LEITARTIKEL

Hype ums autonome Fahren

Mal ehrlich, würden Sie einem Computer das Fahren ihres Autos komplett allein überlassen, um währenddessen anderen Betätigungen nachzugehen? Ungeachtet der möglichen Risiken wie Datenmissbrauch, Hackerangriffe oder vollständiger Absturz des Hard-...

Hype ums autonome Fahren

Mal ehrlich, würden Sie einem Computer das Fahren ihres Autos komplett allein überlassen, um währenddessen anderen Betätigungen nachzugehen? Ungeachtet der möglichen Risiken wie Datenmissbrauch, Hackerangriffe oder vollständiger Absturz des Hard- und Software-Begleiters gibt es keine seriösen Umfragen darüber, ob Verbraucher das selbstfahrende Gefährt bevorzugen.Das spielt offensichtlich auch keine Rolle. Denn im Wettstreit um die Technologieführerschaft zwischen IT- und Autokonzernen behaupten die Protagonisten, dass mit dem digital vernetzten Auto das Fahren noch sicherer und besser wird. Frei nach dem Ökonomen Jean-Baptiste Say gehen die Unternehmen so vor, dass das Angebot sich seine Nachfrage schafft.Der Hype der Branche um das selbstfahrende Auto ist verständlich, winkt ihr doch ein Milliardengeschäft. Mancher Experte schätzt, dass die Serienfertigung vollautonomer Fahrzeuge etwa von 2025 an an Fahrt gewinnt. Nach einer Prognose des US-Analysehauses IHS werden im Jahr 2035 weltweit gut 12 Millionen Einheiten dieser Art gebaut. Das wären in etwa 15 % des globalen Pkw-Absatzes – also keine vernachlässigbare Größe.Ob sich diese Vorhersage bewahrheitet, wird sich wohl erst in zwei Jahrzehnten herausstellen. Fakt ist aber, dass das autonome Fahren keine neue Erfindung ist. Insofern ist die Deutung mancher, es gehe hierbei um eine industrielle Revolution, nicht zutreffend. Vielmehr ist es eine Weiterentwicklung bereits bestehender Technologien. Teilautonomes Fahren ist ab den gehobenen Mittelklassemodellen längst gang und gäbe. Nach Schätzung von IHS sind bis zum Jahr 2022 gut drei Viertel aller weltweit verkauften Autos digital vernetzt. Die Fahrerassistenzsysteme sind vielfältig. Ein Beispiel: Ein eingebauter Navi, Einpark- und Ausparkhilfen, Geschwindigkeits- und Distanzregler, Verkehrszeichenerkennungen, Spurwechselassistenten, Müdigkeitswarner und allerlei zusätzliche technische Kontrollsysteme können bei einem PS-starken VW Passat Variant mit einem Grundpreis von 36 000 Euro dazu beitragen, dass die Summe auf gut 50 000 Euro steigt. Für die Hersteller werfen Komponenten des autonomen Fahrens heute bereits einen ordentlichen Ertrag ab. Roland Berger erwartet, dass selbstfahrende Autos bis 2030 rund zwei Fünftel des Gewinns der Branche ausmachen.An diesem großen Kuchen wollen viele teilhaben. Daher fürchten die Autobauer, dass sie Marktanteile an branchenfremde Wettbewerber wie Google, Apple, Alibaba und Baidu verlieren werden, wenn sie nicht gegensteuern. Dabei gehen die Rivalen Volkswagen, BMW und Daimler sogar Bündnisse ein, wie die gemeinsame Übernahme des Online-Kartendienstleisters Here zeigt. Die Befürchtung, dass die Newcomer die etablierten Anbieter vom Markt verdrängen könnten, ist aber eher Panikmache. Denn die vordringenden Firmen verfügen nicht über ein umfangreiches Einkaufs- und Vertriebsnetz, das notwendig ist, um das Geschäft dauerhaft zu beherrschen. Ihnen geht es vielmehr um die Kontrolle der Daten der Autofahrer und die sich daraus ergebenden Geschäftsmöglichkeiten in Big Data. Auf dieser Ebene lauert tatsächlich die Gefahr für BMW & Co.Dessen ungeachtet ist es ein holpriger Weg, bis das vollautonome Fahrzeug und das Elektroauto breit akzeptierte Fortbewegungsmittel sein könnten. Dazu sind viele Zwischenschritte notwendig. Schließlich gibt es viele offene Fragen, auf die es noch keine überzeugenden Antworten gibt. Das betrifft vor allem Themen wie die Infrastruktur und die Bereitschaft der Politik, dies umzusetzen. So stößt die als Fortschritt gepriesene moderne individuelle Mobilität dort an ihre Grenzen, wo sie mit dem öffentlichen Personennah- und Fernverkehr in Konkurrenz tritt. Sind künftig kleine, autonom fahrende E-Autos in Großstädten echte Alternativen zum Bus- und U-Bahn-Netz? Ist es politisch gewollt, dass autonome Fahrzeuge auf Langstrecken Schnellzüge verdrängen? Was passiert, wenn selbstfahrende Wagen Staatsgrenzen überschreiten? Für Letzteres sind internationale Normen und schnellere Internetverbindungen notwendig.Es ist eine politische, keine ausschließlich ökonomisch getriebene Entscheidung, inwieweit Regierungen und Kommunen für die neuen Mobilitätskonzepte Raum schaffen. Das hieße jedoch, dass die volkswirtschaftlichen Kosten für die erweiterten Geschäftsmodelle der Autoindustrie die Konsumenten beziehungsweise Steuerzahler tragen, wie die Kaufprämie für E-Autos zeigt.——–Von Stefan KroneckDer Autoindustrie winkt mit dem autonomen Fahren ein lukratives Geschäft. Die volkswirtschaftlichen Kosten dieses Wandels tragen die Steuerzahler. ——-