LEITARTIKEL

In den Kinderschuhen

Technisch kommt das Internet der Dinge mit Siebenmeilenstiefeln voran. Die Maschinen haben die Sensoren und die SIM-Karten und inzwischen stehen auch die Netze, vor allem die vielfach benötigte energiesparende Schmalbandtechnik, das sogenannte...

In den Kinderschuhen

Technisch kommt das Internet der Dinge mit Siebenmeilenstiefeln voran. Die Maschinen haben die Sensoren und die SIM-Karten und inzwischen stehen auch die Netze, vor allem die vielfach benötigte energiesparende Schmalbandtechnik, das sogenannte Narrowband-IoT, zur Verfügung. Marktforscher wie Gartner rechnen mit einem explosiven Wachstum vernetzter Dinge und Maschinen in den kommenden Jahren. Bis 2020 soll ihre Zahl weltweit auf rund 19 Milliarden ansteigen, von 8 Milliarden im vergangenen Jahr. Die “vierte industrielle Revolution” nach der Mechanisierung, der Einführung der Massenproduktion und schließlich der Automatisierung erfasst die Unternehmen in weit rasanterem Tempo als die vorangegangenen Umbrüche. Künftig werden Nutzung, zielgerichtete Auswertung und Bewertung von Daten über das Wohl und Wehe von Firmen und Branchen entscheiden.Das Bewusstsein für den anstehenden Wandel und die Bedeutung des digitalen Datenschatzes, den die Vernetzung der Geräte erzeugt, ist in deutschen Unternehmen vielfach vorhanden. So zeigt etwa eine repräsentative Studie der Commerzbank im Mittelstand, dass gut 80 % der Befragten Big Data für ein sehr zentrales Thema halten. Aber nur ein Bruchteil – weniger als 10 % – erhebt systematisch Daten, um sie zu analysieren und daraus Nutzen zu ziehen. Bei näherer Betrachtung kommt zudem hinzu, dass der Blick der Unternehmen im Umgang mit Big Data vor allem nach innen gerichtet ist. Der unmittelbare Nutzen verbesserter Produktionsprozesse, planbarer Wartung, optimierter Lagerhaltung etc. liegt schließlich für viele auf der Hand – die vollautomatisierte digitale Fabrik als Vorzeigeobjekt, das gibt es hierzulande schon. Sie führt auch unbestritten zu deutlichen Effizienzgewinnen. Unternehmen mit Innenfokus bei der Nutzung von Big-Data-Analysen sind allerdings weit davon entfernt, Daten tatsächlich als wertvollen Rohstoff anzusehen, der sich etwa im Zusammenspiel mit anderen “verarbeiten” und auch “veredeln” lässt. Genau darin liegt jedoch die Chance, im Bereich von Industrial IoT eine Plattform-Ökonomie aufzubauen, bei der nicht schon die Technologie-Giganten aus dem Silicon Valley den Markt unter sich aufgeteilt haben – wie das im Privatkundengeschäft der Fall ist. Aus Expertensicht ist nicht zu erwarten, dass sich im industriellen Internet weltweit etwa nur zwei führende Plattformen herausbilden und somit die Wertschöpfung extrem auf diese verdichten. Dafür sind Spezialisierung und Know-how-Erfordernisse zu breit gefächert. Um jedoch die ständig wachsenden Datenschätze so zu verwerten, dass über die Verbesserung interner Abläufe hinaus, Wachstum und sogar neue Geschäftsmodelle entstehen können, müssen die Unternehmen ihre Daten teilen, damit sie auch für übergeordnete Analysezwecke zur Verfügung stehen, deren Ergebnisse dann allen Plattformteilnehmern zugutekommen.Diese Art der externen Datenverwendung steckt hierzulande allerdings noch in den Kinderschuhen. Bei den meisten herrscht stattdessen noch eine echte Wagenburgmentalität: Fast jeder möchte die eigenen Daten unter Verschluss halten, die Kommunikation auf hausinterne IT beschränken. Die Gründe für diese Haltung sind grundsätzlich nachvollziehbar. Schon gestiegene Datenschutzanforderungen können bei der Aufbereitung und Freigabe zur Hürde werden. Ein technisches Problem ist mitunter, bei der Weitergabe von Daten sicherzustellen, dass Unbefugte oder Wettbewerber keinen Einblick in Geschäftsgeheimnisse gewinnen. Darüber hinaus fehlt bisher ein regulatorischer Rechtsrahmen, der zufriedenstellend das Eigentum an Daten klärt, die in komplexen Umgebungen wie zum Beispiel einem vernetzten Fahrzeug entstehen. So ist naturgemäß nicht selbsterklärend, dass ein Automobilhersteller alle vom Auto generierten Daten als seinen Besitz definiert, wenn die Produkte der langen Zulieferkette diese Daten produzieren und diese von den Firmen theoretisch für eigene neue Geschäftsanwendungen genutzt werden könnten. Ein äußerst schwieriges Thema, das sich anschließt, ist nicht zuletzt die Bepreisung von Daten bzw. Datenpaketen, wenn sie für Geschäftsmodelle von Dritten abgegeben werden sollen; zum Beispiel die Weitergabe von Bewegungsprofilen des Schwerlastverkehrs, aus dem Datenanalyse-Firmen Anwendungen für die Straßen- und Verkehrsplanung machen und diese der öffentlichen Hand verkaufen wollen. Die Klärung dieser Fragen drängt, wenn die Industrie die Werte heben will, die sich im Internet der Dinge abzeichnen.—-Von Heidi RohdeIm Umgang mit Big Data müssen deutsche Unternehmen mehr wagen. Es gilt Daten nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu teilen, um Vorteile zu haben.—-