Tokio

Japans Marotte mit der Einheitskleidung

In Japan sind starre Bekleidungsregeln weit verbreitet, auch in Bankfilialen. Kleinste Kurswechsel sorgen umgehend für Aufsehen.

Japans Marotte mit der Einheitskleidung

Das öffentliche Japan gleicht einem Meer von Uniformen: Ob Schüler, Bauarbeiter, Postboten, Wachleute, Eisenbahner, Kassierer oder Verkäufer – in vielen Berufen und bei vielen Beschäftigungen müssen Japaner die von ihrem Arbeitgeber gestellte Kleidung tragen. Im Alltag existieren auch noch Pseudouniformen, also vorgeschriebene Standard-Outfits für bestimmte Anlässe, zum Beispiel der dunkle Anzug mit weißem Hemd für männliche Angestellte und der (wirklich so bezeichnete) „Recruit Suit“ für Bewerbungsgespräche.

Auch in vielen Bankfilialen sind Uniformen vorgeschrieben, allerdings nur für die Frauen. Diese Pflicht entstammt der Zeit, als man Frauen ausschließlich als Sekretärin mit niedrigem Gehalt anstellte. Die Uniform sollte ihnen die Kosten einer eigenen Berufskleidung ersparen. Doch bis heute wollen nur wenige Banken – darunter sind Resona und Shinsei – auf diese Tradition verzichten, obwohl sich die Rufe nach einer Gleichbehandlung der Geschlechter kaum noch überhören lassen. Die Banken erklären ihr konservatives Verhalten damit, dass die Kunden sich angeblich weibliches Personal in Uniform wünschten.

Ein Kurswechsel kommt so selten vor, dass die Presse groß berichtet. Die Zeitung „Mainichi“ zum Beispiel schilderte jetzt, dass die weiblichen Angestellten der Saga Kyoei Bank in der südjapanischen Großstadt Fukuoka seit Mitte März ihre Uniformen gegen schwarze Kostüme mit blassgefärbten Blusen aus dem eigenen Kleiderschrank eintauschen durften. Die Frauen betonten, wie viel wohler sie sich dadurch fühlten. Leider fiel dem Reporter nicht auf, dass die Frauen auch ohne Firmenkleidung noch immer uniform aussehen.

Die Ursprünge der Sitte liegen in der Meiji-Zeit (1868–1912). Durch den Aufbau einer stehenden Armee tauchten Soldaten im Stadtbild auf. Ihre als „ausländisch“ empfundene Kleidung strahlte für die Japaner den Geist der Moderne aus, dem man nacheifern wollte. Bald trugen auch Schüler und Studenten Uniformen, schließlich sollten sie später in der Armee dienen. Danach breitete sich diese Einheitskleidung in andere Arbeits- und Lebensbereiche aus. Die rasche Akzeptanz erklären Soziologen damit, dass die Uniform perfekt zum japanischen Gruppendenken passt. Wer die eigene Welt in Innen und Außen einteilt, für den klärt die Uniform auf den ersten Blick die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Und wer sie selbst trägt, fühlt und handelt als ihr Mitglied.

Die Uniform definiert also die soziale Rolle einer Person und verringert den individuellen Stress im komplexen Alltag der Gesellschaft. Erst die Studenten der 1960er-Jahre rebellierten erfolgreich dagegen, die Uniform verschwand aus dem Erscheinungsbild der Universitäten. Das Gleichstellungsgesetz von 1986 verringerte dann die Zahl der konform gekleideten „Office Ladies“.

Diese Frauen arbeiten als Servicekräfte für Botengänge, Fotokopieren und Teekochen. Dennoch lassen heute fast alle Dienstleister mit Außenkontakten, darunter eben auch viele Banken, ihre Mitarbeiter eine Uniform tragen – um Identität unter ihnen zu stiften, als Werbung für die Marke und damit Kunden ihnen schneller vertrauen.

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Auch die rigiden Kleidungsvorschriften an vielen Schulen spiegeln die Neigung zur Konformität wider. Ein berühmtes Sprichwort lautet hier: Einen hervorstehenden Nagel schlägt man ein. Für viele Mittel- und Oberschülerinnen in Japan hat diese Denkweise harte Folgen: Sie müssen eine Uniform mit Rock anziehen, dessen Länge ist genau festgelegt; ihre Unterwäsche muss weiß sein; gefärbte Haare sind verboten. Pullover und Kniestrümpfe sind erlaubt, aber keine Strickjacken und Socken. Pferdeschwanz und eine „Zwei-Block-Frisur“ (teils kurz, teils lang) sind No-Gos.

Solche Kleidungs- und Benimmregeln haben sich so verselbständigt, dass die Schulaufsicht dafür häufig keine sinnvolle Begründung mehr geben kann. Daher wenden sich inzwischen immer mehr Schülerinnen gegen diesen Zwang zur Konformität. Ihr erster großer Erfolg: Die Stadt Tokio schafft zum neuen Schuljahr ab April die meisten Vorschriften dieser Art zumindest an den öffentlichen Schulen ersatzlos ab.

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