Im BlickfeldJapan Mobility Show

Japans Autoindustrie am Elektro-Wendepunkt

Auf dem Nachfolger von Japans größter Automesse Tokyo Motor Show zeigen die Fahrzeughersteller aus Nippon erstmalig ihren Willen, den großen Rückstand beim Batterieauto aufzuholen, auch wenn es einige Jahre dauern wird.

Japans Autoindustrie am Elektro-Wendepunkt

Japans Autoindustrie am Elektro-Wendepunkt

Auf der „Japan Mobility Show“ zeigt die Branche erstmalig ihren Willen, den großen Rückstand beim Batterieauto aufzuholen, auch wenn es dauern wird.

Von Martin Fritz, Tokio

Einst gab die Tokyo Motor Show, 1954 aus der Taufe gehoben, den Modelltakt der Autoindustrie in Nippon vor. Nun kehrt Japans größte Automesse nach vierjähriger Pause als „Japan Mobility Show“ zurück. Der neue Name spiegelt die Transformation der Branche „von der Autoproduktion zum Mobilitätsanbieter“ wider, die sich Toyota schon länger auf die Fahnen schreibt. Zwar sehen die Stände der Hersteller mit ihren im Scheinwerferlicht glänzenden Karosserien ganz wie früher aus. Aber gemessen an der Rekordzahl von 500 Ausstellern, darunter 100 Start-ups, scheint das neue Konzept einen Nerv zu treffen.

Japans „Coming-out-Party“

Der Neustart der Messe fällt mit der Hinwendung von Japans Autobauern zum Elektroauto zusammen, deutlich erkennbar an der Flut von Konzeptfahrzeugen mit Batterieantrieb. Christoph Richter, Aktienstratege von CLSA, spricht von einer „Coming-out-Party“. Zugleich „teilen die Unternehmen das Krisengefühl, dass Japans globale Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu China, den USA und Asien sinkt“, erklärt Jun Nagata, der Leiter des Ausstellungsausschusses und PR-Chef von Toyota. „Sie sehen in der Mobilität einen potenziellen Wachstumsmotor.“

Jedenfalls scheinen Japans Autobauer noch rechtzeitig zur „Jahrhundertrevolution“ der Elektrifizierung aufzuwachen. Toyota strebt nun einen Absatz von 1,5 Millionen Batterieautos für 2026 und 3,5 Millionen Stück für 2030 an – im Vorjahr produzierte man nur 24.000 Stück. Nissan will 19 Batterieautos bis 2030 auf den Markt bringen. Honda stellt den Verkauf von Benzinern 2040 ganz ein. Der Heimatmarkt belegt die Defizite: Batterieautos machen in Japan nur 2% des Jahresabsatzes aus. Das meistverkaufte Modell ist der Kleinwagen Sakura von Nissan und Mitsubishi für 2 Mill. Yen (12.500 Euro) inklusive staatlicher Zuschüsse.

Wie groß der Abstand ist, beweist die Konkurrenz. Die drei ausländischen Autobauer auf der Mobility Show – BYD, Mercedes-Benz und BMW – zeigen jeweils Batteriemodelle, die schon in Produktion sind oder demnächst gehen. Dagegen kommerzialisieren die Japaner viele ausgestellte Elektrokonzepte erst ab 2026 oder später. Die Aufholjagd auf Branchengrößen wie Tesla und BYD wird also noch Jahre dauern.

Anders als sein Vorgänger Akio Toyoda verlor der neue Toyota-Chef Koji Sato bei seinem Messeauftritt kein Wort über den Hybridmotor und lobte Batterieautos als „ökofreundlich, angenehm zu fahren und vielfältige Erfahrungen bietend“. Bei der Vorstellung seiner Batterieauto-Entwürfe betonte Sato den „mehrgleisigen Weg in die Zukunft“, nämlich „jedem Kunden etwas anzubieten“. Konkret bedeutet dies: Toyota entwickelt vier Batterietypen für verschiedene Fahrzeugzwecke, behält die Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Motoren im Portfolio und stimmt den Antriebsmix auf die jeweiligen Märkte ab. SBI-Analyst Koji Endo erwartet beim weltgrößten Autohersteller für 2030 eine „gut ausbalancierte Produktionsmischung“ von 3,5 Millionen Batterieautos, 4,4 Millionen Verbrennern und 5 Millionen Hybridautos.

Das Herzstück der Strategie von Sato bildet die Luxusmarke Lexus, die ihre Modelle bis 2030 voll elektrifizieren will. Bei Lexus entsteht auch die erste spezifische Plattform für Batterieautos, während die Elektromodelle von Toyota zunächst auf Verbrenner-Plattformen basieren. Lexus präsentierte das Konzept LF-ZC in Tokio als Vorläufer für das erste Auto dieser Art, das aber als Serienmodell erst 2026 auf den Markt kommen soll. Dieses Modell werde ein „Sensor in Bewegung“ sein, versprach Simon Humphries, Chief Branding Officer von Toyota, bei der Präsentation. Dabei ist Tesla die Benchmark, die es zu schlagen gilt.

Aktien auf Rekordhoch

Die zögerliche Elektrowende hat Japans Autoindustrie bislang nicht geschadet. Im Gegenteil: Toyota, Honda und Suzuki erwarten im laufenden Geschäftsjahr Rekordgewinne. Zwar belasten die Preissteigerungen bei Rohstoffen und Importwaren, aber der schwache Yen wirkt als Gewinnturbo. Die Börse honoriert diese Entwicklungen. Die Aktien von Toyota und Honda kletterten kürzlich auf ein neues Hoch. In der Marktkapitalisierung übertrifft Toyota die Summe aller deutschen Autobauer inklusive VW um rund die Hälfte.

Durch ihren Mangel an Batterieautos verloren die japanischen Hersteller bisher nur in China erkennbar an Marktanteilen, während sie in den USA und der EU ihre Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Verkäufe noch oder wieder steigern konnten. „Auf längere Sicht könnte sich durchaus herausstellen, dass die Japaner gar nicht so falsch damit lagen, ihre Elektroautopläne etwas bedächtiger anzugehen“, kommentiert CLSA-Analyst Richter.

Die hohe Börsenbewertung kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Elektrifizierung eine Konsolidierung der japanischen Autoindustrie verursachen wird. Analyst Endo konstatiert eine „wachsende Kluft“ zwischen Toyota und Honda auf der einen und schwächeren Akteuren wie Mazda und Subaru auf der anderen Seite. Diese Unternehmen verfügten weder über eigene Batterien-Ressourcen noch über die notwendigen Technologien. Ein Indiz: Im weltgrößten Automarkt China mit seinem Elektrofokus können sie kaum bestehen: Mitsubishi zieht sich soeben zurück, Mazda mit zuletzt nur 80.000 Stück Jahresabsatz könnte folgen. Die kleineren Hersteller hätten keine andere Chance, als sich auf Toyota oder eine andere Branchengröße zu verlassen, meint SBI-Analyst Endo.

Ein Blick auf die Verkaufszahlen zeigt zugleich, dass die kleineren Autobauer in Japan auch deswegen relativ klein aussehen, weil Toyota so gewaltig groß ist. Die Konsolidierung wird daher höchstwahrscheinlich unter dem Dach von Toyota stattfinden. Der Autoriese besitzt bereits heute den Kleinwagenspezialisten Daihatsu komplett sowie jeweils 5% von Mazda und Suzuki und 20% von Subaru. „Japan verfügt noch über einige bedeutende Hersteller, aber die Struktur der Industrie ändert sich bereits“, meint Analyst Richter.

Toyota-Gruppe dominiert

Die Machtverhältnisse sind auf der Mobility Show gut zu beobachten: Abgesehen von einer kleinen Fläche für Mercedes-Benz beherrschen die Mitglieder dieser losen „Toyota-Gruppe“ drei von sechs Ausstellungshallen. Die größte Standfläche mietete der Branchenführer. Der einzige andere große Player ist Honda, aber schon lange kein ebenbürtiger Gegenspieler von Toyota mehr. Die operative Marge der Autosparte von zuletzt 2,6% kann dem Motorradgeschäft mit 14,3% Marge kaum Paroli bieten. Den Plan, mit General Motors 2027 ein gemeinsames kleines Elektroauto zu lancieren, kippte CEO Toshihiro Mibe am Mittwoch. Immerhin verschafft sich Honda durch die Kooperation mit Sony beim Batterieauto Afeela ein Alleinstellungsmerkmal. Das „Smartphone auf Rädern“ soll ebenfalls 2026 auf den Markt kommen.

Koji Sato, President von Toyota Motor, während einer Präsentation auf der Japan Mobility Show 2023 in Tokio.