LEITARTIKEL

In der Wohlfühlzone wird's kühl

Aktien von Herstellern nichtzyklischer Konsumgüter, etwa Lebensmittelproduzenten, gehören zu den defensiven Werten, die sich risikoscheue Anleger gerade in diesen Zeiten gern ins Depot legen. Das hat dazu geführt, dass die Bewertung von Nestlé,...

In der Wohlfühlzone wird's kühl

Aktien von Herstellern nichtzyklischer Konsumgüter, etwa Lebensmittelproduzenten, gehören zu den defensiven Werten, die sich risikoscheue Anleger gerade in diesen Zeiten gern ins Depot legen. Das hat dazu geführt, dass die Bewertung von Nestlé, Unilever, Mondeléz, Danone oder Kraft sowie von Cola- und Bierkonzernen auf Höhen gestiegen ist, die schon seit Jahren nicht mehr erreicht wurden. Negatives wie Probleme in einer Geschäftssparte oder einer Region könnte auf diesem Niveau schnell zu einer Korrektur an der Börse führen. Denn Kurs-Gewinn-Verhältnisse auf Basis der Analystenschätzungen für 2013 von 18 bis 20 sind ambitioniert und nur vertretbar, wenn vor allem die Wachstumsraten in Schwellenländern noch für lange Zeit zumindest im hohen einstelligen oder gar zweistelligen Bereich bleiben, weil in den gesättigten Ländern Europas sowie in Nordamerika, Japan und Australien – abgesehen von wenigen Innovationen, die zu Verkaufsschlagern werden, – kein nennenswertes Wachstum mehr erzielbar ist. Tatsächlich gibt es aber Signale, die auf eine “Normalisierung” der Zuwächse in aufstrebenden Märkten hindeuten.So hat Nestlé, mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet 173 Mrd. Euro und einem Umsatz von 75 Mrd. Euro (2012) der größte Lebensmittelkonzern der Welt, den Erlös in der Wachstumsregion Asien/Ozeanien/Afrika im ersten Quartal mit 4,4% zum dritten Mal in Folge nur einstellig gesteigert. Voraus gingen mindestens sechs Berichtsperioden mit zweistelligen organischen Zuwächsen. Und nach einem bereinigten Plus in den Emerging Markets 2011 von 13% ging es im Vorjahr nur noch um 11% bergauf. Dies als Alarmzeichen zu interpretieren, wäre übertrieben. Aber es zeigt, dass auch in Schwellenländern für Nahrungsmittelproduzenten die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Es gibt Sättigungserscheinungen!Auch für einige Brauereigruppen lief zuletzt nicht alles nach Wunsch. Die britische SABMiller, nach Anheuser-Busch Inbev der größte Bierproduzent der Welt, macht etwa ein Drittel ihrer Erlöse in Lateinamerika. Das organische Wachstum des Bierabsatzes in dieser Region ging in den beiden vergangenen Geschäftsjahren (per 31. März) deutlich von 8 auf 3% zurück. Und im Schlussviertel des Vorjahres nahmen die Verkäufe sogar um 1% ab, was mit der Konjunkturabschwächung und Preiserhöhungen in einigen Ländern erklärt wird. Traut man sich nicht zuzugeben, dass die relativen Zuwächse in den aufstrebenden Märkten schon allein wegen des Basiseffekts kaum zu behaupten sind? Je höher der Ausgangswert, desto schwieriger wird es natürlich, prozentual gleich hohes Wachstum zu generieren.Auf längere Sicht werden aber noch viel stärker Veränderungen der Mentalität, die mit der “Verwestlichung” in Asien und Lateinamerika einhergehen, das Geschäft westlicher Markenartikler bremsen. Noch verzichten z.B. Eltern und Großeltern aus ärmeren Schichten, insbesondere im Südosten Asiens, verbreitet auf jede Annehmlichkeit und viele Grundbedürfnisse, nur damit man sich für die Kinder (teure) Markenprodukte europäischer oder nordamerikanischer Provenienz leisten kann – im Glauben, damit dem Nachwuchs alle Voraussetzungen für ein besseres Leben zu schaffen.Irgendwann, eher früher als später, wird hier ein gesellschaftliches Umdenken einsetzen. Dann wird man zur Erkenntnis gelangen, dass ein Kind – auch wenn man es mit Säuglingsmilch und Babybrei von “Alete” (Nestlé), Butter, Wurst und Käse von “Du darfst” (Unilever) oder Joghurtdrinks von “Actimel” (Danone) großgezogen hat – nicht zum begabten Vorzeigeschüler werden muss bzw. dies werden kann, auch wenn nicht die oben genannten oder andere westliche Produkte verzehrt wurden. Ebenso wird der Wille zur Selbstaufopferung nachlassen. Dass Erwachsene etwa auf adäquaten Wohnraum und angemessene Ausstattung (Heizung, Anschlüsse an die Wasserver- bzw. Abwasserentsorgung etc.) verzichten, wird umso seltener werden, je mehr sich das öffentliche Leben in Schwellenländern dem in Industrienationen angleicht.Zudem wird der Reiz des Neuen, des lange Zeit Unerreichbaren und vermeintlich Hochwertigen – sprich: Markenartikel aus dem Westen – nachlassen. Statt heimischen Produkten einfach nur zu misstrauen und Güter aus den Fabriken der Global Player zu kaufen, wird der Druck auf die Hersteller vor Ort zunehmen, was der Qualität ihrer Produkte guttut. Kein Zweifel: In der Wohlfühlzone westlicher Konsumgüteranbieter, den aufstrebenden Märkten, wird es kühler.——–Von Martin Dunzendorfer ——-Lebensmittelkonzernen werden an der Börse ungewöhnlich hohe Bewertungen zugebilligt. Der defensive Charakter der Aktien und das künftige Wachstum in Schwellenländern werden überschätzt.