In Corporate America geht ein Schreckgespenst um
Im Blickfeld
Unternehmen zittern vor einflussreichen US-Aktivisten
Aktivistische Investoren zeigen sich umtriebiger als je zuvor. Dabei nehmen sie zunehmend größere Unternehmen ins Visier – und das nicht nur in den USA.
Von Alex Wehnert, New York
In Corporate America geht ein Schreckgespenst um. Denn aktivistische Investoren wie die Hedgefonds-Größen Paul Singer und Dan Loeb zeigen sich umtriebiger als je zuvor. Gemäß von der Investmentbank Lazard ausgewerteten Daten haben diese Marktteilnehmer 2023 global 252 Kampagnen gestartet, der vorherige Rekord aus dem Jahr 2018 lag bei 249. S&P Global errechnet sogar 961 Attacken, wobei die Ratingagentur auch Nachhaltigkeitsbemühungen von Klimaaktivisten mitzählt. Die Analysten und Banker an der Wall Street sind sich jedoch in einem Punkt einig: Anzahl und Ausmaß der Kampagnen dürften noch zunehmen – für Verwaltungsräte ist damit Zittern angesagt.
„Aktivistische Aktionäre in den USA nehmen inzwischen deutlich größere Unternehmen ins Visier“, sagt Jonathan Rouner, International Head of Mergers & Acquisitions bei der japanischen Investmentbank Nomura in New York. „Wir haben Kampagnen unterschiedlichen Ausmaßes bei Disney, Apple und Unilever gesehen, an die sich Aktivisten in der Vergangenheit nicht herangewagt hätten.“
Disney-Konflikt hallt nach
Zuletzt hat insbesondere der Kampf um das Mickey-Mouse-Konglomerat die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nach mehr als einem Jahr öffentlicher Gefechte rang Disney dabei den Aktivisten Nelson Peltz nieder, der auf zwei Posten im Verwaltungsrat gedrungen hatte. Er warf den Direktoren vor, nicht genügend Anreize für das Management gesetzt zu haben, im Sinne der Investoren zu handeln.
Insbesondere ein Kritikpunkt des Aktivisten hallt auch über den Stimmrechtskonflikt hinaus nach: die mangelnde Nachfolgeregelung für CEO Bob Iger, der Ende 2026 abtreten will. Der Stimmrechtsberater Glass Lewis, der sich in der Auseinandersetzung mit Peltz hinter Disney stellte, bezeichnete vergangene Bemühungen des Konzerns um eine Ablösung Igers gegenüber der Börsen-Zeitung als „bei weitem nicht perfekt“. Die Turbulenzen um Disney veranschaulichten die „Risiken, die mit einer unzureichenden Nachfolgeplanung einhergehen“. Die Anreize für Aktivisten stiegen, wenn mangelnde Langfrist-Regelungen mit „beunruhigender Performance, schwacher Umsetzung der Strategie und suboptimaler finanzieller Kontrolle“ zusammenträfen.
Große Investoren überzeugt
Durch seine wiederholten Verweise auf den Schwachpunkt zog Peltz mit dem größten US-Pensionsfonds Calpers und der Investmentgesellschaft Neuberger Berman zwei einflussreiche Anteilseigner auf seine Seite. Auch der mächtige Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services plädierte für eine Aufnahme von Peltz in den Disney-Verwaltungsrat. Und Milliardär Elon Musk, der sich in einer Fehde mit Iger befindet, deckte dem Hedgefonds-Lenker ebenfalls den Rücken.
Marktbeobachter rechnen damit, dass sich der Fokus der Aktivisten von der reinen Steigerung des Shareholder Return – vorrangig über Verkäufe von Assets und Geschäftseinheiten der betroffenen Unternehmen – anhaltend auf andere Themen verschiebt. „Im vergangenen Jahr haben sich 80% der globalen Kampagnen in den USA abgespielt, und fast zwei Drittel davon drehten sich um die CEO-Nachfolge, die Zusammensetzung des Verwaltungsrats und andere personenbezogene Themen“, führt Nomura-Banker Rouner aus. „Der Rest ging um die Rückführung von Kapital an Aktionäre, die M&A-Strategie und operative Aspekte.“
Verändertes Image
Firmen wie Elliott Management hätten zudem ihr Image verändert. „Im Gegensatz zu früheren Corporate Raidern, die sich am Rande der Wall Street bewegten, sind die heutigen Aktivisten akzeptierte Aktionäre und Teil des finanziellen Mainstreams“, sagt Rouner. Denn sie träten insgesamt deutlich weniger aggressiv auf, 2023 hätten nur ein Drittel der Kampagnen in Stimmrechtskonflikten auf Hauptversammlungen gemündet. Mit Carl Icahn hat selbst einer der einst gefürchtetsten Corporate Raider zuletzt kampflos zwei Sitze im Verwaltungsrat von Jetblue gewonnen, nachdem er in den vergangenen Monaten eine Beteiligung von nahezu 10% an der Billigairline aufgebaut hatte.
„Die jüngste Niederlage von Trian bei Disney wird andere Investoren zusätzlich von stark öffentlichkeitswirksam ausgetragenen Streitigkeiten mit Management-Teams abbringen“, prognostiziert der Nomura-Stratege. Denn diese seien riskant, da sie den Einfluss von Aktivisten unterminieren könnten. Wenn Hedgefonds einen Stimmrechtskonflikt losstießen und diesen dann verlören, könnten sie beim nächsten Mal in wesentlich geringerem Umfang auf die Unterstützung großer institutioneller Anteilseigner zählen.
„Zudem können Kosten für Kampagnen bei Unternehmen, die starkes öffentliches Interesse auf sich ziehen, rasant steigen", fügt Rouner hinzu. Gemäß im Januar bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereichter Dokumente planten Disney, Trian und der kleinere aktivistische Investor Blackwells, der ebenfalls erfolglos auf Sitze im Verwaltungsrat gedrungen hatte, über 70 Mill. Dollar auszugeben, um stimmberechtigte Aktionäre auf ihre jeweilige Seite zu ziehen. Eine mit derart hohem Ressourcenaufwand geführte Proxy-Kampagne ist selbst in den USA beispiellos.
Neue Stimmrechtsregeln begünstigen Hedgefonds
Kommt es jedoch zum Kampf, haben Aktivisten durch neue Stimmrechtsregeln in den USA bessere Karten. Hatten Aktionäre zuvor lediglich die Wahl, für die gesamte Liste an Verwaltungsratsfavoriten eines Unternehmens oder die von einem Aktivisten vorgeschlagenen Direktoren zu votieren, tauchen nun alle Kandidaten auf einem Stimmzettel auf. Die Anteilseigner können über die „Universal Proxy Card“ also eine gemischte Auswahl treffen, was laut Experten die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Hedgefonds zumindest einzelne Sitze in Kontrollgremien ergattern.
Nomura geht unterdessen davon aus, dass sich der subtilere Aktivismus weiter über jede große Industrie ausbreitet – auch international. „Da Private Funds auf einem hohen Berg an verfügbarem Kapital sitzen, sind sie in den vergangenen zehn bis 15 Jahren auch verstärkt mit Kampagnen in Europa und Asien aktiv“, merkt Rouner an. Laut Lazard haben die beiden Regionen 2023 am stärksten zum Anstieg der globalen Kampagnenzahl beigetragen. Und die Kanzlei Skadden Arps beobachtet einen neuen Fokus auf deutsche Ziele.
Mehr Übernahmeversuche
Rouner weist unterdessen auf eine zusätzliche Weiterentwicklung im Aktivistenkosmos hin: So begnügten sich einige Firmen nicht länger damit, als Minderheitsaktionäre Druck auszuüben, sondern fassten Übernahmen ins Auge. Das hat zuletzt die Kaufhauskette Macy's zu spüren bekommen, nachdem der Verwaltungsrat ein Angebot der Investmentgesellschaften Arkhouse und Brigade Capital abgelehnt hatte. „Noch stellt das einen recht kleinen Anteil der Aktivität dar, doch er wird wachsen“, prognostiziert Rouner. Die Schreckgespenster, die neben Corporate America zunehmend auch den internationalen Markt heimsuchen, gewinnen also an Gruselfaktor.