gesellschaften schon als fragmentiert gilt: Das Segment der Broker ist es mit mehr als 15.000 registrierten Maklerfirmen in Deutschland erst recht.

Die M&A-Aktivitäten in der Assekuranz nehmen zu. Die Gründe sind vielfältig.

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