Banken

In der Blase

Die Zusammenbrüche von Archegos und Greensill dürften Vorboten dessen sein, was nach Jahren des Zinstiefs noch kommen wird.

In der Blase

Der Dax notiert nahe Rekordhoch, die Risikokosten der Banken gelten beinahe ausschließlich Belastungen, die erst noch kommen müssen, und der Internationale Währungsfonds (IWF) unterstellt, dass die Weltwirtschaft nach ihrem Einbruch 2020 in diesem Jahr so stark wachsen wird wie seit mehr als 40 Jahren nicht mehr: Es hätte in der Pandemie weitaus schlimmer kommen können. Wer aber den Blick über den Finanzmarkt schweifen lässt, kann nicht ignorieren, wie es im Gegenlicht allerorten bunt schimmert: Ein hauchdünner Film aus Seifenwasser liegt über der Szenerie, nachdem zuletzt das eine oder andere Bläschen geplatzt ist.

Der Kollaps des Hedgefonds Archegos ist nur das jüngste Beispiel. Vor Wochen implodierte bereits mit dem britisch-australischen Forderungsfinanzierer Greensill Capital und dessen deutscher Tochter Greensill Bank ein Konstrukt, das in mehrfacher Hinsicht ungut an die Zustände vor der Finanzkrise erinnert – von einem für Außenstehende kaum zu durchschauenden Geschäftsgebaren über bemerkenswerte Risikotransfers mit Hilfe letztlich versagender Versicherungen bis hin zu Bonitätsnoten von Ratingagenturen, die sich spätestens mit dem Zusammenbruch als bei weitem zu optimistisch entpuppen. Weder Archegos noch Greensill hatten Mühe, Finanzierer zu finden, und Credit Suisse, die nun in beiden Fällen mit dem kürzeren Ende des Streichholzes in der Hand dasteht, hat es allein einem nach der Finanzkrise branchenweit verordneten Aufbau von Eigenkapital zu verdanken, dass diese Episoden das Haus nicht destabilisieren. Der personelle Kehraus bei der Großbank sollte nicht den Blick darauf verstellen, dass die Wurzel des Problems tiefer reicht als bis zum Versagen einiger Risikomanager. Archegos und Greensill dürften nur Vorboten dessen sein, was noch kommen wird.

Mehr als sechs Jahre nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihren Leitzins auf bzw. unter null gedrückt haben, hat der von der Geldpolitik erzeugte Druck ein nur vorerst maximales Ausmaß erreicht. Blasen zeigen sich allerorten, nachdem vagabundierende Überschussliquidität Risiken und damit auch Renditen auf breiter Front eingeebnet haben. Im Zuge dieser Nivellierung haben etwa Einlagen, in Banken einst gesuchtes Gut zur Stabilisierung der Passivseite, ihren Wert verloren. Gerade in der bundesdeutschen Kreditwirtschaft hat ein flächendeckender Einlagen-Abwehrkampf eingesetzt, mit paradoxen Folgen: Da brandmarkt Sparkassenpräsident Helmut Schleweis Zinsportale als Trittbrettfahrer, die sich einer Reputationsleihe bei der Einlagensicherung bedienten; zugleich aber reichen Institute ebendieser Finanzgruppe Geld von Sparern wie eine heiße Kartoffel über ebendiese Zinsportale an namenlose Häuser weiter, um negativen Einlagezinsen zu entgehen. Derweil fordern am Aktienmarkt unter Herdentrieb leidende Sparer, die offenbar nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, Hedgefonds heraus.

Vorsicht, Rutschgefahr, heißt es aber auch für Profis. Billionenschwere Anleihekäufe durch die Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks machen das Crowding-out der Anleger perfekt. Ergebnis: Rendite oder Marge kann nur mehr erzielen, wer deutlich ins Risiko geht. Folge: Italiens Schatzamt legt einen 50-jährigen Bond auf und wird mit Orders überschwemmt. Am kurzen Ende sind die Renditen wie in Griechenland schon länger im roten Bereich. Vermögensverwalter sehen sich zu einem stärkeren Risikokurs veranlasst. Unterdessen haben die Staatsschulden weltweit ein Niveau erreicht, das jenes vor der Finanzkrise in den Schatten stellt.

Längst hat sich die Überliquidität ihren Weg von der Börse in immer exotischere Sachwerte-Nischen wie Kunst, Oldtimer, Whisky oder auch Spielzeug gebahnt, während galoppierende Bewertungen am Immobilienmarkt weiten Teilen der Bürger den Weg zu Wohneigentum als einzig verbliebene Option der Altersvorsorge versperren. Am Primärmarkt sammeln Ex-Banker unterdessen reihenweise Geld für Börsenmäntel ein, deren Geschäftszweck sie erst noch genau festlegen müssen.

Seifenblasen sind ein interessantes Phänomen: Sie zu erhalten erfordert Feinarbeit. Zumindest in Euroland wird die Notenbank ihre ultralockere Geldpolitik den Erwartungen zufolge noch einige Jahre lang fortsetzen. Da ist es allein eine Frage der Zeit, bis man fest­stellen wird, dass die vielen kleinen Blasen zu einer einzigen großen zusammengewachsen sind. Börsenindex-Rekorde sind dabei kein beruhigendes Signal – sie sind ein Symptom.