Im BlickfeldItalien

Italiens Telekom-Markt ist stark in Bewegung

Gerüchten zufolge verhandeln Vodafone und Swisscom über ein Zusammengehen im Belpaese, und Marktführer TIM steht vor der Abtrennung des Festnetzes. Eine Konsolidierung könnte allen zugutekommen.

Italiens Telekom-Markt ist stark in Bewegung

Italien

Italiens Telekom-Markt ist stark in Bewegung

Gerüchten zufolge verhandelt Swisscom mit Vodafone über ein Zusammengehen in Italien. Und Marktführer Telecom Italia steht vor einer Abtrennung des Festnetzes. Die Regierung in Rom will dabei ein gewichtiges Wort mitreden.

Von Gerhard Bläske, Mailand

In Italiens Telekom-Markt brodelt es. Der Branchenzweite Vodafone hat ein verbessertes Angebot des französischen Konkurrenten Iliad zur Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens im Umfang von bis zu 10,45 Mrd. Euro abgelehnt. Nun verdichten sich Gerüchte, dass die Briten mit Swisscom über ein Zusammengehen verhandeln. Die Schweizer sind über ihre Tochter Fastweb im Festnetzgeschäft vertreten. Zusammen mit Vodafone, die sich im Mobilfunksektor ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Branchenführer Telecom Italia (TIM) liefert, kämen die beiden Unternehmen im Festnetzsektor auf einen Marktanteil von 31%, lägen damit aber noch deutlich hinter TIM (39,2%). Doch dieses Bündnis wäre vor allem im attraktiven Geschäft mit Unternehmenskunden sehr stark, was Branchenführer TIM vermutlich zu einer Reaktion zwänge. Denn auch für TIM ist die Sparte TIM Enterprise ein Hauptpfeiler der Geschäftsstrategie.

Vodafone fast schon zu Bündnis gezwungen

Vodafone bestätigt Gespräche mit „Dritten“. Das Unternehmen steht angesichts sehr hoher Schulden und eines deutlich rückläufigen Aktienkurses unter Druck der Anteilseigner. Die Briten sind fast schon zu einem Bündnis gezwungen. Sie müssen den Aktionären entgegenkommen. Und sie haben sich bereits aus Ungarn und Spanien zurückgezogen und planen in Großbritannien ein Zusammengehen mit Three. Die Three-Mutter CK Hutchinson ist über ihre Tochter WindTre auch in Italien vertreten und dort sowohl im Mobilfunk als auch im Festnetzgeschäft die Nummer 3. Über ein mögliches gemeinsames Projekt von CK Hutchinson und Vodafone in Italien ist bisher allerdings nichts bekannt.

Italien ist vor allem seit dem Markteintritt von Iliad 2018 ein extrem wettbewerbsintensiver Markt. Vodafone verliert dort Geld und hat im ersten Halbjahr 2023 einen Umsatzrückgang um 1,3% auf 2,1 Mrd. Euro verzeichnet. Eine gewisse Marktkonsolidierung ergäbe aus Sicht von Branchenexperten schon lange Sinn, denn mit vier Wettbewerbern im Mobilfunkmarkt und vier großen Konkurrenten im Festnetzsektor gibt es mindestens einen zu viel.

Schulden setzen TIM zu

Auch Branchenführer TIM, an dem Rom über die mehrheitlich staatliche Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) mit knapp 10% beteiligt ist, steht massiv unter Druck. Zwar hat sich die Ertragslage nach mehreren Gewinnwarnungen in den Jahren zuvor stabilisiert. Doch ohne die sehr ertragsstarke brasilianische Mobilfunktochter sähe es düster aus. Hauptproblem ist die extrem hohe Verschuldung von 26 Mrd. Euro, die dem einstigen Monopolisten angesichts der deutlich gestiegenen Zinsen mehr denn je zu schaffen macht. In den nächsten drei Jahren müssen Schulden von 9 Mrd. Euro refinanziert werden. Die jährliche Zinsbelastung steigt damit laut CEO Pietro Labriola um 300 bis 350 Mill. Euro. Schon 2022 betrug der Schuldendienst 1,6 Mrd. Euro, das 2,5-Fache des Betriebsergebnisses. Der frühere Monopolist leidet bis heute unter der Schuldenlast aus früheren Zeiten. Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hatte ein Unternehmenskonsortium unter Führung des späteren Piaggio-Chefs und Großaktionärs Roberto Colaninno TIM übernommen und die Akquisition zum Preis von 50 Mrd. Euro zur Hälfte mit der Aufnahme von Schulden finanziert.

Strategische Interessen wahren

Angesichts der verfahrenen Lage ersann Labriola eine Idee, die einzigartig in Europa ist: Das Festnetz soll aus dem Unternehmen herausgelöst und für 18,8 Mrd. Euro an den US-Investmentfonds KKR verkauft werden. Beteiligen wollen sich auch der Staatsfonds Adia aus Abu Dhabi und der italienische Fonds F2i. Und der italienische Staat will für 2 Mrd. Euro einen Anteil übernehmen, um seine strategischen Interessen zu wahren, wie es heißt. Die Festnetzsparte soll 14 Mrd. Euro der Schulden in Höhe von 26 Mrd. Euro übernehmen und etwa die Hälfte der 40.000 TIM-Beschäftigten. Rom will außerdem über eine Goldene Aktie Mitsprache erhalten und träumt davon, das TIM-Festnetz später mit dem Netzwerk Fibercop, das von TIM und KKR kontrolliert wird, und der Gesellschaft Open Fiber zusammenzulegen. An Open Fiber ist die CDP mit 60% und die australische Fondsgesellschaft Macquarie mit 40% beteiligt.

Doch ob diese Rechnung aufgeht, ist mehr als fraglich. Denn erstens ist TIM-Großaktionär Vivendi (23,75%) auch wegen des angeblich zu geringen Verkaufspreises für das Festnetz gegen diese Pläne. Die TIM-Aktie hat seit dem Einstieg der Franzosen drei Viertel ihres Wertes verloren. Vivendi fordert mindestens 30 Mrd. Euro für das Festnetzgeschäft. Zweitens verlangt Vivendi die Einberufung einer Hauptversammlung und geht außerdem gerichtlich gegen die Abspaltungspläne vor.

Zahlreiche Bedenken

Doch selbst wenn die Franzosen, denen es in erster Linie um den Preis geht, nachgeben sollten, blieben erhebliche Zweifel an der Überlebensfähigkeit einer verbleibenden TIM-Dienstleistungssparte mit Unternehmens- und Privatkunden. Nirgendwo anders in Europa gibt es ein flächendeckendes Telekomnetz, das keinem Dienste-Anbieter gehört. Rom hofft, mit einem teilweise staatlich kontrollierten Festnetz auch den Ausbau des Netzes in dünner besiedelten Regionen vorantreiben zu können. Doch das wäre teuer, die Ertragsaussichten sind mager, und warum sollten private Investoren, die in der Regel nach wenigen Jahren aussteigen, viel Geld in wirtschaftlich fragwürdige Investitionen stecken? Immerhin: In den Ausbau des Festnetzes sollen Mittel aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm fließen.

Doch es gibt vermutlich kartellrechtliche Bedenken aus Brüssel an einer monopolistischen Netzgesellschaft. Der Glaube der italienischen Regierung, mit dieser Lösung quasi alle Probleme wie mit einem Zauberstab lösen zu können, erscheint naiv. Und dabei ausgerechnet auf Investoren zu setzen, deren Interesse die Profitmaximierung ist, ist es nicht minder. Nach deren Ausstieg nach wenigen Jahren müssen neue Investoren gefunden werden – oder aber der Staat muss ran. So wie jetzt bei der TIM-Meereskabeltochter Sparkle: Angesichts der aus Sicht der Regierung zu niedrigen KKR-Offerte von 750 Mill. Euro für diese Sparte hat Rom nun ein Übernahmeangebot vorgelegt. Die Regierung betrachtet den weltweit viertgrößten Anbieter bei Unterseekabeln als strategisch.

Zuschussgeschäft

Der italienische Telekom-Markt ist vor allem im Privatkundengeschäft ein Zuschussgeschäft und hat dramatisch verloren. Zwischen 2010 und 2022 sind die Einnahmen um 35% auf 27 Mrd. Euro gesunken und die Investitionskosten werden nicht mehr erwirtschaftet. Eine Konsolidierung im Markt könnte den Wettbewerbsdruck mindern und somit allen Akteuren zugutekommen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.