LEITARTIKEL

Jetzt oder nie

Nach der Zahlenvorlage zum dritten Quartal und den gesenkten Mittelfristzielen ist SAP an der Börse brutal abgestraft worden. Die Aktie von Europas größtem Softwarekonzern, die im Sommer zeitweise zu mehr als 143 Euro gehandelt wurde, stürzte auf...

Jetzt oder nie

Nach der Zahlenvorlage zum dritten Quartal und den gesenkten Mittelfristzielen ist SAP an der Börse brutal abgestraft worden. Die Aktie von Europas größtem Softwarekonzern, die im Sommer zeitweise zu mehr als 143 Euro gehandelt wurde, stürzte auf gut 97 Euro ab – gerade so, als ob die Investoren in den Walldorfern eben noch einen Gewinner und nun plötzlich einen Verlierer der Krise ausmachten. Doch so unglücklich die Kommunikation einer eher schwachen Quartalsentwicklung zusammen mit neuen, defensiveren Mittelfristzielen war, so richtig dürfte die neue Ausrichtung aus strategischer Sicht sein.Denn was hat SAP im Kern erklärt? Der Wechsel der Bestandskunden in die Cloud soll beschleunigt werden. Nicht unbedingt nur, weil SAP dies so will, sondern weil die Kunden dies einforderten. So in etwa hat es jedenfalls CEO Christian Klein formuliert. Das passt zu der stärkeren Kundenfokussierung, die sich Klein vorgenommen hat, spätestens seit er im Frühjahr als alleiniger Vorstandschef das Ruder übernommen hat. Die Neuausrichtung auf die Kundenbedürfnisse war überfällig. Die Kundenzufriedenheit hatte in den von Zukäufen geprägten vorangegangenen Jahren unter Bill McDermott stark abnehmende Tendenz.Einen ersten Kritikpunkt war der neu formierte und verjüngte Konzernvorstand bereits unter der Doppelspitze mit der Kurzzeit-Co-Chefin Jennifer Morgan angegangen – eine tiefergehende Integration der verschiedenen Cloud-Dienste. Mit diesem Projekt ist SAP trotz Coronakrise schon weitgehend durch. Jetzt, da die Produkte die Anforderungen der Kunden besser erfüllen, ergibt es Sinn, diese noch aktiver in den Markt zu verkaufen. Hinzu kommt: Das dezentrale Arbeiten am PC, das bereits seit März für viele Angestellte zum Standard geworden ist, wird aller Voraussicht nach dauerhaft Bestandteil der Arbeitswelt bleiben. Mindestens aber ist die Fähigkeit, im Notfall so arbeiten zu können, für Unternehmen künftig eine Grundvoraussetzung. Wer seine Angestellten nicht in die Lage versetzt, quasi über Nacht geschlossen ins Homeoffice zu gehen, handelt heutzutage fahrlässig. Dass sich solche Situationen ergeben können, ist mit der Coronakrise schließlich bewiesen. Zwar ist dies auch mit eigenem IT- und Softwaremanagement zu bewerkstelligen. Cloud-Dienste vereinfachen das Vorhaben aber deutlich und sorgen zudem für größere Flexibilität, wenn es etwa darum geht, mit geringerem Geschäftsvolumen den Aufwand zu senken. SAP hat das im dritten Quartal beim Umsatz der Reisekostenabrechnungssoftware Concur zu spüren bekommen. Vor einiger Zeit wurde für diese – auch auf Drängen der Anwender – ein nutzungsbasiertes Abomodell eingeführt. Weniger Dienstreisen der Kunden bedeuten damit für den Softwarekonzern effektiv weniger Cloud-Erlöse.Was den Investoren vielleicht sauer aufstößt, dürfte den Kunden durchaus schmecken. Für SAP ist Letzteres die bedeutendere Nachricht. Auf Dauer kann kein Unternehmen der Welt an den Kunden vorbei planen. Dass SAP nun einen noch größeren Fokus auf deren Cloud-Migration gelegt hat, bedeutet indes auch weiteren Investitionsbedarf. Ein Flaschenhals für die schnellere Portierung von Lizenzsoftware-Kunden in die Cloud war bislang auch die Implementierungsgeschwindigkeit auf die ERP-Plattform S4/Hana. Aus den Reihen der Kunden war diesbezüglich trotz aller SAP-Beteuerungen, man sei schneller geworden, ein geteiltes Echo zu hören. Der Softwarekonzern muss also auch selbst mehr PS auf die Straße bringen, um seine Wachstumsziele zu erreichen. Die operative Marge soll jedenfalls erst gegen Ende der Mittelfristplanung stärker anziehen.——Von Sebastian SchmidSAP hat mit Cloud-fokussierter Ausrichtung und gesenkten Mittelfristzielen Investoren verschreckt. Die neue Strategie hat dennoch Hand und Fuß.——