Investitionskontrolle gewinnt an Brisanz
Im Blickfeld
Investitionskontrolle gewinnt an Brisanz
Die Ängste vor einem Ausverkauf der deutschen Wirtschaft nehmen zu. Deals mit ausländischen Bietern können zum Politikum werden.
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Der Verkauf des größten Teils des Geschäfts des Familienunternehmens Viessmann für 12 Mrd. Euro an den US-Konkurrenten Carrier Global hat die Diskussion über Investitionskontrolle und Standortsicherung neu entfacht. Den Gesellschaftern des nordhessischen Heizungsbauers wurde bei der Ankündigung des Deals im April vorgeworfen, sie wollten zum günstigsten Zeitpunkt schlichtweg Kasse machen. Die Bundesregierung sah sich mit der Kritik konfrontiert, ihre verfehlte Klimapolitik treibe deutsche Traditionsunternehmen in den Ruin, weil hiesige Anbieter von Wärmepumpen nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Oppositionspolitiker sprachen von einem „Ausverkauf der deutschen Wärmepumpe“ und sehen den Standort als gefährdet an.
Direktinvestitionen ausländischer Adressen werden seit geraumer Zeit kritisch beäugt, wobei speziell Transaktionen chinesischer Investoren für Aufregung sorgen. Dass die Investitionskontrollen verstärkt werden, ist seit Jahren global ein Trend. Die Zäune wurden weiter hoch gezogen, als in Coronazeiten wirtschaftliche Abhängigkeiten und Lieferkettenrestriktionen zutage traten, die ganze Branchen in ihrer Produktion lähmten. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine heizte die Debatte über die Absicherung nationaler Interessen und der Infrastruktur weiter an. M&A-Transaktionen sind in dem Szenario mit mehr Unsicherheit behaftet. Das von Viessmann zum Verkauf gestellte Geschäft zählt indes nicht zur kritischen Infrastruktur, fällt also nicht unter die strenge Investitionskontrolle. Gleichwohl kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Prüfung an. Der Grünen-Politiker begrüßte gleichzeitig den Deal, weil er aus seiner Sicht die Verbreitung von Wärmepumpen hierzulande beschleunigen kann.
Mehr Anmeldungen
Die Anmeldungen von ausländischen Direktinvestitionen, also von Erwerben deutscher Unternehmen oder Tochtergesellschaften durch ausländische Investoren, zum Investitionsprüfverfahren durch das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Waren es 2019 noch insgesamt 106 Meldungen, gab es 2020 schon 160 und in den vergangenen beiden Jahren jeweils 306 Verfahren. Dabei ist die Regulierung im Fluss: „Es kommen ganz regelmäßig Änderungen in der Investitionskontrolle, aktuell sind wir bei der 19. Novelle“, sagt Katrin Gaßner, Partner in der Praxisgruppe Kartellrecht und Außenhandel der Kanzlei Freshfields. „Wir warten jetzt auf eine größere Reform im Jahr 2024, in der die verschiedenen Regelungen noch einmal überarbeitet und womöglich auch die Liste der relevanten Sektoren noch einmal angepasst wird“, ergänzt die Anwältin.
Von den gut 300 Verfahren, mit denen sich das BMWK in den Jahren 2021 und 2022 befasst hat, ist nur ein Bruchteil in die vertiefte Prüfung gegangen – „weniger als 10%“, weiß Gaßner. Die größte Gruppe der Anmeldungen stellen mit weitem Abstand US-Amerikaner, chinesische Investoren summieren sich nach der Statistik des Ministeriums auf rund 10%.
Bei vielen dieser Anmeldungen handelt es sich nicht grundsätzlich um meldepflichtige Transaktionen. Erwerber wollen sich häufig durch freiwillige Anträge und eine durch das Ministerium daraufhin erteilten Unbedenklichkeitsbescheinigung absichern. Das schafft Rechtssicherheit. Denn auch nicht meldepflichtige ausländische Direktinvestitionen können ohne vorherige Anmeldung bis zu fünf Jahre nach Abschluss des Kaufvertrages geprüft und im schlimmsten Fall sogar nachträglich untersagt werden. „Deshalb zeigen inzwischen viele Unternehmen Transaktionen an, obwohl sie nicht dazu verpflichtet sind“, sagt Gaßner. Angeklopft werde, sobald ein Nicht-EU-Investor 25% oder mehr der Stimmrechte an einem deutschen Unternehmen erwerben wolle. Auf diese Weise können spätere böse Überraschungen vermieden werden.
Bei kritischer Infrastruktur indes fängt die Meldepflicht bereits bei Erwerben von 10% der Stimmrechte an. Diese Transaktionen dürfen nicht vollzogen werden, bevor eine Genehmigung vorliegt. Das betreffe etwa IT-Sicherheitsprodukte, Medien und bestimmte Telekommunikationssegmente, erklärt Gaßner. In anderen Sektoren, etwa Halbleiter, liege die Schwelle bei Beteiligungen von 20%. Geht es um Rüstungsgüter, sind die Regelungen noch strenger. Hier gilt die Meldepflicht und eine sektorspezifische Investitionsprüfung bei Erwerben durch ausländische Investoren und ab einer Beteiligungshöhe von 10%. Im Unterschied zur sektorübergreifenden Investitionsprüfung trifft dies auch Investoren aus anderen EU-Staaten (und nicht nur aus Drittländern). Freigaben werden nur erteilt, wenn dem Erwerb keine Bedenken im Hinblick auf die wesentlichen Sicherheitsinteressen Deutschlands entgegenstehen.
Was am Ende vom BMWK aufgegriffen wird und was nicht, lässt sich aus Sicht der Anwältin schwer abschätzen. „Während in der Fusionskontrolle mögliche Beeinträchtigungen des Wettbewerbs im Fokus stehen und es auf die Herkunft des Erwerbers im Grunde nicht wirklich ankommt, schaut sich das BMWK an, ob ein Zusammenschluss vor allem wegen der Identität des Erwerbers ein Problem für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Hierbei kann auch wichtig werden, inwieweit andere EU-Mitgliedstaaten von einer geplanten Transaktion beeinträchtigt werden“, fasst es Gaßner zusammen.
Der Katalog wird länger
Die Liste der Aufgreiftatbestände werde immer länger. Die relevanten Normen in der Außenwirtschaftsverordnung sowie weitere Regelungen wie das Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG) oder die Verordnung zur Bestimmung kritischer Infrastrukturen nach dem BSIG legen nach den Worten der Anwältin einen ausführlichen Katalog an kritischen Aktivitäten fest. Darunter fällt beispielweise auch der in jüngerer Vergangenheit intensiv diskutierte Fall des Hamburger Hafenbetreibers HHLA, wo ein Containerterminal nachträglich als kritische Infrastruktur eingestuft wurde. Bereits die Teiluntersagung des Teilerwerbs Ende des vergangenen Jahres war heftig diskutiert worden und auch in der Koalition umstritten. Einen solchen Fall hätte man nach Einschätzung Gaßners vor zwei oder drei Jahren noch anders gesehen.
Der Katalog, was als kritische Infrastruktur anzusehen ist, sei sukzessive erweitert worden – auch als Reaktion auf Corona oder den Krieg in der Ukraine. „Wer unsicher ist, meldet am besten“, rät die Freshfields-Anwältin für Transaktionen. Doch insgesamt werde nur sehr selten untersagt, wobei zuletzt vor allem einzelne chinesische Investoren gestoppt wurden. In manchen Fällen erteile das BMWK die Genehmigung allerdings mit Nebenbedingungen oder Auflagen, um den Standort – oder eben betroffene Sicherheitsinteressen – zu schützen. Hier gebe es aber wenig Transparenz, weil die Verfahren nicht öffentlich sind.
Eine Untersagung betraf die Übernahme des Beatmungsgeräteherstellers Heyer Medical durch die chinesische Aeonmed, bei dem die Bundesregierung im Frühjahr 2022 ihr Veto einlegte. Begründet wurde die Ablehnung des Deals mit der Gefährdung des Gesundheitsschutzes. Heyer Medical war 2018 in Schieflage geraten und hatte nach einem Investor gesucht. Mit Aenomed hatte das fast 140 Jahre alte Traditionsunternehmen aus Bad Ems mit 35 Beschäftigten und 42 Mill. Euro Umsatz (2020) schon vor der Pandemie einen Käufer gefunden, wurde dann aber gestoppt. Die Transaktion war nicht beim BMWK gemeldet worden, weil Beatmungsgeräte vor Corona nicht als kritische Infrastruktur eingestuft wurden, zumal beide Unternehmen bereits eng kooperierten. Nach Vollzug des Deals hat das Ministerium sich die Transaktion dann aber doch vorgeknöpft und am Ende verhindert.
Ein anderer Untersagungsfall betraf den Verkauf einer Chipfabrik von Elmos in Dortmund an ein chinesisches Unternehmen. Dabei sollte der Deal nicht direkt über einen chinesischen Investor laufen, sondern über dessen schwedische Tochter. In der Begründung des Vetos verwies Wirtschaftsminister Habeck auf die Gefahr, dass deutsche Technologie an Erwerber aus Nicht-EU-Ländern abfließe. „Gerade im Halbleiterbereich ist es uns wichtig, die technologische und wirtschaftliche Souveränität Deutschlands und auch Europas zu schützen. Natürlich ist und bleibt Deutschland ein offener Investitionsstandort, aber wir sind eben auch nicht naiv“, ließ sich Habeck zitieren.