LEITARTIKEL

In der Strategiefalle

Akzo Nobel hat es geschafft: Zu einem Preis von gut 10 Mrd. Euro verkaufen die Niederländer das lukrative Chemiegeschäft an den Finanzinvestor Carlyle, der sich mit dem Staatsfonds aus Singapur zusammengetan hat. Zurück bleibt ein auf Farben und...

In der Strategiefalle

Akzo Nobel hat es geschafft: Zu einem Preis von gut 10 Mrd. Euro verkaufen die Niederländer das lukrative Chemiegeschäft an den Finanzinvestor Carlyle, der sich mit dem Staatsfonds aus Singapur zusammengetan hat. Zurück bleibt ein auf Farben und Lacke spezialisierter Chemiekonzern. Die Abspaltung war beileibe keine freie Entscheidung des Managements. Vielmehr wehrte der im vorigen April noch amtierende CEO Ton Büchner mit den Spaltungsplänen die feindliche Offerte des US-Rivalen PPG Industries ab. Um die mit dem PPG-Gebot liebäugelnden Aktionäre auf die eigene Seite zu ziehen, manövrierte sich Akzo Nobel aber zugleich in die Strategiefalle. Aus dieser wieder herauszukommen, dürfte nicht so leicht werden. Denn Akzo Nobel ist künftig nur noch ein Schatten ihrer selbst. Aktuell bringt der Konzern knapp 20 Mrd. Euro auf die Waage. Doch was bleibt übrig, wenn der Verkaufserlös erst einmal ausgeschüttet ist?Natürlich ist Größe kein Wert an sich, zumal auch das vermeintliche Konglomerat keinen Schutz vor dem feindlichen Vorstoß aus den USA bot. Ohne die Chemie aber, deren Abspaltung ja auch ein paar hundert Millionen Euro kostet, dürfte sich für Akzo Nobel der Erhalt der Eigenständigkeit noch schwieriger gestalten. Insbesondere, da in der globalen Farben- und Lackindustrie gerade das Konsolidierungsendspiel läuft. Nur wer letztlich zu den Top-Spielern der Branche gehört, wenn sich der Markt neu sortiert hat, kann auf Dauer im Wettbewerb bestehen.Nicht ohne Grund hatte Akzo Nobel im vergangenen Herbst Anlauf genommen, um die auf Autolacke spezialisierte Axalta, eines der letzten mittelgroßen Assets der Lackindustrie, zu übernehmen. Die japanische Nippon Paint grätschte dazwischen und machte den Deal – zumindest fürs Erste – zunichte, ohne selbst zum Zuge zu kommen. Zwar hat Akzo Nobel zuletzt anklingen lassen, weitere Akquisitionsmöglichkeiten auszuloten. Anstatt jedoch die dafür erforderliche Kriegskasse vorsorglich zu bestücken, wird das Geld aus dem Verkauf der Chemieaktivitäten an die Aktionäre verteilt. Und inwieweit diese gewillt wären, eine größere Akquisition mit frischen Eigenmitteln zu unterstützen, steht auf einem völlig anderen Blatt. Ganz abgesehen davon, dass der M & A-Markt inzwischen heiß gelaufen ist. Allein im ersten Quartal dieses Jahres wurden Transaktionen im Volumen von knapp 330 Mrd. Dollar vereinbart, der höchste Wert seit elf Jahren. Finanzinvestoren – und nicht nur diese – sitzen auf dicken Geldsäcken. Das treibt die Multiples in die Höhe. Zugleich wächst der Druck aktivistischer Investoren. Ein allgemeingültiges Rezept für die richtige Mischung aus Konzentration samt Verlängerung der Wertschöpfungskette auf der einen Seite und breiter Aufstellung auf der anderen Seite gibt es gleichwohl nicht. Wer sich im Aufschwung zu stark in eine Richtung exponiert, riskiert, im nächsten Abschwung nach unten gerissen zu werden. Gedacht sei beispielsweise an Lanxess, die sich von den hohen Margen im Kautschukgeschäft zu – gemessen an der eigenen Größe – Rieseninvestitionen verleiten ließ, oder an Evonik, die ähnlichen Verlockungen im Geschäft mit Futtermittelzusatzstoffen erlag. Das Portfolio stetig und zugleich behutsam den jeweiligen Marktgegebenheiten, aber auch investorengetriebenen Trends anzupassen, ist zur zentralen Aufgabe der Unternehmenslenker geworden. Strategische Weitsicht hat in dieser Hinsicht Bayer bewiesen, die sich mit der Übernahme von Monsanto an die Spitze im Markt für Agrochemikalien katapultieren wird – sofern die US-Wettbewerbsbehörden nicht noch einen Strich durch die Rechnung machen. Dem Schritt vorgelagert war allerdings die Trennung vom Kunststoffgeschäft, das den Investoren lange Zeit ein Dorn im Auge war. Als eigenständiger Börsenwert hat es Covestro dagegen geschafft, im Handumdrehen die Gunst der Börsianer zu gewinnen. Umgekehrt bedarf es aber nicht immer einer Großakquisition, um das Portfolio voranzubringen. Hatte es in der Agrochemie zunächst so ausgesehen, als hätte sich BASF aus dem Markt geschossen, weil sie nicht bereit war, sich auf einen Bieterwettstreit – zunächst um Syngenta und später um Monsanto – einzulassen, kristallisieren sich die Ludwigshafener allmählich als Profiteur der Branchenkonsolidierung heraus. Quasi auf dem Silbertablett bekommt BASF wertvolle Saatgutgeschäfte serviert, die Bayer aus kartellrechtlichen Gründen abstoßen muss. Die großen Integrationsrisiken liegen dagegen bei den Wettbewerbern. —-Von Annette BeckerIn der Chemie kommt es auf die richtige Mischung aus Konzentration und breiter Aufstellung an. Ein allgemein gültiges Rezept gibt es nicht.—-