Im Kern gesund
Unsere Prüfung hat zu keinen Einwendungen geführt.” Die Wirtschaftsprüfer von PwC erteilten damit Volkswagen für das Katastrophenjahr 2015 ein uneingeschränktes Testat. Für den Wolfsburger Autokonzern ist das nach monatelangen Diskussionen und juristischen Attacken in Sachen Dieselgate ein ganz entscheidender Schritt in Richtung Normalisierung des Geschäfts – und vermutlich für die enttäuschten Anleger ein Zeichen der Zuversicht.Denn es langt im globalen Wettbewerb für Fahrzeughersteller schon lange nicht mehr, potenzielle Kunden nur mit attraktiven Produkten und cleverer Werbung zum Kauf zu animieren. Um die hohen Stückzahlen Jahr für Jahr loszuwerden, muss die gesamte Klaviatur der Vermarktung gespielt werden können. Und da hatte Volkswagen seit vergangenem Herbst das Problem, sich für das wichtige Finanzierungsgeschäft selbst zu günstigen Konditionen zu refinanzieren. Das Anleihegeschäft kam zum Erliegen, und zur Sicherung des operativen Betriebs polsterte der Konzern mit Erlösen aus dem Verkauf der Suzuki-Beteiligung sowie von Leaseplan die Liquidität auf netto fast 25 Mrd. Euro auf. Bei einem internationalen Bankenkonsortium sicherte man sich zudem eine Kreditlinie über insgesamt 20 Mrd. Euro.Auf diese Option wird man nun wohl nicht mehr länger zurückgreifen müssen und wollen. Finanzvorstand Frank Witter, zuvor Chef der Tochter Volkswagen Financial Services, wird umgehend die Chancen für neue Bonds ausloten. Denn dieser geschmeidige, reibungslose Zugang zum Kapitalmarkt ist mindestens genauso wichtig für die Wiedergewinnung alter Reputation wie die umgehende Beseitigung der Abgasmängel bei den inkriminierten Fahrzeugen. Und läuft es nachweislich nicht nur operativ wieder rund, sondern auch bei den Finanzen, dann kann Volkswagen auch darauf hoffen, dereinst im gedrückten Rating wieder nach oben zu kommen. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld dürften die im Zuge des Dieselabgas-Skandals vorgenommenen Herabstufungen zwar wenig schmerzen, aber für das eigene Selbstwertgefühl und im Vergleich zu Wettbewerbern kommen die Downgrades doch einer Niederlage gleich.Natürlich ist mit dem verspätet vorgelegten Jahresabschluss und der verbesserten Klarheit bezüglich der von Volkswagen zu verkraftenden Milliardenbelastungen aus dem Abgasskandal bei Investoren nicht alles vergeben und vergessen. Klar ist aber auch, dass viele Anleger auf einen günstigen Punkt für einen Wiedereinstieg gewartet haben. Dass Witter herausstrich, zur Hauptversammlung im Juni werde es definitiv keinen Vorschlag für eine Kapitalerhöhung geben, dürfte den Kurs der Vorzugsaktien ebenso nach unten absichern wie die Tatsache, dass es, global betrachtet, bei leichten Marktanteilsverlusten eben nicht zum Einbruch der Verkaufszahlen der Kernmarke VW gekommen ist. Zur Stabilisierung der Absatzzahlen zeitweilig gewährte großzügigere Rabatte wurden bereits wieder zurückgenommen, über Monate zögernde Flottenkunden ordern wieder wie zuvor.Also alles in Butter? Bei weitem nicht. Vorstandschef Matthias Müller und seine Vorstandsriege stehen mit der Neuausrichtung des hierarchisch verkrusteten Konzerns mit seinem enormen Entscheidungsstau und seiner kritikwürdigen Corporate Governance noch am Anfang. Messbare Erfolge werden sich erst über die nächsten Jahre zeigen. “Die aktuelle Situation verlangt uns alles ab – in jeder Hinsicht, auch finanziell”, so Müller. Er will für schnellere, kürzere Entscheidungswege und für Teamarbeit sorgen und Silo-Denken verhindern. Der Winterkorn-Nachfolger vertraut dabei auf die auf seinem vorherigen Chefposten bei Porsche gemachten Erfahrungen. Der für die Kernmarke VW zuständige Herbert Diess setzt in diesem Geiste voll auf die Dezentralisierung von Entscheidungen und rechnet sich daraus beschleunigende Effekte für künftiges und profitables Wachstum aus.Der momentan nach Stückzahl wieder größte Autokonzern der Welt scheint auch zu mehr Offenheit für Kooperationen und Partnerschaften bereit. Das hört sich fast schon nach Demut an. “Berührungsängste, Alleingänge oder die Illusion, alles besser zu wissen und zu können, werden nicht ans Ziel führen”, meint der CEO. Noch steckt in vielem im Konzern der Wurm drin. Die Governance-Probleme aufgrund der Aktionärsstruktur mit der Dominanz der Familien Porsche und Piëch sowie des Landes Niedersachsen werden bleiben. Und ob das operative Geschäft, wie Müller betont, kerngesund ist, kann gewiss hinterfragt werden. Aber im Kern ist der Konzern gesund.——–Von Peter OlsenDas uneingeschränkte Testat der Prüfer für den Abschluss 2015 macht für VW den Weg an den Bondmarkt wieder frei.——-