LEITARTIKEL

In der Sackgasse

In normalen Zeiten fiebern Fachpublikum und Manager den traditionsreichen Automessen regelrecht entgegen. Es gilt, im Vergleich der Anbieter neue Trends und Karosserielinien, mitunter auch neue Fahrzeugkonzepte zu entdecken, die das Zeug dazu haben,...

In der Sackgasse

In normalen Zeiten fiebern Fachpublikum und Manager den traditionsreichen Automessen regelrecht entgegen. Es gilt, im Vergleich der Anbieter neue Trends und Karosserielinien, mitunter auch neue Fahrzeugkonzepte zu entdecken, die das Zeug dazu haben, den Wettbewerb aufzumischen. Das Ganze hat durchaus auch sportlichen Charakter. In Genf, wo nach vorgeschalteten Pressetagen der traditionsreiche Autosalon vom 3. März an für zehn Tage in die Ausstellungshallen lockt, werden den Liebhabern der automobilen Welt gerne Derivate von Großserienprodukten sowie PS-Protze geboten. Diese Normalität ist auch in diesem Jahr gegeben: Die zum VW-Konzern gehörende Edel-Sportwagenschmiede Bugatti gibt dem Veyron-Nachfolger Chiron 16 Zylinder und 1 500 PS mit auf den Weg.Aber vieles ist in diesem Jahr alles andere als normal. Während man die großen Märkte wie China, Nordamerika und Westeuropa zumindest konjunkturell einigermaßen für die nächsten Monate einschätzen kann, steckt die Branche vor allem auf dem Alten Kontinent bezüglich der Dieselabgasthematik in der Sackgasse. Klar, Auslöser der für alle Anbieter von Dieselfahrzeugen prekären Lage ist der Volkswagen-Konzern, der offenbar das Debakel aus überhöhten Stickoxidwerten (NOx) und illegal eingesetzter Schummelsoftware nicht kommen sah und in der medialen Wucht zudem völlig unterschätzt hat. Kein Wunder, dass es Wettbewerber, die zum Teil noch stärker vom Dieselverkauf abhängig sind als die Wolfsburger, in ihrer Verärgerung an Solidaritätsbekundungen fehlen ließen.Aber diese Absetzbewegungen innerhalb der Branche haben in den vergangenen Wochen und Monaten auch nicht das zunehmende Misstrauen gegen den wegen geringerer CO2-Emissionen und hinsichtlich des Spritverbrauchs sparsameren Diesels für die EU-Klimaziele notwendigen Selbstzünder verhindern können. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein anderer Hersteller wegen angeblich erhöhter NOx-Wert aufs Korn genommen wird. Auch Daimler wurde zuletzt Ziel einer Sammelklage wegen angeblichen Betrugs bei den Abgaswerten.Das regulatorische Umfeld hat sich für alle dramatisch verschärft. Wer hätte noch vor Jahren erwartet, dass sich die so unter Rechtfertigungsdruck gesetzte Branche gleichsam an die Spitze der Befürworter der realistischeren Abgasmessung (Real Driving Emissions – RDE) setzen würde. Und natürlich reichen die damit verbundenen Zugeständnisse den Umweltschützern nicht, wurden doch für eine mehrjährige Übergangszeit mit sogenannten Konformitätsfaktoren noch überhöhte NOx-Werte beim verbrauchseffizienten Diesel zugelassen.Gebetsmühlenartig wiederholen Vertreter von Zulieferern, Herstellern und Verbänden das Credo vom sauberen Diesel nach Euro 6. Bosch-Chef Volkmar Denner erklärte den Antrieb sogar zur Luftreinigungsmaschine, deren Abgase nur ein Zehntel so viele Feinstaubpartikel enthalten wie die angesaugte Umgebungsluft. Aber will das noch jemand hören? Nimmt ihm das überhaupt jemand ab? Für Bosch geht es um viel, denn 50 000 der weltweit 375 000 Stellen des Autozulieferers hängen an der Dieseltechnik.Die Branche braucht den Diesel noch eine ganze Weile – und beeilt sich zugleich, alternative Antriebskonzepte schneller in die Großserie zu bekommen. Das reine Elektroauto, das nur mit kräftigen Kaufprämien überhaupt eine Chance haben dürfte, in nennenswerten Stückzahlen auf die Straßen zu kommen, ist die eine Option. Die andere, vor allem von den deutschen Herstellern bevorzugte Option sind Plug-in-Hybride, also herkömmliche Antriebe mit elektrischem Hilfsmotor für kurze Strecken rein elektrischen Fahrens. Die Ökobilanz des batterieelektrischen Elektrofahrzeugs hängt vor allem davon ab, wie sauber der Strom produziert wird. Bei heutigem Erzeugungsmix muss ein E-Auto schon 100 000 Kilometer zurücklegen, um in der CO2-Umweltverträglichkeit Benziner und Diesel einzuholen, zeigt eine Fraunhofer-Studie. Und Hybride schleppen gleich zwei Motoren plus größere Akkus mit sich herum, was an nachhaltig sinkendem Durchschnittsverbrauch auf langen Strecken zweifeln lässt.Dabei bieten Zulieferer schon heute viele Gimmicks an, mit denen sich auch bei herkömmlichen Motoren der Verbrauch und damit die Emissionen weiter senken ließe. Bekannt ist die Zylinderabschaltung bei Erreichen der Reisegeschwindigkeit, das Segeln mit ausgeschaltetem Motor bei Bergabfahrten und vieles andere mehr. Aber schicker für die Fahrt aus der Dieselwolke sind natürlich Visionen von autonomen Autos.——–Von Peter OlsenDie Autobranche hängt am effizienten Diesel und steckt damit in der Klemme. Aber alternative Antriebskonzepte überzeugen auch nicht rundweg.——-